Die Walküre
Die Walküren: liebliche Wunschmädchen der gefallenen Helden, denen sie in Walhalls Saal Gesellschaft leisten, kampfeslustige Streiterinnen Wotans. Mit leuchtenden Augen und holden Lippen sind die kühnen, herrlichen Kinder des Göttervaters größter Stolz.
Die Wikinger haben in Polarlichtern ein Zeichen für die Anwesenheit von Walküren auf der Erde gesehen und daß irgendwo auf der Welt eine große Schlacht geschlagen worden ist. Wenn die göttlichen Frauen über die Schlachtfelder reiten und die ehrenvoll Gefallenen auswählen, spiegelt sich das Licht des Mondes in ihren goldenen Rüstungen und zaubert das „Nordlicht“ an den Himmel.
Der Winter im hohen Norden ist grimmig kalt, windig und vor allem finster. Zwei Monate oder mehr schafft es die Sonne nicht über den Horizont, an schönen Tagen kann man dann mit Glück zwei oder drei Stunden eines milden Dämmerlichts genießen.
Das ist das Land, wo die nordischen Sagen entstehen. Die Welt der Götter, Riesen und Zwerge. Und die der Helden.
Der Göttervater verbannt sein schönstes, liebstes Kind, Brünnhilde,auf einen einsamen eisigen Felsen.
"Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind!
Du meines Herzens heiligster Stolz!
Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!"
Dort kann sie nur der furchtlose freie Held erobern.
Der Held, der die Götter vor dem Untergang bewahren soll.
"Flammende Glut umglühe den Fels;
mit zehrenden Schrecken
scheuch es den Zagen;
der Feige fliehe Brünnhildes Fels!
Denn einer nur freie die Braut,
der freier als ich, der Gott!"
Der Student S. hat sich in den kalten finsteren nordischen Winter gewagt. Durch die eisige Nacht stapft er zur Paßhöhe, um das Nordlicht zu sehen. Jeder Atemzug schmerzt in der Kälte. Er ist ganz allein, fühlt sich einsam. Die verschneiten Berge glänzen im Mondlicht. Der Nachthimmel ist von Sternen übersät und wirkt wie ein schwarzes Tuch mit Millionen funkelnder Diamanten.
Beim mühsamen Aufstieg hilft S. der Gedanke an die Musik Richard Wagners. Und er denkt zärtlich an seine liebe Zwillingsschwester daheim. Ihretwegen hat er bisher keine sexuelle Beziehung eingehen wollen.
"Die Walküre" von Richard Wagner ist seit vielen Jahren die Lieblingsoper des Studenten. Wie vielen Wagnerianern gefällt auch ihm der erste Aufzug am besten. Unzählige Male hat er am Stehplatz die große Liebesszene des Geschwisterpaars Siegmund und Sieglinde miterlebt, hat sich am Widerstand des Komponisten gegen die spießige bürgerliche Konvention des 19.Jahrhunderts gefreut.
Thomas Manns "Wälsungenblut kennt er fast auswendig.
Vor Beginn der Vorstellung liest er öfter einmal seine Lieblingsszenen:
In der Oper angekommen, begegnen die neunzehnjährigen Zwillinge, nicht zum ersten Mal, in den nordischen Götterkindern Siegmund und Sieglind ihren eigenen Spiegelbildern, begegnen und erleben triumphierend mit, wie Sieglind durch einen starken Zaubertrank den verhaßten Hunding, den man ihr als Ehemann aufgezwungen hat, in einen Tiefschlaf versetzt, um sich anschließend ganz ihrer Leidenschaft für Siegmund hingeben zu können. Fasziniert lauschen die Zwillinge dem musikalischem Liebesrausch ihrer Ebenbilder. In den Theaterpausen sprechen sie fast nichts und lutschen, während sie wie in Trance über Gänge und Treppen langsam dahinwandeln, scheinbar gleichgültig an ihren eigens mitgebrachten „Kognak-Kirschen“ und „Maraschino-Bonbons“.
S. seufzt. Die herzerwärmende Liebe läßt ihn die grausame Kälte und den heulenden Wind vergessen. Dann denkt er an den Anblick der nackten Schwester auf dem Bärenfell vor dem Kamin. "Winterstürme wichen dem Wonnemond!"
Auf dem Heimweg sitzen die Beiden wieder schweigend in der Kutsche, „abgeschlossen vom Alltag“. Nichts kann sie erreichen, „was sie der wilden, brünstigen und überschwenglichen Welt hätte abwendig machen können, die mit Zaubermitteln auf sie gewirkt, sie zu sich und in sich gezogen.“
Sie trennen sich nach einem raschen und wortkargen Beisammensein am Abendessenstisch, doch ist für Siegmund, der sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hat, klar, dass Sieglind noch einmal erscheinen und ihm, wie immer, eine gute Nacht wünschen wird. Vor dem Spiegel beginnt er, die vorhin gesehenen Theaterposen auszuprobieren, begibt sich, wie sein Opernvorbild, mit tragisch schleppenden Schritten zu dem Bärenfell, das auf dem Boden liegt, und läßt sich dort, „versunken in den Anblick seines eigenen Spiegelbildes“, wie erschöpft nieder.
Als Sieglind, schon halb entkleidet für die Nacht, zu ihm kommt, ist sie zunächst entsetzt, da sie glaube, er habe sich verletzt oder sei krank. Besorgt wie ihr germanisches Bühnenvorbild, kniet sie neben ihm nieder und beginnt ihn zu streicheln. „Ihr aufgelöste Haar fiel hinab auf ihren offenen, weißen Frisiermantel. Unter den Spitzen ihres Mieders sah Siegmund ihre kleinen Brüste, deren Hautfarbe wie angerauchter Meerschaum war.“
Die Erinnerung an die heiße Geschwisterliebe wärmt den Wanderer im Schnee. Er geht langsam aber stetig weiter.
Noch ein paar hundert Höhenmeter bis zum verschneiten Paß mit der weiten freien Aussicht Richtung Norden
Seine Gedanken kreisen um den Ring des Nibelungen. Die Walküren zeigen sich hier im Norden als Nordlicht, sagt man.
Sie reiten über den Nachthimmel und man sieht ihre grünen Feuerspuren.
Die Walküre! Mehr und mehr ergreift ihn die Vorstellung der Schlußszene im dritten Aufzug Walküre. Der Göttervater bietet sein liebstes Kind demjenigen, der das Feuer nicht fürchtet.
"In festen Schlaf verschließ ich dich:
wer so die Wehrlose weckt,
dem ward, erwacht, sie zum Weib!"
Das ist eine Fantasie ganz nach dem Geschmack des Studenten. Ein wunderschönes Wunschmädchen, nackt auf dem Felsen, nur mit einer Rüstung zugedeckt. Wie gerne möchte er sie wachküssen!
S. stapft weiter durch den Schnee und die Dunkelheit des Nordens. Die Füße sind eiskalt. Er spürt sie kaum mehr trotz seiner dicken Stiefel. Tief zieht er sich die Kapuze ins Gesicht. Leuchtet da etwas am nördlichen Horizont?
"Ach! Wie schön!
Schimmernde Wolken säumen in Wellen
den hellen Himmelssee;
leuchtender Sonne lachendes Bild
strahlt durch das Wogengewölk!"
"Ach, die Sonne!" In der Dunkelheit der nordischen Winternacht versteht der Student die Bedeutung des wärmenden Gestirns für die Germanen. Doch die Sonne erhebt sich nicht im Winter des Nordens. Was kann es dann sein?
Ein Trugbild steigt vor seinen Augen auf. Der eisbedeckte Berg vor ihm ähnelt dem eisigen Walkürenfelsen in der Ring-Inszenierung von Adolf Dresen. Fände er doch die schöne Frau darauf wie Siegfried, der Held!
"Von schwellendem Atem
schwingt sich die Brust!
Brech' ich die engende Brünne?
Komm, mein Schwert, schneide das Eisen!
Das ist kein Mann!
Brennender Zauber zückt mir ins Herz;
feurige Angst faßt meine Augen:
mir schwankt und schwindelt der Sinn!
Wen ruf' ich zum Heil, daß er mir helfe?"
Vor seinem Auge erscheinen erotische Bilder von einer wilden blonden nackten Frau. Er möchte sie haben. Jetzt! Hier!
Schlafend liegt sie wehrlos vor ihm hingestreckt.
"Wie weck' ich die Maid,
daß sie ihr Auge mir öffne?
Das Auge mir öffne?
Blende mich auch noch der Blick?
Wagt' es mein Trotz?
Ertrüg' ich das Licht?
Mir schwebt und schwankt
und schwirrt es umher!
Sehrendes Sehnen zehrt meine Sinne;
am zagenden Herzen zittert die Hand!"
Doch er scheut sich, die Schlummernde zu wecken, bekommt plötzlich Angst vor der Begegnung mit der schönen Frau.
Der Wunsch ist das eine, doch die Begierde kämpft mit der Scheu, einer schönen fremden Frau seine Liebe zu zeigen.
"Wie end' ich die Furcht?
Wie fass' ich Mut?
Daß ich selbst erwache,
muß die Maid mich erwecken!
Süß erbebt mir ihr blühender Mund."
Das sexuelle Begehren siegt schließlich über die Furcht. Er küßt sie lange und fordernd. Er spürt ihre Wärme.
Vergessen sind Kälte und schmerzende Glieder.
"Ach! Dieses Atems wonnig warmes Gedüft!
Erwache! Erwache! Heiliges Weib!
Sie hört mich nicht.
So saug' ich mir Leben aus süßesten Lippen,
sollt' ich auch sterbend vergehn!"
Die schöne stolze Frau erwacht aus ihrem tiefen Schlaf.
Sie steht auf, streckt sich, hebt die Arme und öffnet die Augen.
S. sieht sie zum ersten Mal in ihrer ganzen Schönheit.
Der schlanke Körper, die ebenmäßigen Brüste, die hohe Stirn, das lange blonde Haar, die blauen Augen.
"Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!
Heil dir, leuchtender Tag!
Lang war mein Schlaf;
ich bin erwacht.
Wer ist der Held, der mich erweckt?"
Der Held erweckt auch erotische Gefühle in ihr.
Er will sie besitzen. Nichts kann ihn mehr daran hindern, sie sich zu nehmen. Er ist jetzt erregt und bereit.
"Es braust mein Blut in blühender Brunst;
ein zehrendes Feuer ist mir entzündet:
die Glut, die Brünnhilds Felsen umbrann,
die brennt mir nun in der Brust!
O Weib, jetzt lösche den Brand!
Schweige die schäumende Glut!"
Die Frau ergibt sich in ihr Schicksal.
Ihr Atem geht schneller, ihre spitzen Brüste heben sich.
Sie ist bereit für ihren Helden!
"Kein Gott nahte mir je!
Der Jungfrau neigten scheu sich die Helden:
heilig schied sie aus Walhall!
Wehe! Wehe!
Wehe der Schmach, der schmählichen Not!
Verwundet hat mich, der mich erweckt!"
Ihre Lust gewinnt die Oberhand über die Schmach der Unterwerfung unter den Willen des Mannes. Sie nähert sich ihrem Höhepunkt.
"Sonnenhell leuchtet der Tag meiner Schmach!
O Siegfried! Siegfried!
Sieh meine Angst!
Ewig war ich, ewig bin ich,
ewig in süß sehnender Wonne,
doch ewig zu deinem Heil!
O Siegfried! Herrlicher! Herr der Welt!
Leben der Erde! Lachender Held!
Laß, ach laß, lasse von mir!"
In seliger Vereinigung sinken sie nieder.
Mit seinen Händen erkundet S. den nackten weiblichen Körper.
Er gerät in Ekstase. Nie hat er ein so starkes Gefühl in seiner Brust gespürt. Es ist ganz anders als bei seiner Schwester.
"Dich lieb' ich: o liebtest mich du!
Nicht hab' ich mehr mich:
o, hätte ich dich!
Ein herrlich Gewässer wogt vor mir;
mit allen Sinnen seh' ich nur sie,
die wonnig wogende Welle.
Brach sie mein Bild, so brenn' ich nun selbst,
sengende Glut in der Flut zu kühlen;"
Noch immer drängt der Held.
Er will nicht länger warten.
"Was du sein wirst, sei es mir heut!
Faßt dich mein Arm,
umschling' ich dich fest;
schlägt meine Brust
brünstig die deine;
zünden die Blicke,
zehren die Atem sich;
Aug' in Auge, Mund an Mund:
dann bist du mir,
was bang du mir warst und wirst!"
Die Frau wird noch heißer und geiler.
Ihre Nippel richten sich auf. Ihr Schoß wird feucht.
Ihre Lippen glänzen.
"Ob jetzt ich dein?
Göttliche Ruhe rast mir in Wogen;
keuschestes Licht lodert in Gluten:
himmlisches Wissen stürmt mir dahin,
Jauchzen der Liebe jagt es davon!
Ob jetzt ich dein?
Siegfried! Siegfried!
Siehst du mich nicht?
Wie mein Blick dich verzehrt,
erblindest du nicht?
Wie mein Arm dich preßt,
entbrennst du mir nicht?
Wie in Strömen mein Blut entgegen dir stürmt,
das wilde Feuer, fühlst du es nicht?
Fürchtest du, Siegfried,
fürchtest du nicht das wild wütende Weib?"
Der Held nimmt sie mit Macht. Tief und hart dringt er in ihren unberührten Schoß ein. Göttliche Vereinigung!
"Lachend muß ich dich lieben,
lachend will ich erblinden,
lachend zugrunde gehn!
Fahr hin, Walhalls leuchtende Welt!
Zerfall in Staub deine stolze Burg!"
Erschöpft sinkt er nach dem Liebesakt zu Boden.
Er ist schweißbedeckt, fiebert. Sein Atem geht stoßweise.
"Sie ist mir ewig, ist mir immer,
Erb' und Eigen, ein und all:
leuchtende Liebe, lachender Tod!"
Am nächsten Tag finden Schitouristen den erschöpften Studenten im Schnee und bringen ihn in eine wärmende Hütte.
Sie flößen ihm Unmengen von heißem Tee ein.
Seine Augen glänzen als er erwacht und mit schwacher Stimme murmelt er selig:
"Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!
Heil dir, leuchtender Tag!
Lang war mein Schlaf;
ich bin erwacht."
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