Tessa – EM-Fieber

Freitag, 05.07.2024. Deutschland im EM-Fieber. Das Viertelfinale gegen Spanien steht an. Die beiden besten Mannschaften des Turnieres stehen sich gegenüber. Der Sieger gilt als Favorit auf den Europameistertitel. Eine Viertelstunde vor Anpfiff sitze ich mit meinen beiden Kolleginnen Tessa und Lea auf Tessas Balkon. Der Fernseher zeigt gerade die letzten Vorberichte und wir diskutieren eifrig die Aufstellungen. Lea tippt auf einen 2:1-Erfolg für Deutschland, auch Tessa ist voller Überzeugung und tippt 2:0 für Deutschland. Ich dagegen setze auf ein 1:1 nach 90 Minuten und eine knappe 2:1-Niederlage für unsere Nationalmannschaft nach Verlängerung. „Du wieder mit deinen Expertentipps“, zieht Tessa meine Vermutung ins Lächerliche. „Wer ist denn in unserer Tipprunde gerade Erster?“, legt sie selbstbewusst nach, wohlwissend, dass sie derzeit in Führung liegt und ich nur auf dem 3.Platz liege. „Wirst schon sehen. Heute hole ich die volle Punktzahl und überhole dich damit.“, gebe ich selbstbewusst zurück. Spanien war eben noch nie ein guter Gegner für Deutschland. „Wenn du mit deinem 2:1-Tipp nach Verlängerung wirklich recht hast, komm ich am Montag nackt ins Büro!“, ruft Tessa mir nun überschwänglich zu. Wir lachen gemeinsam und ich gebe nur zurück, dass ich sie beim Wort nehme. Sicherlich ein schöner Gedanke, aber auch einfach zu schön um Realität zu werden. Selbst wenn ich richtig liegen würde, würde ich niemals darauf bestehen, dass sie nackt in unserem Büro arbeitet. Doch der Gedanke löste durchaus ein wenig Kopfkino bei mir aus. Tessa und ich kennen uns jetzt seit vier Jahren. Ich war damals im letzten Lehrjahr, als Tessa zu uns kam und ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement bei uns begann. Letztes Jahr hatte sie ihre Ausbildung mit Bravour abgeschlossen. Tessa ist ca. 1,60m groß, sportlich schlank und hat mittellange dunkelblonde Haare. Sie hatte in ihrer Kindheit und Jugend Fußball im Verein gespielt und war daher auch jetzt noch sehr fussballinteressiert. Oft fachsimpelten wir in unserem gemeinsamen Zweier-Büro der kleinen Firma mit rund 25 Mitarbeitern über den letzten Spieltag der Bundesliga und aktuell natürlich über die EM-Spiele. 

Das Spiel ging endlich los. In einer harten Anfangsphase mit einigen Fouls waren die Spanier das etwas bessere Team. Die Deutschen brauchten etwas Zeit, kamen dann aber auch zu ersten Gelegenheiten. Dennoch blieb es beim 0:0 zur Pause. Die Halbzeitpause nutzten wir für ein paar leckere Spieße mit Salat und Brot und waren so für den Rest des Spiels gut vorbereitet. Nachdem wir die vorgenommenen Auswechslungen des Bundestrainers zur Pause lobten, wurden wir jedoch nur wenige Minuten später mit dem 1:0 für Spanien kalt erwischt. Doch es blieb noch genug Zeit, in der wir unsere Mannschaft anfeuerten und uns über die ein oder andere vergebene Chance ärgerten. Als wir die Hoffnung auf ein Fortleben des neuen Sommermärchens schon fast aufgegeben hatten, erlöste uns Florian Wirtz kurz vor Schluss mit dem Ausgleich und es ging mit 1:1 in die Verlängerung. Als die Anspannung bei uns etwas abfiel, fiel Lea wieder Tessas Wette ein: „Dein Nacktauftritt nimmt so langsam Formen an…“, meinte Lea spöttisch zu Tessa und erntete dafür gespielt böse Blicke. Gespannt fieberten wir in der Verlängerung mit, in der wir deutlich näher am zweiten Tor waren als die Spanier. 

Dennoch lief so langsam alles auf ein Elfmeterschießen hinaus. Etwa zwei Minuten waren noch zu spielen, als Tessa zu mir meinte: „Also wenn dein Tipp jetzt noch aufgeht, zieh ich das am Montag wirklich durch, das versprech´ ich dir.“ Ich hielt ihr die Hand hin und sie schlug ein. „Deal“, sagte ich, während wir eine spanische Flanke in unseren Sechzehner mit besorgten Blicken verfolgten und der Ball kurz darauf in unserem Netz zappelte. Geschockt und still saßen wir da. Nicht jetzt! Nicht so! Tessa stand auf und hielt sich die Hände vors Gesicht, während sie nur „Ich und meine große Klappe“, murmelte. Für sie war es schließlich doppelt bitter, musste sie doch jetzt einen Weg finden, ihre Wettschulden doch noch zu umgehen. Deutschland probierte es nochmal, aber es half nichts mehr. Spanien gewann 2:1 nach Verlängerung. Mein Tipp ging auf. Tessa hatte ihre Wette verloren. Für kurze Zeit saßen wir einfach nur da, voller Leere in unseren Köpfen. Oder zumindest in Leas Kopf. In meinem Kopf war das Kopfkino wieder aktiv: Tessa, die mir nackt in unserem Büro gegenübersitzt und ganz normal arbeitet, als wäre es das Normalste der Welt. Dieses Bild ließ mich nicht mehr los. Auch Tessa wirkte etwas in Gedanken verloren. 

Den Rest des Abends sprachen wir nicht mehr über Tessas Wetteinsatz und schauten noch das zweite Viertelfinale an. Nach dem Elferschießen lud ich Lea bei sich zu Hause ab und fuhr dann weiter zu meiner Wohnung. Mein Kopfkino hatte mich den ganzen Abend immer wieder eingeholt und so holte ich mir auf den Gedanken, dass Tessa am Montag nackt arbeiten würde, noch einen runter und ging anschließend ins Bett. 

In der Nacht dachte ich noch weiter über Tessa nach. Wir waren in den letzten Jahren gute Freunde geworden, konnten über nahezu alles offen miteinander reden. Manchmal dachte ich, dass ich sogar ein wenig verliebt in sie war. Aber ich konnte das nicht so recht einordnen. Sie faszinierte mich auf jeden Fall mit ihrer Art. Wer sie nicht gut kannte, sah in ihr ein eher schüchternes junges Mädchen, doch wenn man sie erstmal gut kannte, hatte sie es durchaus faustdick hinter den Ohren. Sie war ein wenig alternativ unterwegs und machte sich recht wenig draus, was andere über sie dachten. Mir gefiel diese Einstellung irgendwie. Je mehr ich so über sie nachdachte, desto mehr konnte ich mir wirklich vorstellen, dass sie das am Montag tatsächlich durchziehen würde. Andererseits aber auch gar nicht. Würde sie die Sache einfach totschweigen? Ich konnte es wirklich nicht einschätzen. So ging das Wochenende allmählich rum und ich wartete gespannt darauf, was morgen passieren würde.