Schwester Stefanie - Teil 2: Der Engel
In dem Moment, als ich mich auf der Liege vor ihm schamvoll umdrehte, zerriss die Krankenkenhaussirene plötzlich die Stille im Behandlungszimmer. Dazu kam eine - unpassend – freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher:
"Achtung! Achtung! Feueralarm! Dies ist keine Übung! Feueralarm! Verlassen sie sofort das Krankenhausgebäude! Folgen sie den Anweisungen des Klinikpersonals! Verlassen sie das Gebäude umgehend über die Notausgänge! Hilfsbedürftigen Patienten wird durch das Klinikpersonal geholfen! Achtung! Achtung! Feueralarm!...
Das Band lief weiter und weiter in einer Endlosschleife. Einen kurzen Moment lang fühlte ich mich wie hypnotisiert. Doch dann riss mich Dr. Fröschl aus meiner Schockstarre, "Schwester Stefanie! Schnell! Schnell! Kommen sie! Wir müssen den Patienten hier helfen, wir haben hier viele schwerstkranke, Hautkrebspatienten und Verbrennungsopfer, Kinder sind auch dabei. Sie alle können es aus eigener Kraft nicht schaffen die Klinik zu verlassen!" – Ein Feuer in einem Krankenhaus ist wirklich etwas Furchtbares. Was für eine grausame Vorstellung, ans Bett gefesselte Kinder mit schweren Verbrennungen – welch eine Ironie - können nicht fliehen, können sich nicht vor den herannahenden Flammen in Sicherheit bringen.
Ich sprang von der Liege auf und wollte aus der Umkleidekabine meine Kleidung holen, da packt mich Dr. Fröschl am Arm, "dafür ist jetzt wirklich keine Zeit, Stefanie! Nur wir, das Klinikpersonal, kennen den Notfallplan, die Rettungswege, die vielen notwendigen Handgriffe und es zählt jetzt wahrhaftig jede Sekunde ..."
Natürlich hat er Recht! Aber ich kann doch nicht splitterfasernackt durch die Gänge meiner eigenen Klinik laufen!? Patienten helfen, Betten schieben und Trost spenden alles völlig entblößt!? Als einzige Nackte unter vielen Bekleideten?! Dann sah ich in meinem Kopf die Schlagzeilen vom nächsten Tag: „Hilflose Kinder verbrannt, weil sie sich geschämt hat!“ Daneben ein großes Foto von mir. Schließlich erlöst mich Dr. Fröschl aus meinem „Schamgefühl-Gegen-Helfersyndrom-Gewissenskonflikt“. Er reißt mich am Arm mit aus dem Behandlungszimmer auf den großen Gang, hier riecht es auch schon ein wenig verbrannt! Jetzt ist die Entscheidung gefallen: Ich muss helfen, ohne Rücksicht auf meine persönliche Gefühle! Ich rufe mir den Klinik-Notfallplan ins Gedächtnis und laufe im Geburtstagskleid über den Gang in Richtung Intensivstation. Hier liegen die Hilflosesten der Hilflosen.
Ich laufe schneller. Es ist wie in dem von Freud beschriebenen Traum. Nur das dies hier kein Traum ist! Doch wie in der Freudschen „Traumdeutung“ scheint meine Nacktheit niemand zu bemerken. Aufgrund des inzwischen beißenden Rauchs, der in der Luft liegt, ist jeder der sich noch bewegen kann, damit beschäftigt sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die fitteren Patienten rennen und drängen zu den Notausgängen. Dahinter kommen die Humpelnden, Hinkenden und dann einige mit Rollatoren. Das Klinikpersonal schiebt Patienten in Rollstühlen und Krankenhausbetten im Eiltempo zu den Fahrstühlen. Von draußen mischen sich die Sirenen der soeben eingetroffenen Feuerwehr mit der Krankenhaussirene und der Endlos-Bandansage. Als einzige laufe ich gegen den Strom, weg von den rettenden Notausgängen. Einige schauen mich an, sehen dass ich splitternackt in Richtung des Brandherds laufe und wollen mich aufhalten, „warum lassen die mich nicht einfach meinen Job machen?!?“
Ich laufe in ein Einzelzimmer, wo ein einzelner Patient in einem Spezialbett für Schwerstverbrannte liegt. Er schreit panisch, der Brandgeruch, den er scheinbar auch schon wahrgenommen hat, ruft bei ihm offensichtlich Erinnerungen an die Ursache seiner Verletzungen hervor. Der gesamte Körper ist in einem Spezialverband, nur der Kopf scheint unversehrt geblieben zu sein. Als er mich sieht, verstummt er und starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Er nuschelt etwas. Schlafwandlerisch löse ich sämtliche Schläuche und Kanülen und muss mich dabei zum Teil über seinen Kopf beugen – meine Brüste hängen nahezu in seinem Gesicht. Dann muss ich noch die Bremsen des Bettes lösen, wobei ich mich weit runter zu den Rollen bücken muss. Er brabbelt irgendetwas, es hört sich fast wie ein Gebet an. Um das schwere Bett in Bewegung zu bringen, muss ich heftig am Fußteil des Bettes zerren. Schließlich klappt es. Ich renne zum Kopfteil und beginne das Bett nach vorne gebeugt zu schieben. Es ist anstrengend. Die Luft wird immer stickiger. Ich schwitze. Meine Brüste schaukeln im Takt meiner stemmenden Schritte genau über den Augen des Patienten. Schweißtropfen perlen von meinem nackten Busen direkt auf sein Gesicht. „Aufzüge im Brandfall nicht benutzen“ gibt eine Warnleuchte bekannt, die Tür lässt sich nicht öffnen. Gottseidank laufen mir die ersten Feuerwehrmänner mit einer Trage entgegen. Ich bemerke, dass bei einem der beiden die aufgesetzte Atemmaske von innen beschlägt, da wird mir wieder bewusst, dass ich völlig nackt herumlaufe! Verschämt drehe ich mich um und laufe zurück zur Intensivstation.
Ich komme zu einem Zimmer, in dem nur ein leeres Bett steht und will schon wieder hinaus rennen, da höre ich das Jammern einer jungen Stimme. Es kommt aus dem Badezimmer, wo ein etwa 14-jähriger nackter Junge in der Badewanne sitzt, scheinbar zu schwach und bewegungsunfähig um sich aus selbiger zu befreien. Ich greife ihm unter die Arme und ziehe ihn heraus – sein Kopf zwischen meinen Brüsten – ich kann den nackten seifigen Körper nicht richtig halten, weil meine ebenfalls nackte Haut schweißnass keinen Halt bietet. Der Junge hält sich nicht richtig fest. Ich diagnostiziere eine Muskelerkrankung und steige mit meinen Füßen in die Wanne und versuche es noch einmal. Wieder rutscht der nackte Körper weg. Der Kopf des Jungen gleitet durch meine Brüste an meinem Bauch entlang um schließlich direkt zwischen meinen Beinen zu landen! Für einen Augenblick scheint es mir als ob er die Position genießt. Endlich schaffe ich es ihn in eine aufrechte Position zu bringen. Ich muss ihn auf dem Rücken nach unten tragen. Ich lache etwas in mich hinein, jetzt bin ich wenigstens nicht mehr die einzige Nackte unter so vielen angezogenen. Ich laufe schneller, an meinem Rücken spüre ich plötzlich, dass der Junge eine heftige Erektion bekommen hat. Er bemerkt offensichtlich, dass ich es gespürt habe und flüstert mir ein unterdrücktes „’Tschuldigung … aber Du bist … so … schön …“ in mein Ohr, „das ist schon Okay, jetzt konzentrier Dich aber bitte aufs Festhalten, damit Du mir nicht wieder wegrutschst!“. Ich trage den Jungen die langen Gänge entlang, auf der Suche nach Feuerwehrmännern, die ihn mir abnehmen könnten. Was für eine groteske Situation: Ich renne nackt in einem Krankenhaus mit einem ebenfalls nackten Jungen auf dem Rücken herum! Endlich sehe ich die ersehnten Retter, die aufgrund der ziemlich grotesken Szene, die sie zu sehen bekommen, etwas perplex wirken. Schließlich nehmen sie mir den Jungen doch ab und ich renne wieder los.
Meine Brüste schaukeln vom schnellen laufen. Obwohl ich ziemlich sportlich und fit bin, bekomme ich schlecht Luft, der Rauch hat sich jetzt auf allen Etagen ausgebreitet. Meine nackten Füße patschen auf dem kalten Linoleum. Ich muss zurück auf die Intensivstation, dort liegen die hilflosesten der Hilflosen. Immer häufiger kommen mir nun Rettungskräfte mit Patienten entgegen. Sie blicken mich verwundert an, ja sie starren mich an. Erst in diesem Augenblick werde ich mir wieder meiner Nacktheit bewusst. Ich kann ihren Blicken nicht ausweichen, habe nichts um mich bedecken zu können. Ich fühle nun Scham in mir aufsteigen, unbewusst halte ich einen Arm vor meinen Busen und den anderen zwischen meine Beine. Ich bin an ihnen vorbei, sicher starren sie jetzt noch auf meinen Po, hoffentlich kommt jetzt nicht noch ein blöder Spruch. Doch scheinbar haben sie den Ernst der Situation erkannt und wollen in der Computertomographie nach Hilfsbedürftigen suchen. Plötzlich macht es bei mir ‚Klick’: Ein MRT (Magnetresonanztomograph) ist ein Supermagnet mit einer Feldstärke von 1,5 Tesla! Jeder der dort arbeitet, muss alle Metallgegenstände vorher ablegen. Schon in der Hosentasche vergessene Schlüsselbunde können zu lebensgefährlichen Geschossen werden und diese drei Feuerwehrleute wollen dort in voller Kampfmontur reingehen?! Ich drehe mich um, laufe zurück und schreie: „Halt! Stopp! Achtung! Nicht reingehen!“. Gott sei dank halten sie inne. Sie gucken sich zunächst gegenseitig verwundert an, wahrscheinlich denke sie, dass ich total durchgeknallt bin, wo ich doch hier splitternackt rumturne! Völlig außer Puste stammle ich zwischen lauten Atemzügen: „Wenn der Computertomograph nicht heruntergefahren wurde, befinden sie sich dort drin in ihrer Aufmachung in absoluter Lebensgefahr, der Supermagnet wird sie ansaugen und zerquetschen, bei den Metallmengen, die sie bei sich haben!“ Die Männer bemerken, dass ich doch nicht verrückt bin, finden meine Warnung plausibel und schließen schnell die Tür zum Vorraum des MRT. „Vielleicht könnten Sie schnell nachschauen, ob sich noch jemand dort drinnen befindet … Sie haben ja offensichtlich keine metallischen Gegenstände dabei!“, fragt einer der drei schmunzelnd. Die beiden anderen können sich ein Grinsen auch nicht verkneifen. Mein Schamgefühl schlägt wieder voll durch, nachdem es für eine Weile abgelenkt war. Völlig nackt stehe ich vor drei fremden Männern, die in ihrer Uniform und Ausrüstung ‚mehr als bekleidet’ sind. Mir wird etwas schwindelig, ich gehe etwas schwankend in den MRT-Bereich, niemand da, aber ich hatte Recht, das Gerät ist nicht heruntergefahren worden! Ich stolpere nackt, wie ich geboren wurde wieder zu den Rettungskräften. Für einen kurzen Moment verliere ich das Bewusstsein.
Zwei Feuerleute nehmen mich in die Zange, stützen mich und schleppen mich zum Ausgang. Meine Zehen schleifen über den Fußboden, mein Kopf hängt schlaff auf meinen Schultern. Erschöpft sehe ich an meinen nackten Körper herunter. Meine entblößten Brüste sind in Augenhöhe meiner Helfer, meine rasierte Scham gibt den Blick frei auf meine Schamlippen. Was für eine peinliche Situation! Wellen von Schamgefühl und Erschöpfung durchfließen abwechselnd meinen nackten Körper. Schließlich erreichen wir den Ausgang. Dort hat sich eine riesige Menschenmenge angesammelt: Alle geretteten Patienten, alle meine Kollegen, Krankenhausbesucher, unzählige Rettungskräfte, Schaulustige und Journalisten. Gerade als ich ahne, was das bedeutet, blitzen auch schon die ersten Fotoapparate. Nicht nur, dass ich mich vollkommen nackt vor einer Menschenmenge präsentieren muss. Morgen wird mein Bild in jeder Zeitung zu sehen sein, wahrscheinlich komme ich auch noch völlig nackt ins Regionalfernsehen! Ich spüre, wie ein kühler Lufthauch meinen schweißbedeckten Körper umweht, das Gefühl der Nacktheit wird noch intensiver. Ich schäme mich so. Ich bemerke noch, wie endlich einer der Sanitäter ein erbarmen mit mir hat und mir eine Decke um den Hals legt und falle in eine tiefe Ohnmacht.
Erst am übernächsten Tag erwache ich. Neben meinem Bett sitzt der lächelnde Dr. Fröschl und zeigt mir das Titelblatt des ‚Mühlstädter Beobachters’:
DER NACKTE ENGEL VON MÜHLSTADT
(großes Foto Stefanie mit Decke umhüllt)
Krankenschwester Stefanie (23) – Der nackte Engel aus Mühlstadt
Rainer P., Vertriebsleiter aus M. (39): Ich hatte einen schweren Autounfall und erlitt schwerste Verbrennungen, als ich wieder den Brandgeruch in der Nase hatte, bekam ich furchtbare Angst. Dann erschien plötzlich eine völlig nackte junge Frau und half mir. In diesem Augenblick dachte ich, dass ich es doch nicht aus dem brennenden Auto geschafft habe und ich nun einen nackten Engel neben mir habe, ich betete. Sie bewegte sich so routiniert und professionell, als ob es das natürlichste der Welt wäre, hier splitterfasernackt herumzulaufen. Der Engel war ein wirklicher Mensch, der mir mein Leben gerettet hat, vielen Dank Schwester Stefanie.
Peter L., Schüler aus B. (14): Ich hab’ so eine blöde Muskelkrankheit, manchmal bin ich dann schwach wie ein Baby. Ich bin in die Badewanne gesetzt worden und als das ganze Chaos losging, hat wohl keiner mehr an mich gedacht. Ich habe versucht alleine aus der Wanne herauszukommen, schaffte es aber nicht. Da kam plötzlich Schwester Stefanie herein, die kannte ich schon, doch jetzt war sie splitternackt! Und sie sah so toll aus. Ich war das erste Mal nackt mit einer nackten Frau zusammen in einem Raum, von meiner Mutter mal abgesehen. An ‚Atze’ und ‚Schluffi’: „Für euch wird’s noch `ne Weile dauern, bis ihr mal `ne nackte geile Frau in Echt zu sehen bekommt!“
Ludwig H., Brandmeister aus M. (31): Sie hat mir und meinen beiden Kollegen das Leben gerettet. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten wir den MRT-Raum betreten und wären vermutlich von dem Supermagneten zerquetscht worden. Ein wirklicher nackter Engel und so hübsch anzuschauen. Ich bin ihr sehr dankbar. Ich habe auch dafür gesorgt, dass die Nacktfotos von ihr von den Reportern gelöscht wurden. Ich denke, dass das in ihrem Sinne war.
Dr. F., Facharzt aus B. (32): Ich hatte Schwester Stefanie gerade untersucht, als plötzlich die Sirenen losgingen. Ohne zu zögern fing sie an zu helfen. Ihr Helferinstinkt war offensichtlich stärker als ihr Schamgefühl. Schwester Stefanie hat ihre Nacktheit vergessen und völlig selbstlos anderen Menschen geholfen. Sie hat dadurch mehreren Menschen das Leben gerettet. Sie ist ein wahrer Engel und eine tolle Frau.
Als Dr. Fröschl merkte, dass ich fertig gelesen habe, legt er die Zeitung beiseite und fragt mich mit einem Lächeln im Gesicht: Darf ich Sie zum gemeinsamen Abendessen einladen … ich würde Sie gerne mal in einem schönen Kleid sehen…
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