Weeslower Chroniken V - 2002 - Jasmin - Kapitel 7 - Der Tanz
Weeslower Chroniken V - 2002 - Jasmin - Kapitel 7 – Der Tanz
Später gab es im Festsaal kurze Ansprachen des Ministers, des Landrats und von Weber, dann bat man zu Tisch. Weber und der Minister verschwanden kurz zum anschließenden Pressegespräch.
Jasmin wurde beim Essen eingerahmt vom Landrat und von Aron, ihr gegenüber saßen Daniela und ihre Chefin Louise. Der Landrat, ein dicker, jovialer Möchtegern-Provinzfürst, stierte ständig in ihren tiefen Ausschnitt und wurde ab und an richtig anzüglich im Gespräch. Doch diese unangenehmen Momente fanden glücklicherweise ein Ende, da er zum Pressegespräch anstelle des Ministers, der schon abreisen musste, geholt wurde.
Stattdessen nahm Weber, als er von seinem Teil des Interviews zurückkam, einfach dessen Platz ein und ließ sich einen neuen Teller bringen. Im Vergleich zu dem Weber, den Jasmin in der Zeit vor dem Foto-Shooting kennen gelernt hatte, schien das hier ein ganz anderer Mensch zu sein. Er war äußerst aufmerksam und charmant und ließ die Unterhaltung mit ihr nie abbrechen, selbst wenn er andere dazu in das Gespräch einband. Es schien, als sei mit der pünktlichen und gelungenen Eröffnung eine Menge Druck von ihm abgefallen und als könne er endlich seine angenehmere menschliche Seite zeigen.
Doch dieser Moment der Nähe wurde beim Hauptgang wieder gestört, als dieser blöde Landrat zurückkehrte, und Weber den Platz höflich wieder an ihn abtrat. Sie flüchtete vor seinen erneuten Anzüglichkeiten noch vor dem Dessert, gemeinsam mit Aron, zum Haupteingang, wo jener eine rauchen wollte.
Draußen war es mittlerweile recht kühl geworden, es hatte einen kurzen Regenschauer gegeben. Jetzt war der Himmel klar, und beide schauten vom Vorplatz aus in die Sterne. Aron sah, dass Jasmin fröstelte, und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie schmiegte sich an ihn an. Doch die kühle Abendluft spürte sie nicht nur an den ungeschützten Beinen, sondern bis oben hinauf, bis in den Schritt. Ungewohnt und kribbelig, fand sie, aber auch aufregend. Eine Weile würde sie das schon aushalten können, dann aber wollte sie schnell wieder ins Warme zurück. Sie wandelten ein wenig durch den angrenzenden, immer noch von Fackeln erhellten, jetzt menschenleeren Park, den sie so gut kannten. Kein Wort war nötig, allein das traute Zusammensein reichte den beiden in diesem Moment, um sich einander nah und vertraut zu fühlen.
Erst kurz bevor sie das Gebäude wieder erreicht hatten, blieb Jasmin stehen und hielt ihn zurück. „Du Aron..“ begann sie vorsichtig, „weißt Du, ich habe damals beim Shooting, als ich Dich zum ersten Mal mit Ralph gesehen habe, echt gedacht, dass Du schwul bist.“
Er lachte. „Da kann man mal sehen. – Ich hoffe, es ist jetzt kein Problem für Dich, aber – ich mag auch Männer.“
„Also beides?“
„Exakt. Wobei, falls es Dich beruhigt, im Wesentlichen bezieht sich das auf Ralph. Das ist schon eine sehr, sehr lange Geschichte zwischen uns.“
„Ein wenig beruhigt mich das tatsächlich.“ Sie zog ihn wieder weiter. Für sie war das Thema ein für alle mal geklärt und damit keines mehr. „Sonst müsste ich ja auch noch permanent auf die andere Hälfte der Menschheit eifersüchtig sein.“
Aus dem Dunkel vor dem Hauptgebäude trat Nadine hervor und kam näher.
"Pst..." machte sie. "Habe mich gerade davon gestohlen. Irgendso ein Blödmann von Landrat wollte mir gerade ein Gespräch aufdrängen.“
„Wo ist Dein Freund Michael?“ wollte Jasmin wissen.
„Der musste los, auf Sara aufpassen. Die war bis eben noch bei meiner Freundin, aber allzu lange lassen wir sie noch nicht allein.“
„Wie alt ist sie denn?“
„Ein Jahr. Sie ist zwar schon länger in der Kita. Aber abends ohne uns, das kennt sie noch nicht. - Mir ist das hier zu frisch, kommt Ihr mit rein? Aber lasst mich nicht allein.“
Als Aron und Jasmin durch die hintere Tür wieder in den Saal kamen, waren die Tische schon abgeräumt und wurden gerade zur Seite gestellt. Kurz darauf spielte eine Band auf, und Jasmin und die anderen waren sich einig, dass die Musik ziemlich gut war. Zu ihrer eigenen Überraschung verspürte sie plötzlich Lust zu tanzen.
Doch zunächst wurde ihr von Nadine noch jemand aus Weeslow vorgestellt. Es war jene Frau, die ihr zuvor in der Honeymoon-Suite zugezwinkert hatte. Sabine Wollenhaupt, zusammen mit Nadines Freund Michael die Vorsitzende des örtlichen Vereins.
„Welchen Vereins?“ wollte Jasmin wissen. Sie erinnerte sich nur noch dunkel an eine frühere Bemerkung Nadines.
„Michael und ich leiten den Verein ´Weeslower See e.V`. Wir betreiben das Strandbad. Und kümmern uns um das Gelände drumherum und so.“ erklärte die blonde Frau freundlich.
„Unser FKK-Verein.“ ergänzte Nadine.
„Ach nein, so ganz stimmt das nicht.“ widersprach Sabine Wollenhaupt. „Bei uns kann jeder Mitglied sein. Und am See ist auch Textilbaden erlaubt, ganz klar.“
„Macht nur keiner.“ unterbrach Nadine erneut.
Die Dame nickte. „Das ist etwas anderes. Also, was Nadine sagt, stimmt schon, die meisten Leute bei uns baden nackt. Das hat schon lange Tradition. Und wir freuen uns immer, neue Nackt-Freunde aufnehmen zu können. Also, wenn Sie Lust hätten…“
Jasmin war jetzt in ausgelassener Stimmung. „Bin dabei!“.
Sie wurde gleich noch jemandem vorgestellt, diesmal von Nadine: Das junge dunkelhaarige Mädchen war etwa in Jasmins Alter, bildhübsch, herrlich schlank und demnächst Auszubildende im Eden. Sie hieß Sabrina, kam aus Rostock, und war von Webers Partner Dr. Berg und Daniela Bodenhain „entdeckt“ worden. Allein ihr leicht verschämtes Lächeln ließ Jasmin sofort dahinschmelzen.
Nun wurde die Musik lauter und es entstand eine allgemeine Unruhe. Prompt wurden die beiden Damen zum Tanz aufgefordert, Jasmin von Aron, Sabine Wollenhaupt vom Bürgermeister. Jasmin legte noch schnell ihr Cardigan-Jäckchen ab, zwinkerte Nadine zu, die gerade vom bereits leicht schwankenden Landrat angesprochen wurde, und wünschte ihr schmunzelnd ´viel Spaß´.
Für Jasmin war das eine willkommene Ablenkung. Nein, das jetzt gerade war nicht ihre Musik, eher eine dem hohen Durchschnittsalter der Gäste entsprechende. Und sie hatte auch noch nie Standardtanz gelernt. Doch das war ihr jetzt egal. Aron wusste, was er tat. Selbstsicher und gewandt führte er sie, und sie musste nichts weiter tun als sich führen, leiten und drehen zu lassen.
Aron machte sie mit einer Bewegung seines Kopfes auf das neben ihnen tanzende Paar aufmerksam, Bürgermeister Dreyer und Sabine Wollenhaupt, und meinte, dass die beiden früher mal ein Paar gewesen seien.
„Schön, dass sie sich noch so gut verstehen.“ hauchte Jasmin eher, als das sie sprach, so sehr wirbelte er sie herum. „Ist Lissy seine Neue? Ich meine…“
Sie wechselten immer ein paar knappe Worte, wenn sie sich nahe waren, dann schwangen sie wieder auseinander, und führten ihre kleine Unterhaltung fort, wenn sie wieder zueinander fanden.
Er grinste: „Sehr aufmerksam. Gut bemerkt. Ja, so kann man sagen.“
Sie wollte wissen, wie er das meinte, dann wirbelte sie schon wieder davon. Ihr weit geschnittener Rockteil wickelte sich am Ende der Drehung um ihre Beine und schwang wieder hoch auf, wenn sie sich entgegen gesetzt zurück drehte.
„Lissy ist so etwas wie seine Dauergeliebte. Seit vielen Jahren schon.“ Er wartete die nächste Drehung ab, bis sie wieder nah bei ihm war, dann fuhr er fort: „Ganz offiziell.“
„Erzähl mir mehr davon. Ich liebe solche Geschichten.“
„Sie ist seine Assistentin. Seine Muse. Und sein Fickhäschen.“
„Aron!“
„Ist so. Sie tritt jeden Morgen zum Fahnenmastappell an.“
„Du meinst ´Fahnenappell´?“
„Nein. ´Mast´. So nennen sie das. – Jeden Morgen zum Dienstantrittt bläst sie ihm einen. An seinem Schreibtisch.“
„Aron!“ Jasmin blieb mitten in der Umdrehung abrupt stehen, ihr langes blondes Haar hing ihr wild ins Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung wischte sie es zur Seite. „Woher willst Du das wissen?“
„Hat sie mir selbst erzählt. Ist so eine Art Ritual zwischen den beiden.“
Das Lied war zuende. Jasmin griff seine Hand und führte ihn von der Tanzfläche zur Bar, nahm zwei Gläser Prosecco, die dort bereit standen und gab ihm eines davon. Sie suchte den Saal ab und erblickte schließlich Lissy, die sich mit ein paar anderen Gästen lebhaft unterhielt. In ihrem superkurzen Rock war sie leicht zu finden. „Das ist nicht wahr, oder?“
„Doch.“
„Wieso sollte sie Dir das erzählen?“
„Wir kennen uns seit unserer Jugend. Sie war in der Klasse meiner älteren Schwester.“
Jasmin schaute ihn aufmerksam an. „Und Du, hast Du auch schon mal mit ihr…“
Er beendete grinsend ihren Satz. „…geschlafen? Ja. Aber das haben hier in Weeslow schon so viele Männer...“
Wieder sah Jasmin zu der anderen hinüber. „Also so eine ist sie…“
„Was immer Du damit meinst… Früher vielleicht. Aber heute führt sie für Weeslower Verhältnisse ein ganz normales Sex-Leben. Sie hat einen festen Freund – und eben dazu noch ihren Chef Dreyer. Die ganze Stadt weiß davon. Aber warum auch nicht?“
Sie beugte sich herab und schnürte die Bändchen ihrer High Heels ab, dann zog sie sie aus und reichte sie hinüber zu einem Mädchen hinter der Bar. Es war die süße Sabrina. „Könntest Du die hier irgendwo aufbewahren?“ Und zu Aron gewandt. „Komm, lass uns weiter tanzen. Barfuß kann ich das besser als auf diesen Stelzen. Was ist das?“ Ohne ihre Schuhe war sie jetzt einen ganzen Kopf kleiner als er.
„Ein Jive.“ Er nahm ihre Hand und führte sie auf die Tanzfläche, wo noch drei andere Pärchen waren, darunter Dreyer, nun mit einer ihr unbekannten Frau mittleren Alters.
„Jeden Morgen?“ fragte Jasmin noch einmal ungläubig nach, kurz bevor sie einsetzten.
„Ja. So sagt sie. Und das ist ja nicht das einzige, was die beiden so treiben.“
„Er muss ja ziemlich potent sein.“
Aron hob die Augenbrauchen. „Ich weiß auch nicht, ob es am Weeslower Wasser…“ Er schob sie von sich, holte sie zurück. „…oder an unser guten Luft liegt. Aber das sind wir Männer hier alle.“
Mit der freien Hand klapste sie ihm auf den Bauch. „Angeber.“
„Was machst Du nachher?“
„Weiß noch nicht.“ Bislang war sie dafür noch viel zu aufgewühlt gewesen, doch augenblicklich wurde ihr klar, was sie wollte.
„Ich könnte mir von Daniela den Schlüssel zur Honeymoon-Suite geben lassen.“
Als sie nah genug an seinem Ohr vorbei kam, flüsterte sie: „Tu das bitte!“
Von da an tanzte sie nur noch umso befreiter. Beinahe vergaß sie, wo sie sich befand und unter welchen Umständen, was sie vorhin noch so erregt und aufgeregt hatte. Jetzt war ihr das alles egal. Die ganzen belastenden zwei Wochen, die sie sich mit schlechtem Gewissen gegenüber Max gequält hatte, waren wie weggeblasen. Hier gehörte sie hin, hierhin nach Weeslow. Und zu Aron.
Sie drehte sich, ihr Kleid schwang hoch, ihre gebräunten schlanken Beine wirbelten, die beiden wurden immer ausgelassener und hingebungsvoller. Die anderen Pärchen machten respektvoll Platz, und sie hatten die ganze Fläche und die ganze Aufmerksamkeit für sich. Er im weit offenen weißen Hemd und der schmalen, engen schwarzen Hose, sie in ihrem Kleinen Schwarzen. Ihr jugendlich fester voller Busen unter dem hautengen Stoff wogte auf und ab, die dünnen Träger ihre Kleides verrutschten immer wieder und mussten schnell an die richtige Stelle geschoben werden, wollte sie das Kleid nicht irgendwann womöglich verlieren. Ihre herrlich langen Beine, ihr Poansatz kamen immer wieder schön zum Vorschein, ihre blonde Mähne wirbelte wild herum, ihr lachender Mund erfüllte ihr ganzes strahlendes Gesicht. Kurz vor Schluß eine zweifache Pirouette an seinem Arm. Und erblickten die Zuschauer ringsherum da nicht für einen Bruchteil von Sekunden auffällig viel Haut und so gar keinen Stoff unter dem hoch schwingenden Saum, oder bildeten die sich das nur ein?
Mit einer gewagten Figur, sie dahingestreckt in seinen Armen, endeten sie zum letzten Akkord, um sie herum brandete stürmischer Beifall auf, viele bewunderten die Jugend und dachten vielleicht wehmütig an ihre eigene. Er verbeugte sich, sie knickste lieb vor ihrem Publikum, dann führte er sie ab und strebte zur Bar.
„Oh Gott, ist mir heiß.“ meinte sie dort zu Daniela und Louise, eine Hand auf ihrem Brustkorb, mit der anderen Luft zufächelnd. „Bin ich froh, dass ich kein Höschen trage.“ Es klang dabei so unschuldig, wie es von ihr in diesem Moment auch gemeint war.
Ihre Chefin Louise legte je eine Hand auf Arons und auf Jasmins Schulter. „Gut, dass Ihr beide tanzt.“
„Ja“, ergänzte Daniela. „Wir waren uns gerade einig, dass ohne Euch beide hier eine Stimmung wäre wie auf einer Goldenen Hochzeit.“
„Zum Glück haben wir das nicht zu verantworten.“ meinte Louise. „Wir hätten das besser organisiert, oder?“
„Immerhin, die Band ist okay.“ fand Jasmin. Mit erhitzten Wangen ordnete sie ihre zerzausten langen Haare so gut es eben ging. Nadine, bestens organisiert wie immer, reichte ihr einen Kamm, mit dem Jasmin zur Damentoilette verschwand.
Hier nun kam sie zum ersten Mal überhaupt halbwegs zur Ruhe. Sie sah vor sich im Spiegel erstmals eine Jasmin auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Sie spürte: Ihre Zukunft lag nicht mehr bei Max und Louise, nicht in Berlin, sondern hier. Hier wollte sie leben, in Weeslow, dem freien, offenen, toleranten Weeslow. Bei Menschen wie Aron, unabhängig davon, wie es mit ihm weiter ging, wie Nadine, wie Sabine Wollenhaupt, sogar wie diesem charmanten Macho Dreyer. Hier gehörte sie hin.
Auf dem Weg zurück traf sie im Gang auf Lissy.
„Wow! Ihr tanzt großartig! Ich wusste gar nicht, dass Aron so ein guter Tänzer ist.“
„Oja, er versteht was davon.“
„Und Du siehst einfach großartig aus.“
„Danke.“
Sollte sie sich trauen zu fragen? Sie gab sich einen Ruck. „Du kennst ihn doch ganz gut, oder?“
Lissy wog den Kopf. „Ja, doch, kann man sagen.“
„Ist er verlässlich?“
Die andere lachte laut auf. „So eine kurze Frage – und so treffend. – Ja. Ist er. Er ist eine treue Seele. Wobei…“ Sie machte eine kurze Pause. „Treu jetzt nicht in Bezug auf Sex, sondern mehr im Sinne von verlässlich eben. Er ist ein prima Freund.“ Noch eine Pause. „Und wenn Du mit ihm zusammen kommen solltest, Süße, dann hättest Du eine erstklassige Wahl getroffen.“ Und dann, schon im Weggehen. “Man kann sich auf ihn verlassen. – Sorry, ich muss ganz dringend…“
Kommentare
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