Dies Irae 1.1
Regennacht.
Hell, fast gleißend bricht die Neonsonne die Dunkelheit in der finsteren Werkshalle.
Licht scheint anbetungswürdig für den, der im Schatten haust. Wo einst ein Strahlen war, herrscht nun Düsternis, wo einst Lächeln auf den Lippen lag, grinsen nun verzerrt die Gesichter.
Ein kleines Elmsfeuer durchzuckt also den Schatten. Ein Flackern im Dickicht des Nichts. Glühend, fast flammend eine Lampe, ein Scheinwerfer sogar, gehalten von zittrigen, faltigen Händen. Augen, alt und doch wach, blitzen durch den Nebel aus schwerer Nacht, der sich auf alles hier gelegt hat. War da ein Schrei? Vor Minuten. Die Stille ist wiedergekehrt, Hölle des Schweigens, des Fegefeuers Silentium im Dunkeln. Etwas ist! Das schleifende Stapfen nackter Füße: Trippedi-trappenden Schrittes durch das Zwielicht, das jenes machtlose Leuchten der Dunkelheit entgegenzusetzten vermag. Staunen. Ungläubigkeit: Wer? Warum? Wie?
Ein Hüsteln, dann erhebt er die Stimme: "Wer da?"
Keine Antwort, nur das hämische Prasseln des Sommeregens, der in Schnüren den zersprungenen Boden benetzt.
Wimmern? ...Wimmern! Tier oder Mensch, qualvoll.
Dunkle Schlieren frischen Blutes. Seines erstarrt in den Adern.
Nochmal, schon verzweifelt: "Hallo? Ist da jemand?"
Leiser Wiederhall von den Wänden.
Lächerlich, hier draußen in der endlosen Weite! Der Wald kann einem nicht antworten. Aber doch, etwas krabbelt wie ein jagendes Tier aus den Eingeweiden herauf, ein ungewohntes Gefühl, hilflose Angst - .
Atem, leiser Atem. Gepresster Atem, Röcheln dringt an seine Ohren.
Das Gewehr liegt in der Hütte, nutzlos zwischen den Fellen am Boden.
Einst, ja einst, wäre das kein Problem gewesen, ein Mann der sich wehren konnte!
Aber jetzt - ? Gebannt blickt er ins Schwarz.
Das Bett war warm gewesen, niemand geht hier Nachts hinaus, schon wegen der Wölfe nicht!
Alter Dummkopf! Aus purem Leichtsinn wirst du sterben - .
Eine namenlose Stimme formt ein Wort, plötzlich klingt ein kraftlos gezischtes "Hilfe!" in der Dunkelheit.
Ein Mensch! Oder etwas ähnliches. Die müden Augen erkennen Umrisse. Eine verbogene, kauernde Gestalt, qualvoll zusammengesackt vor der eingestürzten Wand.
Haare, die herabhängen in verfilzten Quasten, ein zerbrochenes Antlitz nassen Schmerzes, malträtiert von wem oder was auch immer.
Er eilt mit der Elektrofackel zu ihm, (nein, er erkennt) zu ihr und kniet wie ein Sünder vor der regungslosen Silhouette. Seine grauen, schwachen Hände streichen über Stellen versengter, hässlicher Haut, finden dann aber rosige Enklaven, traurige Souvenirs wohl einst makelloser Oberfläche.
Stumm, mit offenen Augen gleitet der schwere Kopf in seine Arme, die er öffnet und schließt. Hin und her wiegend treffen sich ihre Blicke, die sich beide, gleich sterbend, gleich verzweifelt, im Nichts verlieren. Was war geschehen? Wichtiger noch, was würde geschehen?
Hastig rannte er stolpernd zur Hütte zurück. Nackte Angst war in seinem Herzen. Der Emerit holte nach einer Decke, voll der Befürchtung bei seiner Rückkehr auf den leeren, kalten Boden zu blicken, zu suchen, nichts zu finden!
Ein fernes Leuchten durchzuckte dann die Nacht. In den Angeln einer nicht vorhandenen Tür, dem zahnlosen Maul, dem Eingang zur kahlen Industriehöhle, blickte er in die schwarzbleiche Taiga hinaus. Ein irrlichternder Blitz russischer Sommergewitter? Autos? Taschenlampen? Das Unwissen, die Angst vor einer neuen Überraschung quälten ihn. Doch vorerst war anderes zu tun!
Regungslos, unbeweglich fand er die zusammengesackte Kontur, die grausam entstellte Parodie eines weiblichen Körpers wieder. Schnell und behände wickelte er sie in die Decke ein. Blut pochte in seinen Kopf, Adrenalin schoss in die Muskeln. Er hob sie auf und schwankte in die Regenacht hinaus. Irgendwo heulte ein aufgeschreckter Wolf. Zitternd knipste er die Gaslaterne vor seinem Heim an und trug den schlaffen Körper hinein. Was er dann sah, was er dann auf sein Bett legte, löste in ihm zweierlei Gefühle aus. Er sah: Eine Frau. Er sah: Eine hübsche Frau. Er sah: Eine hübsche junge Frau. Er sah. Eine hübsche junge nackte Frau.
Aber: Er sah ebenfalls: Eine blutüberströmte, verbrannte Frau. Die mit halbgeöffneten Lippen murmelnd, stöhnend, das Wort "Wasser" hervorbrachte. Er goß ihr ein Glas ein. Frisch von der Quelle geholt. Heute Morgen. Mit einer Mischung aus Abscheu und suchender Nähe flößte er es ihr ein. Behutsam strich er ihr dabei über die Wangen. Der Kopf sackte plötzlich zu Seite. Gepresstes Atmen, eine Art Ohnmacht wohl. Eingedenk ihrer Verletzungen begann er sie abzutasten. Er kam nicht umhin ihren wunderschönen Körper dabei genauer in Augenschein zu nehmen. Kurz streifte sein Blick über ihre runden, festen Brüste, musterte die hellen Knöpfe, immer das Blut und Schwarze, das Wunde in der Fantasie tilgend.
Da rief er sich zurecht. Niemals konnte er so eine Situation ausnützen. Irgendwie musste er Hilfe holen. Nur wie? Das nächste Dorf war Hunderte von Kilometern entfernt. Der Pickup war kaputt und bedurfte einer langen Reparatur.
Sein Blick fiel in ihren Schritt. Wie lange schon hatte er so etwas nicht mehr gesehen? Die aufkeimende Knospe hehrer Weiblichkeit, der blassrosa Mund aller Begehrlichkeiten. Welch Schwindel, welch schreckliche Gefühle weckte jener gefallen Engel in seinem einsamen Gemüt?
Seine Finger wanderten, wie zwei verräterische Spinnen, zwischen ihre Schenkel, seine vermaledeite Fingerkuppe drang zwischen das Jungferntor.
"Verflucht sei der alte Mann!" Nur ein Gedanke, der ihm durch seinen verwirrten Kopf schoss. Das Mädchen stöhnte, als er Druck und Geschwindigkeit erhöhte. War er nicht der Leibhaftige persönlich? Was nur, was machte der Trieb aus einem rechtschaffenden, alten Herren? Einen Sklaven der eigenen Lust etwa? Seine Finger drangen immer tiefer, immer schrecklichere Wunden schienen sie zu reißen. Einem Wilden gleich, regte sich nun auch der Verrat in seiner Hose. Er schob den hinderlichen Stoff nach unten, der zynischte aller Dämonen war wohl in ihn gefahren und forderte sein Opfer. Heiß und kalt war ihm, strömender Schweiß bildete Bäche auf seinem nunmehr nackten Körper, vereinigten sich und flossen, wie die unheilige Styx den Hades, zu Boden hinab. Gier, ja blinde Gier war es, die ihn vorantrieb. Der alter Affen Angst, unbefriedigt zu verleben, ohne Dionisios noch ein einziges Mal besucht zu haben. Er legte sich auf sie, suhlte sich, wie das niederste Schwein auf ihrem geschundenen Leib, suchte Einlass, fand ihn, rieb sich wie ein Berserker an ihr.
Doch nur kurz. In der Ferne hörte er plötzlich ein Motorengeräusch, das sich zart zu seiner Hütte tastete. Mit einem Schlag, als träfe ihn die Hand Gottes im Gesicht, erwachte er aus seinem unseligen Rausch. Angst, Panik, Scham jagten in seinem Körper umher, kämpften wie junge Wölfe um die Oberhand.
Erst als er eine Autotür schlagen hörte, erst als sich sorgende Stimmen näherten, floh er zur Hintertür. Wie ein verwundetes Raubtier zog er sich in die Büsche zurück, blieb dort ausharrend versteckt.
Nach einigen Minuten war es plötzlich wieder still. Vorsichtig kehrte er zu seiner Hütte zurück, diesmal von der Vorderseite. Die Tür stand offen. Das Bett war leer. Der sündige Greis war wieder allein.
Er setzte sich hin, überlegte, begann sich von Minute zu Minute mehr zu hassen, holte sein Jagdgewehr, setzt es an seine Schläfe, bereit sich zu bestrafen.
Aber dann. Ein Poltern, fern und doch nah. Irrte er sich oder waren da Schritte. Er lies den Kolben fallen, öffnete die Tür, nahm seine Taschenlampe und ging hinaus zum Ausgangspunkt alles Unheils.
Regenacht.
Hell, fast gleißend bricht die Neonsonne die Dunkelheit in der finsteren Werkshalle.
Licht scheint anbetungswürdig für den, der im Schatten haust. Wo einst ein Strahlen war, herrscht nun Düsternis, wo einst Lächeln auf den Lippen lag, grinsen nun verzerrt die Gesichter...
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