Treibjagd (1)
Treibjagd1 (Marga)
Marga ist unmöglich!
Sie beißt ihre Frischlinge ungeniert in die kleinen zarten Ringelschwänzchen, wenn sie von ihrer Neugier aus dem Wurfkessel getrieben werden, und zerrt sie daran zurück.
Sie sind noch zu klein, um sich selbst zu schützen.
Marga, die Bache und besorgte Frischlingsmutter ist meine Freundin. Unsere erste Begegnung werde ich nie vergessen.
Es war voriges Jahr im Mai, als ich in der ersten warmen Frühjahrssonne einen meiner gewohnten Waldläufe machte. Ich wollte eine Abkürzung durch ein kleines Tal mit einem Eichen- und Buchehain nehmen, weil ich einen dringenden Termin hatte und weil ich wusste, dass mein Weg auf der anderen Seite wieder zurück führt.
Doch unten im Tal, an einem schmalen Wasserlauf, stand ich plötzlich einer kleinen Wildschweinrotte gegenüber. Genauer gesagt, und noch viel schlimmer: Es war eine Bache mit Frischlingen. Ich war vor Schreck völlig erstarrt, hielt mich mit der linken Hand an einem dünnen Eichenast fest und versuchte, mich nicht zu bewegen. Wildschweine sind kurzsichtig.
Das hoffte ich wenigstens, weil ich es einmal so gehört hatte.
Der Ast war ziemlich schwach und bog sich nach unten. Was, wenn der jetzt abbricht und knackt?
Er knackte nicht. Aber es geschah etwas anderes.
Eines der kleinen Sträflinge kam plötzlich auf mich zu und fraß die jungen grünen Triebe von dem Ast ab, der sich jetzt bis zum Boden geneigt hatte.
Um mich kümmerte es sich gar nicht. Es hatte auf dem Rücken eine lange, fingerbreite und gezackte Narbe.
Offenbar war es ziemlich neugierig vom Wesen her.
Daran habe ich Marga später wieder erkannt.
Auf einmal tapsten auch die anderen Frischlinge dem Kleinen nach und schließlich auch ihre Mutter, die schwarzgraue Bache. Zuerst kostete sie von den jungen Eichentrieben, schmatzte zufrieden und kam dann direkt auf mich zu. Ich zitterte vor Angst, so dass mir der Ast aus der Hand glitt und ich zu Boden fiel. Aber sie blieb ganz friedlich, schnüffelte nur an mir herum und grunzte. Meine Laufshorts schienen ihr vom Geruch her nicht geheuer zu sein. Sie biss hinein und zerrte an ihnen herum.
‚Lieber nackt als tot“, dachte ich verzweifelt und ließ meinen Hintern langsam aus dem Höschen gleiten.
Auch mein T-Shirt ging diesen Weg. Ob wegen der leuchtenden Farben oder wegen des Geruchs, ich weiß es nicht, aber es gefiel ihr auch nicht.
Sicherheitshalber langte ich wieder nach dem Ast und mit der anderen Hand gleich nach noch einem, um sie von mir abzulenken.
Es gelang. Als sie alle übrigen niedrigen Äste mit meiner Hilfe abgefressen hatten trollten sie sich alle friedlich von dannen. Nur eines der kleinen Streiflinge blickte noch einmal zurück. Das mit der Narbe am Rücken. Ich nannte es Blessy, wegen seiner Blessur. Da wusste ich noch nicht, dass es ein kleines Wildschweinfräulein war.
Was viel schlimmer war: Es hatte meine Jogging-Shorts im Maul und schleppte sie triumphierend davon.
Das verschmähte T-Shirt musste auf dem Heimweg viele strapazierende Streckversuche über sich ergehen lassen. Es war mein einziges verbliebenes Kleidungsstück.
In diesem Jahr, vierzehn Monate später habe ich Blessy wieder getroffen.
Es war Ende August und sie war eine ausgewachsene trächtige Bache. Ich war wieder einmal Joggen und sie stand einfach so am Wegesrand. Die Narbe hatte sie immer noch, aber es wuchsen jetzt dünne rosa Borsten darin. Sie schaute mich an, als ob sie mir etwas sagen wollte. Dann drehte sie sich um und ging ganz langsam in den Wald hinein. Ich konnte nicht anders, ich musste ihr folgen.
Nach unserer ersten Begegnung hatte ich mich im WIKI schlau gemacht über Wildschweine. Daher ahnte ich, dass mit ihr irgendwas nicht stimmte. Wenn sie jetzt trächtig war, dann war das außer der Zeit.
Im Herbst und Winter kommt die nächste Rausche der Wildschweine, ihre Paarungszeit. Da sollten ihre diesjährigen Frischlinge längst selbständig sein. Hatte sie ihren ersten Wurf verloren und war im Sommer noch einmal rauschig geworden?
Nicht gut. Sie sah auch nicht wirklich gut und gesund aus. Jetzt war doch eigentlich die Zeit, um sich in Ruhe Winterspeck anzufressen.
Einige Hundert Schritte weiter führte sie mich zu einer großen alten Buche, unter deren Wurzeln sie sich eine tiefe Höhle ausgewühlt hatte, die ziemlich notdürftig mit Ästen und Zweigen verdeckt war. Eine Heidenarbeit! Aber die Mittagssonne schien darauf.
War das ihr Wurfkessel? Ich kroch neugierig und vorsichtig hinein.
Die losen Äste verhakten sich schnell in meinen Kleidungsstücken, und, um sie zu schonen und auch nicht wieder Streckversuche am T-Shirt machen zu müssen, zog ich mich schon wieder einmal ganz aus. Ganz vorsichtig, wie eine Schlange am Boden kriechen!
In der Höhle begriff ich dann auch schnell, was ihr Problem war.
Der Wurf ihrer Frischlinge stand kurz bevor, aber sie hatte es nicht mehr geschafft, den Wurfkessel abzudichten und auszupolstern. Ich musste ihr helfen.
Das tat ich dann auch. Ich holte weiches Moos und langes Gras soviel ich konnte. Es kam mir vor lauter Eifer gar nicht richtig ins Bewusstsein, dass ich dabei ganz nackig durch den Wald lief.
Erst im Nachhinein erinnerte ich mich daran, was für ein schönes leichtes Gefühl das war. Ich wurde dabei automatisch immer bedachter und vorsichtiger in Bezug darauf, wo ich hintrat, aber gleichzeitig auch immer unbekümmerter in Bezug auf meine Nacktheit.
Es war gleichzeitig anstrengend und schön. Das wilde Leben. Ich war begeistert von meiner Aufgabe!
Wir teilten uns in die die Arbeit. Ich schleppte Moos heran und sie verteilte es innen fachschweinisch, ohne es je gelernt zu haben. Genau wie ich.
Ich nannte sie Marga, weil sich ihr zufriedenes Grunzen immer so anhörte, wie „marrgar“
Immer, wenn ich mit einer Ladung ankam, grunzte sie und ich antwortete: “Marga!“
Wir gewöhnten uns daran und wurden wie zwei Schwestern.
Als es schon fast dunkel wurde, und ich mich einmal lang hingelegt hatte, um zu verschnaufen, da kam sie zu mir und kraulte mir mit ihrem Rüsselkinn den Rücken, ohne mich im Geringsten zu verletzen. Ich kraulte sie zurück.
Sie genoss es grunzend und lernte dabei ihren neuen Namen. Ich lernte Grunzen.
Am nächsten Tag hatten wir noch den Kessel oben mit Laubästen und Moos abgedichtet.
Schon in der folgenden Nacht brachte Marga dann alleine ihre fünf Frischlinge auf die Welt.
Als ich sie wiedersah, hatte sie noch nichts weiter gefressen, als ihre eigene Nachgeburt, lag erschöpft in ihrem Kessel und konnte sich kaum ihrer gierigen Kinderschar erwehren, die an ihrem Gesäuge hingen wie die Vampire. Ein toller Anblick.
Ich rannte sofort wieder los, schüttelte Eicheln von den Bäumen, sammelte Kastanien, riss Wurzeln aus und grub sogar nach Würmern und Käfern, um sie wieder zu Kräften kommen zu lassen. Meine Joggingklamotten mussten dabei als Tragetasche herhalten. Ich war wieder nackig und fand es herrlich wild.
Ihre fünf Frischlinge gewöhnten sich bald so an mich, dass sie sogar versuchten an meinen Brüsten und an meinem Bauch zu saugen. Es war einfach irre und ich war so glücklich, wie noch nie.
Ja, so war das.
Jetzt sind wir über den Berg. Die Kleinen werden immer aufmüpfiger und wollen raus. Marga hat sicher auch die Höhle satt. Vor allem muss sie jetzt die kleinen gestreiften Racker daran gewöhnen, dass sie nicht einfach pinkeln und hinknöken können, wo es ihnen passt.
Bei uns Wildschweins gibt es extra dafür abseits liegende Kuhlen im Busch.
Ich habe mir Urlaub genommen und komme jeden Tag zu ihr und den kleinen Rackern.
Es ist herrlich.
Ich fühle mich so als Teil der Natur, dass mir unsere wilde Weibertruppe „WIXXEN&WITCHES“, die immer in der Teufelsschlucht, gar nicht weit von hier, nachts am „Hexenfeuer“ wilde Rituale mit Johannisbeer-Blut und nacktem Besentanz in Kerzenkreisen zelebriert, richtig lächerlich vorkommt.
Nur meine hoch am Baum hängende Kühltasche erinnert mich an die Zivilisation.
Ob ich Marga dem Klaus-Peter, meinem Freund vorstelle?
Nein, lieber nicht. Männer sind eben doch eine ganz andere Art von Wildschwein. Wer sagt denn, dass immer ein Mann dabei sein muss, wenn es mir gut geht?
Kommentare
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