Weeslower Chroniken I - 1997 - Nadine - Kapitel 5 - Beim Bürgermeister
Weeslower Chroniken I - 1997 – Nadine - Kapitel 5 – Beim Bürgermeister
Nadine war nun schon drei Tage bei Michael und hatte das Areal des Grundstücks bis hin zur Badestelle – und bis auf ihren etwas missglückten Bootsausflug – bisher noch nicht verlassen. Sie hatte an diesen drei sommerlich warmen Tagen noch kein einziges Kleidungsstück getragen - wenn man die Sicherheitsschuhe nicht dazu zählte.
Ans Gefühl des Nacktseins hatte sie sich überraschend schnell gewöhnt, so sehr, dass sie oftmals ganz vergaß, dass sie es war, wenn sie in Haus, Garten oder auf dem Weg zum See so herumlief. Dass andere sie dabei so sahen, empfand sie mehr und mehr als natürlichen Zustand an. Ihr Vorbild war Michael, dem das so beneidenswert leichtfiel, und so wurde auch sie immer lockerer und freier dabei. Egal, ob es die beiden hünenhaften Polen waren, die wunderbare Agata, ihr Nachbar Karl, der ab und an mit dem Rollator den Weg entlangschlurfte und immer nett grüßte, ob Elsa oder ihre Besucher, die sie auf der Terrasse empfing, Radfahrer oder Wanderer, die vorbeikamen, der Postbote oder einmal auch ein Trupp von Arbeitern, die einen Minibagger für Drainagearbeiten auf dem Grundstück entluden: Sie alle durften sie gern so sehen. Hier in Michaels Reich fühlte sie sich unbekleidet einfach sauwohl, auch an der Badestelle, an der sie, anders als Michael es behauptet hatte, mit ihm zusammen meist die einzige Nackte blieb. FKK war jetzt ganz ihre Sache, und wofür sollte sie sich schämen? Für ihren jungen, durchgehend gebräunten Körper? Oder dass sie in dieser Sommeridylle gern frei und völlig unbekleidet herumlief, so angenehm glatt rasiert obendrein? Sabine Wollenhaupts Bezeichnung „Lippenbekenntnis“ kam ihr immer wieder in den Sinn, und sie fand ihn unglaublich passend.
Und natürlich bestärkte es sie, dass man ihr bisher durchgehend mit absolutem Wohlwollen begegnet war, ja, dass sie an der Badestelle auf andere sogar schon ansteckend gewirkt hatte.
Am Montag bot Michael ihr an, sie nach Weeslow mitzunehmen. Er wollte ihr den Ort zeigen, gleichzeitig einen Termin bei Bürgermeister Dreyer wahrnehmen, anschließend dann – endlich – den schon so häufig erwähnten Weeslower See zeigen. Nadine lief hinüber zu Elsa, die noch immer keine Gäste unterbringen konnte, und ließ sich erstmals ihre Jeans-Shorts und ihr T-Shirt zurückgeben.
„Du siehst so verändert aus.“ meinte Schneider, als er sie angezogen zurückkommen sah.
„Ja, ungewohnt, oder?“ Sie schaute an sich herab und drehte sich vor ihm einmal im Kreis.
„Ein Kleid wäre mir irgendwie lieber.“ befand er.
„Mir auch. Aber da muss ich passen.“
„Du könntest Agata fragen. Vielleicht ist sie noch da.“
Und so lieh sich das Mädchen bei ihrer neuen Freundin das sommerlichste Stückchen Stoff, das aufzufinden war, ein schlichtes, dünnes weißes Trägerkleidchen aus einem Leinen-Baumwollgemisch, so ungeheuer kurz, dass sich das Freundschaftsbändchen, das sie am Handgelenk trug, ständig unter dem Saum verfing. Aber es passte perfekt zum herrlichen Sommertag, zu ihrer unglaublichen Bräune und zu ihrer erwartungsvollen Stimmung. Dazu hatte ihr Agata beige-farbige Sandaletten mit einem hohen Keilabsatz auf Kork mitgegeben, was Nadines lange schlanke Beine nur noch länger erscheinen ließ.
Michael entfuhr ein anerkennender Pfiff, als er sie nun sah. „Mutig!“ Er hob den Saum an, um sich zu vergewissern, dass Nadine sich nichts anderes als dieses Kleid ausgeliehen hatte.
Nadine zuckte mit den Achseln. „Ich konnte Agata ja wohl kaum um ein Unterhöschen bitten, oder? Das muss so gehen.“
„Du bist wirklich angekommen!“
„Und wer ist daran schuld? Nur Du!“ Sie legte ihre nackten Arme um seinen Hals und küsste ihn.
„Fahren wir Auto oder Rad?“
„Rad.“
Sie holten zwei schon etwas betagtere, aber funktionstüchtige Fahrräder aus einem von Elsas Schuppen und fuhren los. Ab und an schaute Nadine etwas ungläubig an sich herab. Sie saß nicht auf dem Stoff, sondern mit nacktem Po auf dem Sattel und ließ den Stoff frei wehen, zumindest solange sie nur durch die Feldmark fuhren. Nadine genoss das ungewohnte Gefühl des Fahrtwinds in ihrem Schritt und am Po. Außerdem hatte sie ihre Freude an ihrer schon richtig intensiven frischen Sommerbräune.
Als ihnen ein erster Traktor entgegen kam, wollte sie sich allerdings doch lieber etwas bedeckter halten, und so versuchte sie, sich den Stoff zwischen Po und Sattel zu klemmen. Doch das Kleid war einfach zu kurz, so sehr sie auch zog und es streckte, es reichte nicht. Sie fuhr langsamer, damit der Fahrtwind das Kleidchen nicht anheben konnte und ließ den Traktor passieren.
Als sie weiterfuhren, zupfte sie weiter daran herum.
Michael meinte grinsend: „Lass es doch!“
Mit skeptischem Blick schaute sie wieder an sich herab. Mitunter wehte das Kleid bis zu Bauchnabel und Taille hinauf. Sie verfluchte sich innerlich für ihren Übermut.
„Was ist denn dabei, wenn es jemand bemerkt – falls man das so schnell überhaupt kann?“ fragte er sie. „Was sieht man denn außer Haut?“
Sie verzog nur das Gesicht.
„Entspann Dich. Du siehst aus wie eine junge Frau, die auf dem Weg zum Badesee oder so ist. Die einen werden denken ´wie praktisch´, die anderen werden sich über den Anblick freuen. Glaubst Du, irgendjemanden stört das?“
„Weiß nicht. Komme mir einfach komisch vor.“
„Musst Du nicht.“ versuchte er weiter, sie zu beruhigen.
Nadine aber fuhr, als sie den Ortseingang erreichten, einhändig und legte ihre linke Hand locker auf den Schenkel, hielt damit das weiße Kleid unten. Nur am Po flatterte es weiter, aber auch das nicht mehr so hoch. Doch auch so war sie mit ihren langen, schlanken, schön gebräunten Gliedern, ihren nackten Schultern, ihrem tiefen Auschnitt ein hübscher Anblick für alle, denen sie begegneten.
Weeslow war nicht groß, hatte noch rund 3000 Einwohner, war damit in der Gegend aber schon ein lokales Zentrum. Es gab eine Kirche, einen kleinen Marktplatz mit Brunnen, ein restauriertes Rathaus, ein paar Geschäfte, eine kleine Fußgängerzone, zwei Arztpraxen, einen kleinen Park, Grundschulen, sogar eine höhere Haupt- und Realschule. Außerdem ein Gewerbegebiet, das von der immer noch existierenden Fabrik für Elektromotoren, die jetzt zu einem Westkonzern gehörte, dominiert war, ansonsten die üblichen Gebrauchtwagenhändler, Bauhandwerker und Discounter. Alles in allem sehr beschaulich, aber ordentlich und in teils sehr gutem Zustand, was in der ländlichen und recht armen Gegend nicht allzu häufig anzutreffen war. Den Weeslowern ginge es dank des Elektromotoren-Werkes noch immer ganz gut, noch gab es hier nicht wie andernorts große Landflucht. Eher sogar zuziehende Berliner mit Geld, die für gute Steuereinnahmen sorgten. Aber, ergänzte er, unser neues Zugpferd soll der Tourismus werden, d
er FKK-Tourismus.
Sie kamen an der Kirche vorbei, hielten an und klopften im alten Pfarrhaus bei Pastor Varnholt, der jedoch nicht da war.
Im Rathaus waren sie zu früh, aber Lissy, die Assistentin von Bürgermeister Dreyer, die Michael schon als die Seele des Vereins angekündigt hatte, begrüßte sie beide herzlich wie gute Freunde. Sie war gerade aus Dreyers Büro gekommen, sofort auf die beiden zugestürmt und umarmte erst Schneider und dann die überraschte Nadine.
Lissy mochte Anfang zwanzig sein, war einen halben Kopf größer als Nadine und hübsch, recht schlank, mit üppiger Oberweite. Sie gefiel Nadine auf Anhieb und übertraf Michaels Beschreibungen von ihrer heiteren Art und ihres bezaubernden Charmes. Und Michael hatte so von ihr geschwärmt, dass Nadine meinte eifersüchtig werden zu wollen. Aber Lissy nahm sie wirklich sofort für sich ein.
Als Lissy ihren Kopf in die Tür zu Dreyers Büro hielt, um sie anzukündigen, murmelte Michael kaum hörbar: „Fällt Dir was auf?“
Nadine sah ihn nur fragend an. Er murmelte weiter: „Was die beiden wohl gerade gemacht haben?“
Nun erst bemerkte Nadine, dass sehr viele Knöpfe an Lillys Dekolleté offen standen, ihr üppiger Brustansatz weithin zu sehen war. Das knielange rote Sommerkleid war am Rücken ziemlich zerknittert, auch etwas feucht von Schweiß. Und ihre langen dunkelbraunen Haare waren ziemlich zerzaust.
Nadine schaute ihn vergnügt an: „Etwa das, was ich denke?“
„Bestimmt. Dreyer hat einen ganzen Harem in Weeslow, aber Lissy ist seine Favoritin. Oder Muse, wie er sagt.“
Sie wurden hineingebeten. Lissy rief in Richtung von Dreyer: „Peter, brauchst Du mich gerade? Ich gehe sonst kurz duschen.“ Mit einem vielsagenden Augenzwinkern ließ sie die beiden Gäste hindurch. Offener hätte sie das, was die beiden vermuteten, kaum zum Ausdruck bringen können.
Dreyer kam um seinen Schreibtisch herum auf die beiden zu. „Ah, Du hast Deine schöne Elfe mitgebracht.“ meinte er zu Michael, während er Nadine die Hand gab.
Sollte das etwa komisch sein, fragte sich Nadine. Und nur Michael anzusprechen statt mich, als wäre ich sein Hund, ist das vielleicht höflich? Oder doch einfach nur ignorant? Sie war augenblicklich verstimmt.
Dreyer merkte davon nichts, mit großer Geste bat er sie in seine Sitzecke.
„Ein schönes Kleid!“ bemerkte er, doch sie empfand seinen Tonfall dabei als so selbstgefällig, dass sie es unmöglich als Kompliment auffassen konnte.
„Danke.“ sagte sie schlicht, ohne weiter darauf einzugehen.
Als alle drei Platz genommen hatte, wurde Nadine von ihm völlig unverblümt von oben bis unten gemustert, wobei Dreyers Blick auffällig lange zwischen ihren Schenkeln verweilte. – Sie legte schnell beide Hände in ihren Schoß, um ihm unliebsame Einblicke zu verwehren. - Unter was für Machos bin ich hier nur geraten?, fragte sie sich und rutschte unangenehm berührt auf ihrem Sessel herum. Michael merkt von alldem ja auch nie was.
Nach einer Weile jedoch galt das Interesse Dreyers dann doch Michaels Anliegen, wobei immer mal wieder ein Blick von ihm über Nadines schönen Körper streifte. Sie würdigte ihn jedoch keines weiteren Blickes mehr.
Er wandte sich in einer Gesprächspause, in der Michael nach Unterlagen suchte, Nadine zu, fragte sie anscheinend interessiert nach einigen Dingen aus ihrem Leben, schaute dabei nicht etwa in ihr Gesicht, sondern auf ihren tiefen Ausschnitt. Nadine antwortete erneut knapp und kühl.
Stattdessen stellte sie selbst nun nach und nach kluge Fragen zu dem Bauantrag, den Michael vorbereitete, hörte der Antwort zu, erwog sie und fragte weiter, ebenso durchdacht und logisch. Der Respekt der beiden wuchs sichtbar, und Dreyer meinte, diesmal aufrichtig anerkennend: „Sie kennen sich mit der Materie aus?“
„Nein.“ gab sie knapp zurück. „Aber ich will es gern verstehen.“
Das schien auf ihn zu wirken, er legte ein wenig von seinem Imponiergehabe ab. Wenig später wandte er sich an sie, um ihre Einschätzung zu hören. Und das tat er diesmal deutlich respektvoller und ernsthafter.
Und Nadine spürte etwas für sie Neues: Sie hatte Macht über andere, vor allem über Männer. Erst dieser Widerling Hans Weber, dem sie sich zwar nur durch Flucht entzogen, aber immerhin entzogen hatte, nun dieser Typ, dem sie kühl widerstand und der spüren durfte, dass sie kein dummes Häschen war, das auf noch dümmere Anmache stand.
Das dunkelhaarige Mädchen rückte ein wenig im Sessel vor und machte es sich bequemer. Er saß ihr direkt gegenüber. Sie hob erst eine Hand und legte den Unterarm auf die Armlehne, nach einer Weile die andere. Bestimmt konnte er nun ein wenig unter ihren lose über dem Schoß liegenden knappen Saum schauen, vielleicht ihre Nacktheit darunter erahnen oder gar erkennen. Aber damit hatte sie nun kein Problem mehr. Soll er mich doch so sehen, dachte sie, soll er doch sehen, was er nicht kriegen kann.
Nach dem Besuch, als sie vor dem Rathaus standen und die Räder aufschlossen, lobte Michael sie überschwänglich. „Du hast einen super Eindruck gemacht.“
„Du nicht.“
„Wieso?“
Seine offensichtliche Ahnungslosigkeit enttäuschte sie umso mehr. Sie hantierte konzentriert an ihrem Schloss. „Der hat mich anfangs behandelt wie ein Stück Fleisch. Merkst Du sowas gar nicht?“ Sie stieg auf und radelte voraus.
Michael holte schnell auf. „Aber…“
Nun schaute sie ihn kurz böse an, bevor sie sich wieder der Straße zuwandte. „Das war das zweite Mal. Dieser Weber war ja noch schlimmer. Was für ein Chauvi! Und wie ihr dem alle in den Arsch gekrochen seid…“
„Aber Du…“ Doch er verschluckte den Rest des Satzes. Er ahnte, dass er alles nur schlimmer machen würde, wenn er sich die Worte nicht genau überlegte.
Ihrer Verärgerung hatte sie Luft gemacht, das tat gut. „Fahren wir jetzt zum See?“ fragte sie und klang dabei schon versöhnlicher.
„Gern.“
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