Das Rätsel


ichwillsehen

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10.09.2013
Schamsituation

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Das Rätsel

Ein leises „Hallo“. Es brachte mich davon ab, dösend aus dem Zugfenster zu schauen. Denn ein „Hallo“ war schon ungewöhnlich. In der Schweiz hört man in verschiedenen Sprachen und Dialekten sonst nur „Ist hier noch frei?“. Der Schweizer ist nämlich höflich und fragt den potentiellen Gegenüber, ob es diesem genehm ist, dass er sich zu ihm in eine Vierer-Sitzgruppe setzt. „Hallo“ sagt eigentlich keiner.

Ich blickte auf. Eine etwa 20-Jährige hatte sich so blitzartig schräg gegenüber hingesetzt, dass es so aussah, als hätte sie dort schon immer gesessen. Ich konnte allerdings nur Ihren Kopf sehen, denn auf dem Schoß hatte sie einen großen Wanderrucksack abgestellt. Neben dem plötzlichen Auftauchen ein weiterer ungewöhnlicher Umstand: Wer setzt sich schon freiwillig einen unförmigen Rucksack auf den Schoß, wenn neben ihm noch ein freier Platz ist?

Noch etwas fiel mir auf: Sie presste den Rucksack regelrecht an sich, ja umarmte ihn geradezu und stütze ihr Kinn oben auf ihm ab. Ich beschloss sie etwas genauer zu beobachten. Sie hatte rote Haare, ordentlich zusammen geflochten, mit Klammern gebändigt, war kaum geschminkt und schaute recht erledigt drein. Ein recht ansprechendes Gesicht aber doch wohl eher ein braves Mädchen, was vom Wandern kommt, dachte ich so. Aber was ist mit ihrem Rucksack? Hatte sie etwas wertvolles darin? Draußen waren es über 30 Grad, der Zug hatte zwar eine funktionierende Klimaanlage, aber wärmen musste sie sich bestimmt nicht. Merkwürdig....

Bestimmt zehn Minuten blieb sie so merkwürdig sitzen, irgendwie angespannt, bis sie plötzlich tief durchatmete, den Rucksack etwas von sich wegschob und ihre Arme obendrauf legte. Hübsche Arme, die aus einem engen, grünen T-Shirt mit sehr kurzen Ärmeln hervorschauten. Sie fasste in die Seitentasche ihres Rucksacks und holte ein Buch heraus. „Wandern auf dem Jakobsweg“ konnte ich lesen. Also wirklich ein braves Mädchen, welches heute wohl einen Teil dieses Pilgerwegs hinter sich gebracht hatte. Nicht sehr aufregend. Ich wollte schon weiter dösen, als sie das Buch wieder weg steckte und den Rucksack weiter von sich wegschob. Jetzt war es ihr wohl doch zu warm geworden. Dann endlich begann sie sich zu entspannen, schnaufte mehrmals tief ein und aus, begann mit kleinen Bewegungen ihren Rücken zu lockern. Da der Rucksack jetzt einen ziemlichen Abstand hatte, konnte ich seitlich endlich mehr von ihr sehen. Sie hatte eine wirklich schöne Figur, das T-Shirt war recht dünn und wirklich eng. Ihre Brüste zeichneten sich deutlich ab, als sie ihren Oberkörper nach vorne durchdrückte. Ob sie wohl regelmäßig zum Training ging? Wirklich schön, natürlich, straffe Haut, gut geformt. Ja, doch, einfach interessant.

Plötzlich war ich hellwach. Endlich wusste ich, warum sie sich so merkwürdig verhielt, warum sie ihren Rucksack so an sich gepresst hatte. Warum sie so angespannt gewesen war. Warum sie sich geradezu heimlich und möglichst unauffällig mir gegenüber hingesetzt hatte. Aber warum war sie in dieser Lage? Hatte sie sich selber hinein manövriert? Was war passiert? Ihr T-Shirt konnte sie nicht beim Wandern angehabt haben, dann wären wenigstens irgendwo Flecken vom Schwitzen. Also musste sie es gewechselt haben. Hatte sie eine Wette verloren? War es eine Mutprobe? Also doch kein braves Mädchen gewesen?

Ihre schön geformten Brüste, das enge T-Shirt, der dünne Stoff, das alles betonte nur noch die Tatsache, dass sie keinen BH trug! Bei jedem Atemzug wurde es so etwas von deutlich, eigentlich war das T-Shirt völlig überflüssig. Was hatte sie gemacht? Hatte es ihr jemand befohlen, sich so anzuziehen? Gab es jemanden im Zug, der sich an Ihrer Scham ergötze? Dem ihre verzweifelten Bemühungen Anstand zu waren nicht entgangen waren? Jemand, der ein braves Mädchen in eine für sie unmögliche Situation gebracht hatte?

Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, bemühte mich aber möglichst unbeteiligt geradeaus zu schauen. Welche Geschichte wurde hier gespielt? Wenn es ihr derartig unangenehm war, konnte der fehlende BH doch keine Absicht sein. Hatte Sie einfach nur ihre durchgeschwitzte Kleidung gewechselt? War auch der BH total nass gewesen? So unbedarft sah sie nicht aus, dass sie beim Umziehen nichts bemerkt hatte. Aber ich tat nichts, was mich dem Rätsel näher bringen könnte. Eigentlich ärgerte ich mich: Ich hätte als höflicher Mensch direkt anbieten können, ihr den Rucksack ins Gepäcknetz zu hieven. Ich stellte mir vor, was dann wohl passiert wäre. Hätte Sie den Rucksack abgegeben? Hätte sie sich protestierend daran geklammert? Ich würde es nie erfahren.

Wir erreichten den Endbahnhof: Alles aussteigen! Ich blieb so lange sitzen, wie es unauffällig möglich war, aber sie stand nicht auf. Sie hatte wieder den Rucksack umklammert und blickte angespannt auf die aussteigenden Reisenden. Auf dem Bahnsteig drehte ich mich nochmals um: Sie kam als letzte aus dem Zug gestiegen und stand dann tatsächlich mit vor dem Oberkörper gepressten Rucksack in der Menschenmenge. Wie sie wohl nach Hause kommen würde?

 

Ich werde wohl nie erfahren, was wirklich passiert ist. Schade um eine vertane Chance.


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