Wahrhaft Nackt


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23.02.2012
CMNF

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Singen zieht mich aus. Dann bin ich - ich lebe bis in die Zehenspitzen hinunter – ich spüre mich in meinem Bauch - ich fühle mich weiter und offener.

 

Ich verlasse diesen schwere Hülle und bin nur noch meine Stimme auf den sanften Wellen der Melodie – ganz schutzlos vor dem Publikum vollkommen entblößt zeige ich mich als nackte Emotion als Sopran. Klarer, runder Klang und totale Ruhe. Ich ruhe ganz in mir und fühle mich geschützt, gehalten, umarmt, geliebt durch die Musik. Körperlos. Die Hülle ist nicht mehr wahrnehmbar. Jeder Arie ist ein Liebesakt, jedes C ein Orgasmus. Und alle sehen mir dabei zu. Halten Abstand. 

 

Und am Ende erwache ich langsam aus dem Rausch und bin allein. Überreizt über empfänglich für jegliche Empfindung. Emotional. Überempfindlich für jedes leise Geräusch. Dann kommt die Angst, denn gleich folgt der Akt, dem ich jedes Mal schutzlos ausgeliefert bin. Applaus! Der ohrenbetäubende Lärm von monströsen, flappenden Händen. Für einen Moment bin ich verwirrt, habe Schwierigkeiten, mich zurecht zu finden, verbeuge mich und versuche die Nebel vor meinem Bewusstsein zu vertreiben. Dann fehlt mich der Halt. Kein sanftes Dahingleiten als Übergang zwischen den Geisteszuständen, wie ich es verkraften könnte, sondern ein abrupter Sturz in die Realität. Zurück bleibt immer noch das Gefühl von schutzloser Nacktheit. Verletzbarkeit. Ich wäre gern unberührbar. Wo ist mein Halt? Jemand der mich versteht?

 

Mein Körper ist zu schwach um Widerstand zu leisten. Er zeiht die Menschen an. Ich kann nichts dagegen tun. Es gibt kein Entrinnen, vor den Menschen, die auf mich einreden, mich beglückwünschen und mich berühren. Meine, Hand, meinen Arm, mich umarmen – nichts zeigt mir abscheulicher, dass ich gefangen bin in der Wirklichkeit. In der Körperlichkeit einer Oberfläche, die erregbar ist, die triebhaft ist, die hübsch ist. Das Paket stimmt, so sagen sie oft. Unbekleidet ist nicht nackt.

 

Unbekleidet. Sie alle, all die Männerhände, die überall berühren, alle die Männerkörper, die ich auf mir spüre. Warum? Sie sind die Lust der Wirklichkeit. Sie erregen mich, bringen die Hülle zum schwingen. Geruch, Geschmack, eindringend, aufnehmend zitternd bis zur Explosion. Weitab der höchsten Höhen ist der Orgasmus an der Oberfläche, denn sie dringen nicht zu meiner Seele vor. Sie kennen nur meinen Körper, wissen nicht was singen ist. Keiner. Keiner von ihnen. Sie haben mich gesehen, gefühlt, geliebt und sind mir doch nie begegnet. Auge in Auge. In meiner Welt, da wo ich wirklich bin. Sie sahen mich nie wirklich nackt. Nur unbekleidet.

 

Wer kann mich berühren? Wer findet mich an dem geheimen Ort? Und wenn er dort ist sieht er mich wirklich, rein, nackt und verletzlich. Wer könnte dies schaffen? Womit dringt er in mich, durchdringt die Barriere? Wann? Der Teil der zu mir passt, der meine Wunden heilt? Der mich beschämt, ob seiner Wahrhaftigkeit? Seiner Nacktheit? Seiner Vollkommenheit? Er?

 

Warmer, männlicher Klang. Bariton. Erbebend. Erschütternd nah. Gefühle, tief und echt? Ohne Worte. Magisches Duett. Gleichklang, Hand in Hand, Auge in Auge. Berührungen, die durchdringen. Gemeinsam fliegen. Zwei Stimmen verschmelzen in sinnlichen Läufen und Trillerketten. Umschlungen wie ein Paar beim Liebesakt und begegnen sich wahrhaftig auf einem einzigen Ton. Sehr nah. Zu nah? Völlig nackt, total ungeschützt, fordernd, heiß, schamlos echt. Zusammen.


Kommentare

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selena333 schrieb am 04.03.2024 um 22:33 Uhr

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