Onkel Roberts Tagebuch


fliwatuet

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13.12.2025
Voyeurismus

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Die Feierlichkeiten waren vorbei. Viele Menschen waren gekommen, um Onkel Robert das letzte Geleit zu geben. Der Bürgermeister, der Vorsitzende des Rotary Clubs und nicht zuletzt der Pfarrer hatten bewegende Worte gefunden, um ihre Trauer auszudrücken und den Verstorbenen zu würdigen. Robert Ziegler war in der Gemeinde beliebt gewesen – ruhig, freundlich, stets hilfsbereit. Julia hatte ihn für eben diese Eigenschaften geschätzt, auch wenn ihr Verhältnis zu ihm nie besonders eng gewesen war; er war der Bruder ihres Großvaters und lebte seit jeher in einiger Entfernung.

Onkel Robert war verwitwet und kinderlos. Soweit Julia wusste, war er im Alter von 95 Jahren friedlich in seinem Bett eingeschlafen. Seine Haushaltshilfe hatte ihn am folgenden Morgen gefunden.

Als die Trauergäste sich zwischen den Gräbern zerstreuten, trat ein älterer Herr an sie heran.
„Gestatten, Kalkhoff“, sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich war ein Freund Ihres Onkels. Vor meinem Ruhestand war ich Anwalt, und er bat mich, nach seinem Ableben ein paar Dinge zu regeln. Wegen des Erbes werden Sie Post vom Notar erhalten. Doch eines sollte ich Ihnen ganz persönlich am Tag seiner Beerdigung übergeben.“

Er zog eine dicke Mappe aus seiner Aktentasche und drückte sie Julia in die Hand.
„Bitte. Er bestand darauf.“

Julia öffnete den Mund, um etwas zu fragen, doch der Mann wandte sich bereits ab und verschwand mit überraschend schnellen Schritten. Etwas verwirrt legte sie die Mappe auf den Beifahrersitz ihres Autos und fuhr zum traditionellen Leichenschmaus.

Wie so oft bei solchen Anlässen löste sich die gedrückte Stimmung nach und nach. Die weit verstreute Verwandtschaft nutzte die seltene Gelegenheit, sich auszutauschen, Erinnerungen zu teilen und Geschichten über den Verstorbenen zu erzählen. Es gab niemanden, der Schlechtes über ihn zu sagen hatte – und das, fand Julia, lag nicht allein daran, dass er erst gestern verstorben war.

Der Nachmittag verging schnell. Am frühen Abend verabschiedeten sich die Gäste voneinander und versprachen wie immer, sich öfter zu melden.

Als Julia wieder ins Auto stieg, fiel ihr Blick auf die Mappe. Doch Müdigkeit machte sich bemerkbar, und sie beschloss, sie erst am nächsten Tag zu öffnen. Sie hatte sich freigenommen, wollte erst am Nachmittag zurückfahren und hatte für die Nacht ein Zimmer in einer kleinen Pension gebucht. Kurz darauf fiel sie erschöpft ins Bett.

Am nächsten Morgen weckte sie die Sonne. Für Mitte Mai war es ungewöhnlich warm, und sie entschied, einen kleinen Ausflug zu machen. Von früheren Besuchen kannte sie einen schönen Spazierweg. Sie parkte am Wanderparkplatz und nahm den Umschlag mit – vielleicht würde sie unterwegs Zeit finden, hineinzusehen.

An einer ruhigen, sonnigen Sitzgruppe legte sie schließlich eine Pause ein. In der Mappe lagen zwei kleine Hefte. Auf dem ersten stand in ordentlich geschwungener Schrift:

„Robert Ziegler: Erinnerungen an die Kriegszeit 1944–1945“

Julia runzelte die Stirn. Über den Krieg hatte ihr Großonkel nie viel gesprochen – wie so viele seiner Generation. Sie wusste nur, dass er 1944 eingezogen und nach Frankreich geschickt worden war. Offenbar hatte er seine Erlebnisse niedergeschrieben.

Gespannt schlug sie das Heft auf. Die Seiten waren in sauberer, altmodischer Handschrift verfasst. Mit etwas Konzentration ließ sich der Text gut lesen.

Mai 1944 – Schule

Unser Lehrer wiederholt zum x-ten Mal die Erzählung vom Endsieg und den Wunderwaffen, die der Führer jetzt gegen den anglo-bolschewistischen Feind einsetzen will. Ich kann schon kaum noch zuhören. Für Mitte Mai ist es ungewöhnlich warm, und meine Gedanken schweifen ab.

Ich denke an die Kameraden aus den höheren Klassen, die inzwischen eingezogen wurden und irgendwo an der Front kämpfen. Besonders begeistert war ich von den Nazis und ihrem Krieg noch nie. Auch meine Eltern – beide katholisch – waren skeptisch, selbst damals, als nach den schnellen Siegen über Frankreich vor vier Jahren im ganzen Städtchen die Begeisterung ausbrach.

Heute ist davon wenig geblieben. Die Stimmung ist umgeschlagen in Resignation und stummen Trotz. Kritik äußert niemand offen; man hört von Verhaftungen. Viele Väter, Brüder und Söhne sind vermisst oder gefallen. Unsere Städte werden fast täglich bombardiert, auch wenn unsere bisher weitgehend verschont blieb.

Ich bin der einzige Sohn meiner Eltern. Das besorgte Gesicht meiner Mutter verrät mir jeden Tag, dass sie befürchtet, auch ihr siebzehnjähriger Junge könne bald den Einberufungsbescheid erhalten.

Das Klingeln der Schulglocke erlöst uns endlich. Auf dem Heimweg spüre ich ein flaues Gefühl im Magen. Zu Hause empfängt mich meine Mutter mit verweinten Augen. Der lange gefürchtete Brief ist eingetroffen. Sie hat ihn bereits geöffnet. Oben prangt der Reichsadler mit Hakenkreuz.

„… am 13. Mai um 8:00 einzufinden …“

Als meine Mutter den Brief in der Hand hielt, zitterten ihre Finger. Sie versuchte, gefasst zu wirken, doch ihre Stimme brach, als sie meinen Namen sagte. Ich wusste nicht, ob ich sie trösten oder selbst in Tränen ausbrechen sollte. Sie schloss mich fest in die Arme, als könne sie mich damit noch festhalten, während mein Vater schweigend danebenstand. Sein Gesicht war hart, wie aus Stein gemeißelt, doch sein Blick verriet mehr Angst, als er jemals zugegeben hätte.

Am Morgen des 13. Mai machte ich mich auf den Weg zur Kaserne. Ich trug den Sonntagsanzug, den meine Mutter mir zurechtgelegt hatte, und fühlte mich darin plötzlich wie ein Fremder. Vor dem Kasernentor standen bereits viele Jungen aus meiner Schule und aus der Umgebung. Die meisten sahen genauso blass aus wie ich; manche versuchten, mit übertriebener Lautstärke ihre Nervosität zu überspielen.

Wir wurden in einen grauen Betonbau geführt, unsere Namen wurden aufgerufen, und schließlich schickte man uns in den Raum zur Musterung.

Dort begann eine Prozedur, die mir noch heute den Magen umdreht.

Wir mussten uns vollständig entkleiden, alles in einen Drahtkorb legen und nackt in einer Reihe antreten. Der Stabsarzt, ein breitschultriger Mann mit strengem Gesichtsausdruck, musterte uns, als seien wir Vieh auf einem Markt. Neben ihm stand eine junge Rot-Kreuz-Schwester, vielleicht keine zwanzig Jahre alt. Sie versuchte, professionell zu wirken, doch ihr Blick huschte immer wieder verlegen zur Seite.

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Nie zuvor hatte ich mich einer fremden Frau nackt gezeigt – und jetzt sollte ich so dastehen, mit all den anderen in der Reihe.

Doch es kam noch schlimmer. Ich war der erste in der Reihe. Der Stabsarzt kontrollierte Mund, Nase und Ohren. Dann fasste er an meinen Schwanz „Schauen Sie Schwester, so muss ein deutsches Glied aussehen! Schön mit Vorhaut – nicht wie bei den Juden, die das Beste wegschneiden lassen. Jetzt müssen wir noch prüfen, ob sie sich gut vor und zurückschieben lässt.“ Er bewegte die Haut ein paar Mal mit seinen Fingern vor uns zurück. Ich wäre vor Scham am liebsten im Erdboden verschwunden. „Versuchen Sie es auch mal, Schwester“. Die Schwester lief blutrot an und bewegte sich nicht. „Na was ist denn? Im Fronteinsatz werden Sie noch ganz andere Sachen machen müssen!“ Zögernd trat die Schwester auf mich zu und fasste tatsächlich vorsichtig an mein Glied. Wie vom Stabsarzt befohlen, schob auch sie die Haut mit ihren zarten, kalten Fingern hin und her. Ich spürte, wie mir das Blut hineinschoss. „Lass es bald vorbei sein“, sagte ich mir im Stillen. „Na – das gefällt dem jungen Mann, sehr schön! Nun umdrehen, tief bücken und Arschbacken auseinanderziehen.“ Ich folgte dem Befehl. „Sehen Sie Schwester – eine schöne runde Rosette, keine Pickel oder Hämorrhoiden“ Dann fasste er mir zwischen die Beine. „Und auch die Bällchen schön weich und gleich groß. Tasten Sie auch – Schwester“ Ich spürte wieder die kalte, zarte Hand, diesmal an meinen Eiern. „Gut, wieder aufrichten und umdrehen - Nächster“, brüllte der Stabsarzt. 

Die Prozedur wiederholte sich nun bei meinen Kameraden – wenn auch weniger ausführlich als bei mir. Ich fühlte mich gedemütigt wie noch nie in meinem Leben. Dass es notwendig sein sollte, verstand ich nicht – aber in diesen Zeiten stellte niemand Fragen.

Nachdem wir für „tauglich“ befunden worden waren, bekamen wir graue Unterwäsche, Hemden, Hosen und Jacken aus kratzigem Stoff. Aus Jungen in Straßenkleidung wurden in wenigen Minuten Soldaten – oder etwas, das man dafür hielt.

Ohne viel Aufhebens brachte man uns zum Bahnhof. Auf dem Bahnsteig standen bereitgestellte Waggons, alte Abteile, die nach kaltem Rauch, Leder und Maschinenöl rochen.

Wir stiegen in einen bereitstehenden Zug. Die Sonne stand noch flach, als sich die Waggons ruckend in Bewegung setzten.

Niemand sprach viel. Einer hustete immer wieder, ein anderer starrte ausdruckslos auf seine Stiefel. Mir selbst war, als würde der Zug jede Minute schneller fahren als mein Herz schlagen – und doch gleichzeitig viel zu langsam, als könne er den Tag nicht richtig in Gang bringen.

„Nach ein bis zwei Stunden wurde das Rattern unruhiger. Der Zug begann, leicht abwärts zu rollen, und schließlich öffnete sich der Blick auf eine große Stadt, deren Gesicht vom Krieg gezeichnet war.‚Stuttgart‘, murmelte jemand.“

Von den Fenstern aus sahen wir Lücken zwischen den Häusern, schwarze Brandmauern, eingestürzte Dächer, Trümmerhaufen, über denen der Rauch vergangener Nächte zu hängen schien. Manche Straßen wirkten wie herausgerissene Nähte in einem Stoff, der nicht mehr zu flicken war.

Der Zug fuhr langsam. Immer wieder bremste er ab, kroch über notdürftig reparierte Gleise, Schotterbetten mit Lücken, provisorische Brücken. Einmal standen wir minutenlang fast still, und nur das tiefe Brummen der Lok hielt uns davon ab zu glauben, wir seien ganz zum Halt gekommen.

Dann ruckte der Wagen wieder an. Die Gespräche verstummten endgültig. Jeder wusste: Diese Langsamfahrstellen bedeuteten, dass der Krieg nicht nur an der Front tobte, sondern auch hier, direkt unter unseren Füßen.

Gegen Nachmittag schließlich rief jemand: „Rastatt!“
Der Ruf hallte wie ein Befehl.

Die Türen wurden geöffnet, und wir mussten aussteigen. Der Bahnsteig war voller Bewegung: Soldaten, Sanitätspersonal, ein paar Frauen mit Körben, die hastig über die Gleise liefen. Die Luft roch nach Kohle und feuchtem Holz.

„Umsteigen!“ rief ein Unteroffizier.

Wir wurden in einen anderen Zug getrieben, dunkle Wagen, die aussahen, als hätten sie zu viele Jahre und zu viele Transporte hinter sich. Der Zug fuhr nur wenige Minuten später an. Eine Weile ratterten wir durch flaches Land, über Wiesen und Felder, bevor das Geräusch der Räder plötzlich anders wurde – ein metallisches Echo, vibrierend, fast drohend.

Wir waren auf einer Brücke.

Durch das vergitterte Fenster sah ich Wasser – breit, grau, mächtig. Der Rhein.
Die Konstruktion, über die wir fuhren, wirkte endlos. Niemand im Abteil kannte ihren Namen. Für mich war sie nur ein Übergang – ein Tor, nach dem es kein Zurück mehr gab.

Kurz darauf hielten wir. Ein Schild huschte am Fenster vorbei: Schweighausen.

Wir stiegen aus. Der Bahnsteig war schlicht, der Ort still. Dann kam der Befehl zum Marsch. Unsere Stiefel knirschten auf dem Kies, und der Weg führte durch den kleinen Ort, an Gärten vorbei, in denen Menschen uns wortlos beobachteten.

Nach einiger Zeit tauchten graue, flache Gebäude auf. Ein Teil wirkte neu, ein Teil alt und fremd, mit verblasster Schrift, die verriet, dass diese Anlage einst französisch gewesen war. Nun aber hing die Reichskriegsflagge schwer und trostlos über dem Tor.

Im Innenhof hallte das Gebrüll eines Offiziers wie ein Donnerschlag.
In diesem Moment wusste ich: Der Abschnitt meines Lebens, den ich kannte, war ab hier zu Ende.

Der Feldwebel brüllte unsere Namen, wir stiegen ein, packten uns dicht an dicht in die Abteile und warteten auf das, was kommen würde.

Als der Zug sich ruckelnd in Bewegung setzte, blickte ich aus dem Fenster. Hinter den Häusern verschwand langsam der Kirchturm meines Heimatortes. Ich hatte das Gefühl, mein altes Leben löse sich wie ein heller Faden aus meinem Kopf, während der Zug mich unaufhaltsam in ein neues, dunkleres Kapitel zog.

Wir standen wie angewurzelt, während ein paar Unteroffiziere uns musterten. Ich hatte das Gefühl, ihre Blicke durchdrangen uns wie Nadeln, auf der Suche nach Schwäche.

Wir bekamen die Schlafplätze zugewiesen – schmale Pritschen in einem stickigen Schlafsaal, zwanzig Mann auf engstem Raum. Die Fenster schlossen nicht richtig, der Boden roch nach kaltem Rauch und einer Mischung aus Schweiß und Bohnerwachs. Ich hatte Mühe, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dies für die nächsten Monate mein Zuhause sein sollte.

Schweighausen, 14.Mai 1944

Am nächsten Morgen, noch bevor es ganz hell war, heulte eine Pfeife. Wir sprangen aus den Betten. Draußen im Hof mussten wir in Reih und Glied antreten. Durch die feuchte Morgenluft marschierte ein Unteroffizier mit hölzernem Gang auf uns zu. Er war ein hagerer Mann, vielleicht kaum älter als dreißig, mit eingefallenen Wangen. Eine lange, vernarbte Linie zog sich von der Schläfe über den Hals unter den Kragen.

Unteroffizier Reimers. Ab heute bin ich euer Ausbilder.“

Er musterte uns, einen nach dem anderen. In seinem Blick lag etwas, das schwer einzuordnen war – Härte, Müdigkeit, vielleicht auch Verbitterung.

„Ihr seid Kinder“, sagte er schließlich, ohne den Versuch, es zu verbergen.
„An der Front brauchen sie Männer. Also mache ich in den nächsten Wochen aus euch welche.“

Seine Stimme klang heiser, fast brüchig, doch jeder von uns spürte, dass er es ernst meinte. Später erfuhren wir, dass er an der Ostfront schwer verwundet worden war. Mehr sagte er nie dazu.

Wir begannen mit endlosen Marschübungen. Immer im Gleichschritt, immer auf Kommando. Die Stiefel drückten, die Sonne brannte, und meine Beine fühlten sich bald an wie Holz. Reimers brüllte uns an, wenn wir aus dem Takt fielen – aber auf eine merkwürdige Weise schien er uns weniger verächtlich zu behandeln als mancher andere Unteroffizier. Vielleicht, weil er wusste, wie schnell ein junger Soldat brechen konnte.

Nach einigen Tagen erhielten wir unsere Gewehre. Karabiner 98k – schwer, kalt, und für uns Jungen kaum zu bändigen.

Als wir zum Schießstand geführt wurden, klopfte mein Herz so laut, dass ich glaubte, die anderen müssten es hören. Der Qualm von Pulver und Öl lag in der Luft.

„Scharfe Munition! Keine Dummheiten!“ rief Reimers.

Ich legte das Gewehr an, spürte das harte Holz an der Schulter und zielte auf die dunkle Scheibe in der Ferne. Als ich abdrückte, riss es mir den Arm nach hinten, und meine Ohren dröhnten. Der Schuss hallte in mir nach wie ein Donnerschlag.

Ich senkte das Gewehr und sah die anderen an. Einige grinsten nervös, andere starrten nur geradeaus. Mir wurde klar, dass dies keine Übung für einen Ausflug war. Das hier war die Vorbereitung auf etwas, das jenseits unserer Vorstellung lag.

Als wir zurück in die Baracke marschierten, begann es zu dämmern. Der Himmel färbte sich rot – ein unheilvolles Rot, wie ich fand.

Ich wusste nicht, ob ich den morgigen Tag fürchten oder vergessen sollte.

15.Mai 1944

Am nächsten Morgen traten wir erneut im Hof an. Reimers sah unausgeschlafen aus, doch seine Kommandos waren schärfer als sonst.

„Heute geht’s in den Wald. Gefechtsübung. Und hört gut zu:
Die Franzosen mögen offiziell besiegt sein, aber überall da draußen lungern Widerständler herum. Partisanen. Ihr seid wachsam – oder ihr seid tot. Klar?“

Ein Murmeln ging durch die Reihen. Ich wusste nicht, ob es Angst war oder jugendliche Aufgeregtheit. Vielleicht beides.

Wir marschierten los. Der Wald lag nur wenige Kilometer entfernt, ein dichter Mischwald, der im Morgenlicht beinahe friedlich wirkte. Doch Reimers hatte uns seine Warnung tief genug ins Hirn gehämmert, sodass jeder Schatten zwischen den Bäumen bedrohlich erschien.

Nach einer kurzen Einweisung schwärmten wir in kleinen Trupps aus. Ich wurde zusammen mit Kamerad Weber, einem stillen Jungen aus dem Nachbarort, eingeteilt. Wir sollten uns in einer Senke verschanzen und auf Signale warten.

Der Boden war feucht, die Luft schwer von Blütengeruch und Harz. Wir lagen dicht nebeneinander in einer flachen Grube zwischen Farnen und Wurzelwerk. Zunächst war ich angespannt, doch mit der Zeit drängte ein ganz anderes Problem in den Vordergrund: ein stechender, dringlicher Druck im Unterbauch.

Ich versuchte es zu ignorieren, doch es wurde rasch unerträglich.

„Weber… ich muss mal weg. Dringend.“

Er verdrehte die Augen, nickte aber.

„Mach schnell. Und bleib leise.“

Ich kroch aus der Grube, lugte kurz nach allen Seiten und schlich dann ein Stück tiefer in den Wald. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wich nicht. Jeder Astknacks ließ mich zusammenzucken. Schließlich fand ich ein kleines Bächlein, kaum mehr als ein Rinnsal, das zwischen Moossteinen murmelte. Es wirkte friedlich, harmlos – eine kurze Oase inmitten der Anspannung.

Ich lehnte mein Gewehr an einen Baumstamm, zog hastig die Hose herunter und hockte mich. Eine große braune Wurst verließ meinen Darm und klatschte dampfend ins Laub. Die Erleichterung war überwältigend, und für einige Sekunden vergaß ich alles um mich herum – den Krieg, Reimers’ Warnungen, sogar Weber, der auf mich wartete.

Als ich wieder aufsah, blieb mir der Atem stehen.

Nur wenige Schritte entfernt stand ein Junge. Vielleicht zehn, höchstens elf Jahre alt. Mager, barfuß, die Kleidung zerschlissen. Doch in seinen Händen hielt er mein Gewehr – und es war direkt auf mich gerichtet.

Ich wusste nicht, wie lange er dort gestanden hatte.

Sein Gesicht war schmutzverschmiert, die Augen weit aufgerissen – nicht böse, sondern panisch, wie ein Tier, das in die Enge getrieben wurde.

Mir schoss der Satz Reimers’ durch den Kopf:

„Das Gewehr ist die Braut des Soldaten. Man gibt es niemals aus der Hand.“

Zu spät.

Ich hob langsam eine Hand.

„Hör zu… ich tu dir nichts. Lass uns einfach—“

Der Knall riss die Worte mitten entzwei. Ein greller Blitz durchzuckte meine Wahrnehmung, dann ein brennender Schmerz im linken Oberschenkel, so heftig, dass mir die Luft wegblieb.

Die Welt kippte. Ich sah noch das entsetzte Gesicht des Jungen – und wie er in den Wald davonrannte, schneller als ich jemals einen Menschen hatte laufen sehen.

Das Rauschen in meinen Ohren wurde lauter, dunkler. Die Farben um mich herum verschwammen.

Ich fiel zur Seite, spürte kalten Waldboden an der Wange – und dann wurde alles schwarz.

15.Mai 1944 - Nachmittags

Als ich wieder zu mir kam, war alles weich und warm. Für einen Moment glaubte ich, ich wäre tot – im Himmel, oder einem jener Paradiese, von denen die frommen Schwestern in der Schule gesprochen hatten. Doch dann stach es wie glühendes Eisen in meinen linken Oberschenkel, und die Wirklichkeit kehrte mit brutaler Klarheit zurück.

Ich lag in einem Federbett. Ein richtiges Bett – nicht die Pritsche in der Kaserne, nicht der kalte Waldboden. Das Zimmer, das mich umgab, war klein und schlicht: eine niederere Holzdecke, ein Waschtisch mit einer Schüssel, eine Kommode, ein paar wackelige Stühle. Es roch nach Seife, Holzrauch und etwas, das an frisch gebackenes Brot erinnerte.

Ich schluckte. Wo war ich?

Langsam hob ich die Decke. Mein Oberkörper war noch in der Uniformjacke, aber mein Unterkörper lag nackt unter dem Laken. Ein dicker, sauber gewickelter Verband umschloss meinen Oberschenkel. Jemand hatte mir Stiefel und die Hose ausgezogen und die Wunde gereinigt – vielleicht sogar genäht. Ich konnte es nicht erkennen, doch der Schmerz pulsierte dumpf und stetig.

Mit zitternder Hand fuhr ich über den Verband. Die Haut war heiß. Als ich mich bewegen wollte, zog ein stechender Schmerz bis in die Hüfte. Ich sank wieder zurück ins Kissen und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

Da hörte ich ein leises Geräusch an der Tür. Ein Knarren, dann Schritte.

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit.

Es war der Junge.

Der kleine, barfüßige Junge, der auf mich geschossen hatte.

Er stand im Rahmen, die Finger am Holz, die Augen groß wie Teller. Sein Gesicht war gerötet, als wäre er lange gerannt. Für einen Moment erstarrten wir beide – ich vor Schreck, er vor Furcht.

Dann machte er einen panischen Satz zurück, drehte sich um und rannte davon. Die Tür schlug hinter ihm zu.

Ich blieb reglos liegen, unfähig zu rufen oder aufzustehen. Das Pochen in meinem Oberschenkel war zum Hämmern geworden. Ich war allein in einer fremden Bauernstube, halbnackt, verwundet, hilflos – und der einzige Mensch, den ich kannte, war ein Kind, das mich fraglos für seinen Feind hielt.

Ich schloss die Augen und versuchte, ruhig zu atmen.

Wer hatte mich hierher gebracht?
Warum behandelte man mich – einen deutschen Soldaten – überhaupt?
Und was würde passieren, wenn meine Einheit nach mir suchte?

Langsam sickerte ein unangenehmer Gedanke in mein Bewusstsein:
Vielleicht war ich in den Händen französischer Zivilisten – oder schlimmer noch: Partisanen.

Doch ich konnte nichts tun – außer warten.

Ich lag noch immer reglos da, als sich die Tür ein zweites Mal öffnete – diesmal langsamer, vorsichtiger. Eine Frau trat ein, Anfang oder Mitte dreißig. Ihre Kleidung war schlicht, ein grobes Leinenkleid, das an den Ärmeln ausgeblichen war. Ihre Hände wirkten kräftig, vom Arbeiten gezeichnet, doch ihre Bewegungen hatten etwas Sanftes, Abgewogenes.

Ihr Gesicht war von der Sonne gebräunt, ein paar Strähnen ihres dunklen Haars hatten sich aus einem Knoten gelöst und fielen ihr in die Stirn. Trotz der Müdigkeit in ihren Augen – oder vielleicht gerade deshalb – empfand ich sie als hübsch.

Sie sagte nichts. Auch nicht, als sie die Schüssel mit Wasser auf den kleinen Waschtisch stellte und frische Verbände daneben ablegte.

Mit einem knappen Blick zu mir trat sie ans Bett, griff nach der Decke – und schlug sie zurück.

Ich fuhr erschrocken zusammen. Erst da erinnerte ich mich wieder daran, dass ich unter der Decke nackt war. Hitze stieg mir ins Gesicht. Instinktiv zog ich die Hand vor den Unterleib, die Wange brennend vor Scham.

Die Frau hob leicht eine Augenbraue. Nicht spöttisch, nicht kalt – eher so, als wäre es die natürliche Reaktion eines Jungen, den sie pflegen musste. Dann schob sie meine Hand sanft, aber bestimmt zur Seite. Ihre Berührung war überraschend warm.

Ich wollte protestieren, doch ihr Blick ließ keinen Raum für Einwände. Sie tat, was getan werden musste.

Mit sicheren Fingern löste sie den alten Verband. Das Ziehen an der getrockneten Mullbinde ließ mich zischen. Unter dem Verband kam die Wunde zum Vorschein: ein tiefer Einschuss, rot, geschwollen, aber sauber. Es blutete nicht mehr.

Sie beugte sich vor, tauchte ein Tuch in die Schüssel und begann, die Haut um die Wunde zu reinigen. Ihre Bewegungen waren ruhig, konzentriert, fast so professionell wie die einer Krankenschwester. Als sie das Wasser über die Wunde laufen ließ, biss ich mir auf die Lippe, um nicht aufzustöhnen.

Da die Wunde relativ weit oben war, streifte Ihr Handrücken immer wieder die Spitze meines Gliedes. Doch sie verzog keine Miene, weder verlegen noch abwertend. Für sie war es offenbar nichts weiter als notwendige Arbeit.

Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr wie ein Soldat, nicht einmal wie ein Mann – eher wie ein verwundeter Junge, der zufällig in ihrem Haus gelandet war.

Als sie die Wunde neu verband, straff und fachkundig, atmete ich vorsichtig aus. Der Schmerz ließ nach, zumindest ein wenig.

Die Frau räusperte sich schließlich leise. „Ich bin Élise Baumann“, sagte sie auf deutsch mit französischem Akzent, während sie den frisch gewickelten Verband glattstrich. Ihre Stimme klang ruhig, doch unter der Oberfläche lag Furcht.

Ich versuchte, mich ein Stück aufzurichten, doch mein Bein schmerzte sofort, und ich sank zurück. Sprechen kostete Kraft, die ich gerade nicht hatte. Elise legte mir eine Hand auf die Schulter. „Bleib liegen“, sagte sie knapp. Dann setzte sie sich auf den Stuhl neben dem Bett und atmete tief durch.

„Luc kam heute Morgen völlig aufgelöst heim. Weinend, durcheinander. Er sagte, er habe einen deutschen Soldaten angeschossen.“ Ihre Stimme wurde brüchig. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber ich konnte ihn nicht allein damit lassen.“

Sie fuhr sich über die Stirn, als wollte sie einen aufdringlichen Gedanken vertreiben. „Wir sind in das Waldstück gegangen. Da lagst Du – blutend, bewusstlos. Es war klar, dass Du sterben wirst, wenn wir Dich dort gelassen hätten.“

Ich schluckte schwer. „Warum… warum haben Sie mir geholfen?“

Elise sieht mich lange an. „Weil ich schon genug Elend gesehen habe. Und weil mein Mann…“ Sie stockt. „Vor ein paar Wochen haben sie ihn abgeholt. Zwangsarbeit, vermutlich. Seitdem mache ich alles allein. Der Hof wartet nicht darauf, dass jemand Mitleid mit mir hat.“

Ein müdes, kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch ihre Augen blieben ernst. „Ich brauche eigentlich keine weiteren Schwierigkeiten. Und doch…“ Sie sah zu mir. „Manchmal tut man, was man tun muss.“

Sie stand auf, ging zum Fenster und hob den Vorhang leicht an. „Die Situation ist gefährlich. Für uns beide. Vielleicht werden sie schon heute Abend jemanden losschicken, um nach Dir zu suchen. Ein Soldat, der verschwunden ist – das bleibt nicht unbemerkt.“

Sie lies den Vorhang fallen. „Wenn man Dich hier findet, bin ich die Kollaborateurin. Und mein Sohn…“ Sie spricht nicht weiter.

„Und für Dich“, fährt sie nach einer kurzen Stille fort, „wäre es nicht besser. Ein deutscher Soldat, angeschossen und verschwunden? Man wird von Desertion sprechen. Oder davon, dass Du zu uns überlaufen wolltest.“

Sie blickte auf das Bett, in dem ich lag. „Ich habe Dich hierher gebracht, weil es der einzige Raum ist, den niemand betreten würde, wenn er nicht muss. Und weil Du einen Platz brauchtest, um überhaupt versorgt zu werden.“

Ich spürte, wie verwundbar ich war – mehr noch als heute Morgen im Wald.

„Was… was soll ich jetzt tun?“ frage ich leise.

Elise verschränkt die Arme. „Nichts“, sagt sie. „Erstmal gar nichts. Es ist erst Nachmittag. Du musst überleben – das ist im Moment genug.“

Der Durst brannte inzwischen in meinem Hals. Ich leckte mir die trockenen Lippen und räusperte mich. „Haben Sie… vielleicht etwas Wasser?“

Elise nickte knapp und griff nach der Schüssel, die sie zuvor mitgebracht hatte. Daneben stand eine Tonkaraffe. Sie goß Wasser in einen Becher und reichte ihn mir. Ich trank gierig, beinahe zu schnell, und verschluckte mich. Elise nahm mir den Becher vorsichtig wieder ab.

Kaum hatte die Kühle des Wassers sich in meinem Körper ausgebreitet, meldete sich eine andere Dringlichkeit. Ein leises Ziehen im Unterbauch, dann schwerer Druck. Meine Blase war voll – zu voll.

Ich wollte nicht fragen. Nicht in dieser Lage. Nicht halbnackt, fremd, verwundbar. Also schob ich die Decke fahrig beiseite, drehte mich auf die Bettkante und versuchte aufzustehen.

Sofort schoss der Schmerz wie ein heißer Stich in den verletzten Oberschenkel. Mein Bein knickte weg, ich sank zurück, verkrallte die Hände im Stoff. Schweiß trat mir auf die Stirn.

Elise fuhr herum, erschrocken über meine Bewegung. „Was tust Du denn?“

Ich rang nach Luft. „Ich… ich muss…“ Mehr brachte mein Mund nicht hervor.

Einen Moment sah sie mich einfach nur an – abgeklärt, als hätte sie schon zu vieles gesehen. Dann atmete sie langsam aus, ging ans Fußende des Bettes und bückte sich.

„Du kannst noch nicht gehen“, sagte sie ruhig. „Du wirst es hier tun müssen.“

Sie zog einen Nachttopf unter dem Bett hervor – grob aus emailliertem Metall, etwas abgeschlagen am Rand. Mein Gesicht glühte.

„Nein… ich…“

„Doch.“ Ihre Stimme war eindeutig. „Du schaffst es nicht bis hinaus.“

Sie stellte den Nachttopf neben das Bett und hielt ihn leicht fest, damit er nicht verrutschte. Ich schloss die Augen, stützte mich ab und lies die Scham fallen wie ein Kleidungsstück, das ohnehin niemand mehr braucht.

Der Urin prasselte hörbar in das Metall, viel lauter, als ich gehofft hatte. Aber Elise reagierte nicht. Kein Zucken, kein Abwenden des Blicks. Sie stand einfach da, wie jemand, der gerade tut, was getan werden muss.

Als ich fertig war, schob sie den Nachttopf zur Seite, hob ihn auf und sagte nur: „Ich bin gleich wieder da.“ Dann verlies sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Ich sank zurück ins Kissen. Selten hatte ich mich so menschlich – und zugleich so hilflos – gefühlt.

Die Sonne war hinter den Hügeln versunken, und das letzte Orange des Tages wich kühlem Blau. Auf dem Hof wurde alles still, nur hin und wieder ein leises Stampfen aus dem Stall. Ich lag im Dunkeln und lauschte. Der Schmerz im Bein war dumpfer, doch die Einsamkeit wog schwerer als jede Wunde.

Elise hatte mir am späten Nachmittag noch Brot, Milch und Käse gebracht und danach das Zimmer nicht mehr betreten. Sie muss genug zu tun gehabt haben – das leise Schlagen der Axt, Schritte im Hof, Wasser, das geschöpft wurde, alles klang wie Beweise für die Last, die sie allein tragen musste.

Als die Nacht endgültig hereingebrochen war und ein Streifen Mondlicht über den Boden schlich, öffnete sich endlich die Tür. Elise trat ein – diesmal in einem leichten Nachthemd. Sie trug eine Kerze, deren flackernder Schein ihr Gesicht weich erscheinen lies. Sie wirkte müde, aber gelöst.

Ich schluckte. Noch nie hatte ich eine Frau in so leichter Kleidung gesehen. Die Formen ihrer Brüste und Schenkel zeichneten sich deutlich unter dem leichten Kleid ab. Meine Wangen brannten.

Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Mach ein bisschen Platz, mein kleiner Soldat“, sagte sie halblaut, fast zärtlich. „Ich habe nur dieses eine Bett, und der Tag war lang. Wir passen da schon rein.“

Sie blies die Kerze aus und legte sich auf die freie Seite. Das Mondlicht zeichnete nur die Silhouette ihres Profils. Ich spürte, wie die Matratze sich unter ihr sank, hörte ihren Atem – ruhig, aber noch nicht gleichmäßig. Der Duft von Lavendel stieg mir in die Nase. Mein Herz schlug schneller, unsicher, verwirrt.

Sie lag mit dem Rücken zu mir, doch ich hörte ihren Atem – jede kleinste Bewegung, jedes Rascheln des Nachthemds klang laut. Ich traute mich kaum zu bewegen.

Langsam, ganz langsam entspannte ich mich ein wenig. Nicht, weil ich ruhig geworden wäre – im Gegenteil. Aber die Wärme, der Duft, die Gewissheit, dass sie neben mir lag, kein Feind, sondern ein Mensch, lies meine Gedanken weicher werden.

Dann hörte ich, wie sie einen Atemzug tiefer holte und sich leicht zu mir drehte – nicht viel, nur so weit, dass ich wusste, sie liegt nicht mehr ganz abgewandt.

Es ist der Moment, in dem sie zu erzählen begann. Sie rückte ein wenig zurecht, sodass ich spüre, wie nah sie ist, ohne dass sie mich berührt. Dann beginnt sie, mit gedämpfter Stimme zu sprechen:

„Bevor ich hierherkam … war mein Leben ein anderes“, begann Elise. Ich spürte, wie ihre Stimme leise, beinahe zaghaft wurde, und ich hörte aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen.

„Ich bin in Paris aufgewachsen. Mein Vater ist im großen Krieg gefallen – ich war kaum drei Jahre alt. Meine Mutter hat uns irgendwie durchgebracht, doch es war immer zu wenig Geld, zu wenig Essen, zu wenig Wärme.“

Ich schluckte, fühlte die Schwere in ihren Worten. Es klang nach einem Leben, das von Anfang an mit Entbehrung und Angst geprägt war.

„Als ich alt genug war, kam ich als Hausmädchen in einen großen Haushalt. Die Herrschaften waren korrekt, aber ihr Sohn … er war ein verwöhnter, schlechter Mensch. Ich habe mich gewehrt, so gut ich konnte. Aber eines Abends …“ Sie stockt, sucht nicht nach Mitleid, nur nach Worten. „Es war nicht meine Wahl. Und als ich schwanger wurde, war ich für sie nur noch Schmutz. Ich wurde noch in derselben Woche auf die Straße gesetzt.“

Ich sah ihre Hände, die auf der Decke ruhen, die Finger leicht verkrampft. Ich spürte ihre Verletzlichkeit, ohne dass sie sich laut zeigte.

„Meine Mutter war da schon tot. Ich hatte niemanden mehr. Nur eine Tante im Elsass. Mit dem letzten Geld für ein Zugticket bin ich zu ihr. Sie hat mich aufgenommen, ja – aber widerwillig. Als Luc geboren wurde, half sie bei der Hebamme … doch sie wollte kein Baby im Haus. Wir stritten immer häufiger. Eines Morgens packte ich meine wenigen Sachen, nahm Luc auf den Arm und ging.“

Ich hielt den Atem an, konnte mir vorstellen, wie schwer das für sie gewesen sein musste – ein kleines Kind, keine Sicherheit, kein Zuhause.

„Ich wusste nicht, wohin. Ich lief einfach die Landstraße entlang. Da hielt ein Mann mit einem Pferdefuhrwerk an. Ein ruhiger Mann, vielleicht schon um die vierzig. Nicht schön, aber ehrlich. Er fragte, ob er mich ein Stück mitnehmen könne. Ich war verzweifelt und erzählte ihm meine Geschichte.“

Ihre Stimme trug fast ein Lächeln, aber es war traurig, nachdenklich.

„Er brachte mich hierher. Auf diesen Hof. Gab mir zu essen, zu trinken. Es wurde spät – und er bot mir an, zusammen mit Luc in der kleinen Kammer zu schlafen, in der heute Luc sein Bett hat. Er sagte, morgen sehen wir weiter.“

Ich konnte mir die Szene vorstellen: ein abgelegener Hof, die Nacht bricht herein, die Dunkelheit schützt, aber es gibt keine Sicherheit außer der kleinen Geste dieses Mannes.

„Aus diesem ‚morgen‘ wurden Wochen. Und irgendwann … beschlossen wir zu heiraten. Es war keine große Liebe – nicht am Anfang. Aber Jean war gut zu mir. Und zu Luc. Ein besserer Vater, als ich je zu hoffen gewagt hätte.“

Ich hörte sie atmen, leise, ruhig. Der Mond warf silbrige Streifen durch das Fenster, ihr Gesicht lag teilweise im Schatten. Ich spürte, dass ihre Stimme Vertrauen verlangt, und doch ist sie vorsichtig.

„Dann haben sie ihn geholt. Die Männer aus dem Dorf sagten, es sei Arbeit für Deutschland. Ich glaube niemandem. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt.“

Ein kurzer Atemzug, dann flüsterte sie fast: „Vielleicht hat Luc deshalb geschossen. Aus Wut. Aus Angst. Aus allem zusammen.“

Ich lag still, meine Gedanken kreisten. Alles, was ich über sie bisher wusste, war die Frau auf diesem Hof, stark, gefasst, inmitten von Arbeit und Verantwortung. Aber jetzt sehe ich ihr Leben – die Jahre voller Gewalt, Angst und Entscheidungen, die sie treffen musste, um zu überleben. Und ich wusste, warum sie mir geholfen hatte.

Sie schob das Kissen zurecht, atmete tief aus und sagt leise: „Es war ein langer, schwerer Tag … für uns beide. Wir sollten jetzt schlafen.“

Ich schloss die Augen und spürte die Ruhe, die langsam einkehrte. Doch in meinem Kopf war alles noch lebendig: ihre Worte, ihre Stimme, die Bilder ihrer Vergangenheit. Es ist, als ob ich ein Stück von ihr mit mir trug, während ich mich in die Decke kuschelte.

Die Nacht lag still über dem Hof. Ich fühlte die Verletzung in meinem Oberschenkel, den dumpfen Schmerz, der mich erinnerte, dass ich noch hier war, dass ich überleben musste. Und doch war etwas anderes in mir erwacht – ein Bewusstsein für Menschen, für ihr Leben, ihr Leid, ihre Entscheidungen. Ich hatte noch nie so viel Nähe und so viel Geschichte auf einmal erfahren.

Ich schlief ein, während ihre Worte noch nachklangen. Die Nacht war still, nur das ferne Stampfen der Tiere im Stall und das leise Rauschen der Blätter drang an mein Ohr. Der Schmerz im Oberschenkel war dumpfer geworden, fast zu ertragen, und doch erinnerte er mich daran, dass ich hier verletzlich war, ganz auf sie angewiesen.

Irgendwann – wie lange es gewesen sein mag, wusste ich nicht – wurde ich wach. Ein Geräusch hatte mich geweckt. Es war so leise, dass ich mir zunächst nicht sicher war, ob ich es geträumt hatte: ein leises, gleichmäßiges Rieseln, das durch die Stille des Zimmers fast unnatürlich wirkte. Mein Herz schlug schneller. Ich hielt den Atem an und lauschte.

Das Mondlicht fiel durch das Fenster, hell und kühl, und legt silbrige Streifen über den Boden. Ich richtete mich vorsichtig im Bett auf, so gut es das verletzte Bein erlaubte, und meine Augen tasteten die Dunkelheit ab.

Und dann sah ich sie. Elise.

Sie hockte über dem Nachttopf, das Nachthemd leicht hochgerafft, ihr Rücken sanft gekrümmt. Im Licht des hereinscheinenden Mondes konnte ich deutlich das schwarze, gekräuselte Haar unterhalb ihres Bauches erkennen. Das Geräusch, das mich geweckt hatte, stammte von ihr – ein leises, gleichmäßiges Plätschern, das in dieser Stille beinahe überdeutlich klang. Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog, ein prickelndes, seltsames Gefühl, das ich nicht benennen konnte. Noch nie hatte ich eine Frau so gesehen, so nah, so ungeschützt, und noch nie hatte mich etwas so wachgerüttelt.

Ich lag still, unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Die Mischung aus Nähe, Heimlichkeit und dem Wissen, dass ich eigentlich nicht hier sein dürfte, wirbelte alles in mir durcheinander. Ich spürte Wärme und Verwirrung zugleich, ein Ziehen tief in meiner Brust, und mein Herz klopfte so schnell, dass es mir fast den Atem raubte.

Langsam, fast unmerklich, lies sie das Nachthemd wieder hinabgleiten, schob den Topf unter das Bett und kehrte leise auf ihre Seite zurück. Ich atmete erleichtert, aber zugleich noch immer aufgeregt aus, als hätte dieser Moment etwas in mir ausgelöst, das ich noch nicht verstehen konnte.

Ich sank zurück ins Kissen, starrte in die Dunkelheit und hörte ihren Atem. Ruhig, aber noch nicht im Schlaf. Die Stille war dicht, fast greifbar, und ich wagte mich nicht zu rühren. Jede Regung ihres Körpers, jedes leise Rascheln des Stoffes, jedes kleine Geräusch im Zimmer fühlte sich an wie ein Teil einer Welt, die ich bisher nicht gekannt hatte.

Und während ich da lag, durchdrang mich eine seltsame Mischung aus Unsicherheit, Neugier und Respekt. Ich spürte die Nähe ihres Körpers, die Wärme, die leise Präsenz, und wusste, dass ich diese Nacht – wie alles, was heute geschah – nie vergessen werden würde.

Ich lag noch wach, die Augen halb geöffnet, als ich spürte, dass sie sich bewegte. Ein leises Geräusch verriet, dass sie bemerkt hatte, dass ich noch wach war. Ich spürte, wie sich die Luft im Zimmer veränderte – nicht laut, aber auf eine Art, die mich sofort aufmerksam machte.

Dann drehte sie sich zu mir um. Ich konnte ihren Blick nur im Mondlicht erahnen, doch ich fühlte die Präsenz ihrer Aufmerksamkeit, die sich wie eine leise Spannung in mir ausbreitete. Ich bemerkte, wie meine Atmung schneller wurde, wie mein Herz hämmerte, und mir wurde bewusst, dass sie vermutlich bemerkt hatte, wie ich sie beim Wasserlassen beobachtet hatte.

Sanft – so sanft, dass ich kaum glauben konnte, dass es wirklich passiert – berührte sie mich. Sie streichelte sanft über den Verband an meinem Oberschenkel. Sie fuhr dann über die Unterseite meines Gliedes und nahm es sanft in die Hand. Ich spürte, wie es unter Ihrer Berührung hart wurde. Ich spürte die Wärme ihrer Brüste meinem Oberarm. Es war merkwürdig, verwirrend, und gleichzeitig … beunruhigend schön.

Sie kraulte mit ihren Fingern meine Eier. „Du wärst kein Mann mehr“, sagte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, „wenn Luc ein klein wenig höher gezielt hätte.“ Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag, gleichzeitig erschreckten sie mich und zogen mich in eine Art fremde Klarheit.

Dann sprach sie weiter und fuhr mit ihren Fingern sanft an der Spitze auf und ab. Ich spürte, ohne den Atem zu wagen: Sie sprach von meiner Unschuld, davon, dass ich noch nie die Nähe einer Frau erfahren hatte, und wie viele junge Männer wie ich in diesem Krieg sterben würden, ohne je die Liebe einer Frau gekannt zu haben. Sie sprach von den Vätern, die von ihren Söhnen getrennt wurden, von Familien, die auseinandergerissen wurden.

Immer schneller wurden ihre Bewegungen und ich spürte, dass sie jetzt nicht mehr aufhören durfte. Ich spürte ein Zucken und ein wunderbares Gefühl in meinen Lenden. Sie hatte mein Hemd nach oben geschoben und lies die Flüssigkeit in weitem Bogen auf meinen Bauch spritzen. Wir genossen noch kurze Zeit den Augenblick, dann holte sie ein Tuch aus der Schublade Ihres Nachttisches und wischte alles sauber. „So - nun kannst Du besser schlafen, mein kleiner Soldat!“

Dann drehte sie sich langsam wieder weg, ohne ein weiteres Wort, und die Stille kehrte zurück. Ich lag da, lauschte ihrem ruhigen Atem und spürte, dass dieser Augenblick unauslöschlich in meinem Gedächtnis bleiben würde.


Kommentare

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sommerkind schrieb am 14.12.2025 um 07:48 Uhr

gut geschriebe: die musterung musst nackt sein, was ist dabei?

patrim30 schrieb am 14.12.2025 um 11:05 Uhr

Gerne eine Fortsetzung 

Rainer1377 schrieb am 14.12.2025 um 12:04 Uhr

Tolle Geschichte, aber eingendlich die von Onkel Rober, aber großen Dank, dass Du uns daran teilhaben läst. Ich bin gespannt wie es weiter geht.

xaverle schrieb am 14.12.2025 um 13:07 Uhr

Naja, ich finde das Thema nicht nur etwas verfehlt.

Muschelsucher schrieb am 15.12.2025 um 07:09 Uhr

Etwas am Thema vorbei 

Erotic777 schrieb am 16.12.2025 um 11:53 Uhr

🍓Ziehe das Mädchen aus und hat Sex mit ihr. Erstellen deine eigene erotische Geschichte. Bitte bewerte 

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ariadne74 schrieb am 21.12.2025 um 18:49 Uhr

Schöne Geschichte. Hat Onkel Robert noch mehr in seinem Tagebuch geschrieben?