Tochter der Nacht
Tochter der Nacht
Habt ihr schon einmal einen Engel gesehen? Wenn nein würdet ihr mich wahrscheinlich für einen halten. Dies liegt an der Ebenmäßigkeit meiner Gesichtszüge, der Helligkeit meiner Haut und der fast Vollkommenheit meines Körpers. Doch ich will euch nicht mit der Aufzählung meiner Vorzüge langweilen. Ich möchte mich offenbaren und endlich aus dem Schatten meiner Existenz und der der Meinigen heraustreten. Dies soll der Bericht meines Lebens sein, ein Leben wie ihr es noch nie gehört haben werdet.
Ich wurde in einer Zeit als Tochter eines armen Bauerns geboren die ihr als eine dunkle, als eine kriegerische Epoche kennt, den Übergang des Mittelalters zur Neuzeit. Unser Ackerland warf gerade genug für unsere Familie ab um mit Müh und Not zu überleben ohne zu hungern. Die Abgaben an unseren Lehnsherr und an die Kirche konnten wir nicht immer pünktlich zahlen und doch waren wir glücklich mit dem was wie hatten.
Im Schmutz der Straße und des Hauses, unter der harten Arbeit auf dem Feld meines Vaters und der anstrengenden Haushaltsarbeit unter der Weißung meiner Mutter wuchs ich zu einer Schönheit heran. Die Jungen unseres Dorfes standen bei mir Schlange, jeder wollte bei den Festen mit mir tanzen, jeder warb um mich doch nur einer hatte es geschafft mein Herz zu erobern, doch genau dieser schien überhaupt kein Interesse an mir zu haben. Er hieß Otto, wie der Kaiser der unser Land nach dem Tod Heinrichs IV. regiert hatte. Eigentlich kannte ich ihn schon seit meiner gesamten Kindheit. Ein hässliches Kind war er gewesen, oft verspottet und ausgegrenzt, doch mit der Pubertät verwandelte er sich in einen regelrechten Schönling, aber nicht etwa in seinem Charakter sondern rein äußerlich. Er hätte jedes Mädchen unseres Dorfes haben können, doch wies er sie alle reihenweiße ab. Die Eine war ihm zu dumm, die Andere zu stolz – diese schien er mit Vorliebe abzuweisen – und die Nächste zu unterwürfig. Ich könnte diese Liste noch endlos fortsetzen doch wäre dies eine andere Geschichte.
Nun, wie ich schon angemerkt hatte, ich hatte mich Hals über Kopf in ihn verliebte. Das Herz wollte mir zerbrechen konnte ich nicht in seiner Nähe sein, meine Nerven waren bis zum zerreißen gespannt sah ich ihn in der Ferne vorbeilaufen, ein Kloß saß mir im Hals wenn ich zu ihm sprechen wollte und die blanke Eifersucht überkam mich turtelte er mit einer Anderen herum, kurz gesagt ich fühlte mich hin- und hergerissen, je ob er greifbar war oder nicht.
Zwei Jahre lang litt ich und konnte an nichts anderes als ihn denken. In dieser Zeit lernte ich, dass ich meinen Gedanken am besten nachts vor unserem kleinen Hof am Dorfrand nachhängen konnte. So kam es auch, dass ich einen Engel kennenlernte, jedenfalls dachte ich es damals. Ich war wieder einmal so tief in meinen Liebeskummer versunken, dass ich nicht mitbekam wie er plötzlich neben mir auf der Bank saß und in die gleiche Richtung wie ich starrte. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie stark ich zusammenzuckte als er urplötzlich in meinem Blickfeld auftauchte. Vor Schreck fiel ich von der Bank, einen Schrei auf den Lippen doch brachte ich keinen Ton heraus, und dachte mein Herz würde stehenbleiben.
Starr vor Schreck und Angst starrte ich ihn mit offenem Mund an. Noch nie zuvor hatte ich meine Umgebung so klar wahrgenommen wie in diesem Moment. Doch er schaute nur weiterhin hinauf zum Himmel, wie als wüsste er nicht wie er mich mit seiner bloßen Präsenz von der Bank geworfen und meinen Adrenalinspiegel sprunghaft hatte ansteigen lassen. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit als er langsam den Kopf zu mir wandte und ich noch einmal dachte sterben zu müssen. Noch einmal schien die Zeit schleichend langsam zu vergehen als er mich aus seinen tiefbraunen Augen ansah. Ich muss noch erwähnen, dass diese Nacht etwas bewölkt und der Mond bedeckt war. Mit einem Male aber gaben die Wolken den Mond frei und ich sah in das ebenste, gleichmäßigste Gesicht das ich in meinen bis dahin sechzehn Lenzen gesehen hatte. Seine Augen schienen das Mondlicht aufzusaugen um es im gleichen Moment verstärkt wieder zu abzustrahlen und sein Mund schien obwohl er geschlossen war nach mir zu rufen.
Otte war aus meinem Kopf wie weggeblasen und nur noch diese Gestalt vor mir auf der Bank existierte für mich. Ein Verlangen durchströmte mich wie ich es noch nie zuvor gespürt hatte - fremd und doch vertraut. Seine Lippen bewegten sich und er schien mir etwas sagen zu wollen, doch konnte ich ihn nicht verstehen. Es dauerte eine Weile bis seine Worte zu meinem Bewusstsein drangen und mich aus meiner Starre rissen. „Ich kann Eure Sehnsucht nicht weiter mit ansehen“, sagte er. „Lasst mich Euch helfen und die Welt mit neuen Augen wahrnehmen.“
Es dauerte eine Weile bis sich der Kloß in meinem Hals löste. „Wer seid Ihr?“, stammelte ich nachdem meine Stimme mir wieder gehorchen wollte.
„Keine Angst, meine Prinzessin“, flüsterte er, erhob sich und versetzte mich einzig und allein mit dieser simplen Bewegung in Erstaunen; flüssig, geschmeidig und anmutig wie eine Katze die sich erhebt um anschließend vom Ofen zu springen. „Wie unhöflich von mir mich Euch nicht vorzustellen“, sagte er, hielt sich eine Hand vor die Brust und verbeugte sich galant vor mir wie sich noch nie ein Mensch vorher vor mir verbeugt hatte. „Ich bin Philius, Sohn des Gaius Octavius“ Dann schaute er mich mit seinen glasklaren, leuchtenden Augen an und schien auf eine Geste meinerseits zu warten.
Ich spürte wie mir vor Verlegenheit das Blut in den Kopf schoss als er mich mit meine Prinzessin ansprach. Er schien meine Verlegenheit gespürt zu haben denn er trat auf mich zu und reichte mir seine Hand um mir beim Aufstehen behilflich zu sein. Kaum stand ich drückte er mir einen Kuss auf meinen Handrücken und umschloss sie mit seinen Händen die vor Wärme nur so zu glühen schienen.
„Danke, Herr“, flüsterte ich, selbst für mein Gehör fast zu leise und hielt meinen Blick keuch gesenkt, so wie unser Pfarrer es jeden Sonntag von der Kanzel aus predigte. Philius aber löste eine seiner Hände von der Meinen und schob sie mir unter das Kinn um meinen Blick mit seinen Augen aufzufangen. Die Zeit blieb stehen als er mich so ansah. Der Mond ließ seine Haut blass mit einer leichten Bräune erstrahlen und seine vollen Lippen ließen meine Knie weich werden. Doch es waren seine Auge die mir die Sinne zu rauben schienen. Wie zwei Edelsteine funkelten sie aus ihren Höhlen, wie in einen bodenlosen See sah ich mich darin untergehen und konnte mich nicht mehr aus eigenem Willen davon losreißen.
„Ich will nicht, dass Ihr weiterhin leiden müsst, mein Blümchen“, wiederholte er doch ich wusste schon nicht mehr was er damit meinte. „Ihr lebt so kurz, da ist jede gelittene Minute eine verlorene Minute. Das Glück ist es das der Mensch verdient hat. Nur wenn er glücklich ist hat sein Leben einen Sinn.“ Was wollte er mir damit nur sagen? Den Blick immer noch auf meine Augen gerichtet beugte er sich zu mir herab und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Ein Kribbeln durchfuhr mich und lief meinen Rücken hinunter bei dem ich dachte den Verstand zu verlieren. Ich wollte mehr davon, wie von einer Droge die sofort nach dem ersten Genuss nach mehr verlangt. Ich wollte mehr, wollte seine Lippen noch einmal auf den Meinen spüren, noch einmal den süßen Duft seines Atems auf meinen Wangen spüren doch er ließ von mir ab.
„Bitte, geht noch nicht“, begann ich zu flehen als er sich von mir zu lösen begann, doch er schien sich nur noch stärker von mir trennen zu wollen.
„Ich kann nicht länger bleiben, mein Täubchen“, sagte er und ich war auf einmal den Tränen nahe. Was war nur mit mir los? Ich kannte ihn doch kaum, erst seit kürzester Zeit. „Doch ich werde wiederkommen, das verspreche ich Euch.“, fuhr er fort, „Geht, ruht Euch aus.“ Heute weiß ich warum er es so eilig hatte.
„Wann werde ich Euch wiedersehen?“, rief ich ihm noch hinterher doch er hörte mich schon nicht mehr. Seit dieser Nacht begann ein neues Feuer in mir zu brennen. Otto wirkte kein einziges Bisschen mehr attraktiv auf mich. Wie hatte ich ihn je lieben können hatte ich doch gerade einem der schönsten Wesen der Welt gegenüber gestanden?
Nun, mein Leben ging weiter, doch die innere Sehnsucht nach Philius verzehrte mich tagein und tagaus. Voller Spannung erwartete ich täglich den Abend und damit die Zeit in der er mich besuchen kam. Es hätte ewig so weitergehen können, doch dann überschlugen sich die Ereignisse in unserem Land. Im heutigen Geschichtsunterricht wird euch diese Zeit als der am längsten ausgeübte kriegerische Konflikt des Mittelalters, als der Dreißigjährige Krieg, beigebracht obwohl es in Wirklichkeit nur sich aneinander reihende Kleinkriege waren. Die Fürsten bekämpften sich gegenseitig und vor allem wir, das einfache Volk, litten darunter. Dadurch, dass mal die eine und dann wieder die andere Partei über unser Land hinwegzog konnte meine Familie ihre Felder nicht mehr so gründlich bestellen wie sonst. Immer hing die Angst in der Luft unser Dorf könnte geplündert, überfallen oder vernichtet werden. Die Fürsten nahmen uns das letzte Korn aus den Scheunen, schlachteten unser Vieh um ihre Armeen zu versorgen und so kam es, dass wir hungern mussten.
Mich verließen die Kräfte und von Tag zu Tag fühlte ich mich schwächer und ausgelaugter. Philius schaute noch immer jeden Abend nach mir, doch konnte er es eines Tages nicht mehr mit ansehen wie ich trotz meiner Jugend anfing zu verwelken. Mittlerweile sah ich mich dem Tod schon näher als dem Leben als er sich mir eines Nachts offenbarte. Ich lag in meinem Bett, welches ich früher mit meinem Bruder hatte teilen müssen, und döste vor Hunger vor mich hin. Mein Bruder hatte vor Kurzem in den Krieg ziehen müssen. Wie jedes Mal nahm sich unser Herzog einfach die Menschen die er benötigte um gegen seine Feinde zu Felde zu ziehen. Dabei war es ihm gleich, ob sie dem Adel oder dem Pöbel angehörten. Nun lag ich hier, beinahe kraftlos und bis auf die Knochen abgemagert.
„Nein, Josefine, meine Frühlingsblume, mein Engelchen, kein Mensch bin ich so wie du einer bist. Ich scheine jung und doch bin ich alt, viel älter als du dir vorstellen kannst. Ich gehöre den Geschöpfen an die von euch gefürchtet und gejagt werden. Auch mir wurde schon mehrfach aufgelauert doch konnte ich bis jetzt immer siegreich aus den Auseinandersetzungen hervorgehen.“ Mir schwirrte der Kopf seitens seiner blumigen Formulierungen. Was wollte er mir nur damit sagen? Ich sollte es noch zeitig genug am eigenen Leib erfahren.
„Josefine“, begann er erneut, „Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Am Anfang sah ich auch dich nur in den Augen meiner Natur, doch ich konnte einfach nicht. Ich bringe den Tod, nur so kann ich leben, nur so erhalte ich meine Unsterblichkeit. Doch dann lernte ich dich näher kennen, dich, einen Menschen der mir sonst nichts weiter als Nahrung bedeutete. Du entzündetest eine schon längst vergessen geglaubte Flamme in mir, ein Feuer das meine Seele zu verzehren scheint.“
Langsam beugte er seinen Oberkörper zu mir herab und ich spürte seinen heißen Atem auf meinem Gesicht. Sein Kopf kam dem meinen immer näher und dann hauchte er mir wieder einen dieser flammenden Küsse auf die Lippen. Ein Orkan begann sich in mir zu bilden. Sein Kuss brannte auf meinen Lippen und fühlte sich so anders an als jeder den ich davor von ihm bekommen hatte. Obwohl er kaum zu spüren gewesen war hatte er doch ein tief in mir verborgenes Verlangen geweckt. Mühsam hob ich meine Hände an seinen Kopf um ihn wieder in meine Nähe zu ziehen und diesen Kuss zu wiederholen. Wieder berührten sich unsere Lippen und wieder durchfuhr mich ein Schauer, stärker diesmal, intensiver. Es verlangte mich nach mehr und durch dieses Verlangen erweckte ich ungeahnte Kräfte in mir. Neue Energie durchflutete meinen Körper und ich wollte eins werden mit Philius, auch wenn es meinen Aufenthalt in den Höllenfeuern verlängern sollte.
Den Küssen folgten Umarmungen die ihn schließlich zu mir ins Bett zogen. Vorsichtig begann er mich zu entkleiden und bedeckte mich anschließend am ganzen Körper mit Küssen. Doch noch immer wollte ich mehr, ich wollte ihn spüren, mit ihm verschmelzen um für immer mit ihm vereint zu sein. Nun begann auch er sich zu entkleiden und ich staunte nicht schlecht als ich die gleichmäßig blasse Bräune seines Gesichtes an seinem gesamten Körper sah. Langsam und behutsam legte er sich zu mir und erneut begannen wir uns zu küssen, leidenschaftlicher diesmal und immer drängender. Doch dann hielt ich es nicht mehr länger aus und zog ihn auf mich. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, doch näherte ich mich dem Höhepunkt meiner Ekstase als ein neuerliches Gefühl über mir hereinbrach. Es begann damit, dass ich dachte immer leichter zu werden und darauffolgend anfing das Gefühl zu entwickeln zu schweben. Ein noch nie zuvor gespürtes Glücksgefühl begann von mir Besitz zu ergreifen. Dann wurde es langsam ruhig um mich herum und mir wurde kalt. Ein unbeschreiblicher Durst fing an mich zu quälen. Schweiß trat an meinem gesamten Leib hervor, mein Blick verschwamm und die Welt begann ihre Geräusche zu filtern, einige zu verstärken und andere auszublenden. „Ich liebe dich, Josephine“, hörte ich ihn noch sagen, dann sah ich ein helles Licht.
Langsam begann ich mich ihm zu nähern. So glücklich wie in diesem Moment war ich noch nie zuvor gewesen, doch dann verschwand es wieder genau so schnell wie es erschienen war und ich schien in meinen Körper zurückzukehren. Etwas klebrig Warmes tropfte in meinen Mund und ich hörte Philius, wie als wäre er meilenweit von mir entfernt sagen: „Trink, Josephine, trink und du wirst auf ewig leben!“
Ich wollte noch nicht sterben, so viel kann ich euch sagen, und seine Aufforderung kam mir wie der letzte Strohhalm vor. Meine Hände schossen nach vorne und begannen erneut ihn zu umklammern. Mit verzweifelten Zügen nahm ich diese seltsame Flüssigkeit in mich auf und Wärme begann mich zu durchströmen, mit neuer Kraft zu erfüllen. Meine Sinne schärften sich wieder und ich spürte, dass er immer noch auf und in mir lag und ich an seinem Hals hing.
Wie vom Blitz getroffen stieß ich ihn von mir ab und war erstaunt darüber, dass ich ihn mit dieser kleinsten aller Bewegung wortwörtlich aus meinem Bett warf. Ich schaute ihm hinterher, meinen nackten Körper hinunter und sah einen kleinen Blutstropfen auf meiner Brust landen. Die Sinne begannen mir zu schwinden und ich glitt hinüber in diese andere Welt, in dieses schwarze Nichts.
Ich wurde wiedergeboren, jedoch nicht aus dem Schoß der Mutter sondern aus dem Blute Philius‘. Mir war kalt und ich fühlte mich elend. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah Philius neben mir auf dem Boden sitzen. „Wo bin ich?“, fragte ich ihn mit zitternder Stimme und sah mich aus meiner liegenden Position um. Ich war nicht mehr zu Hause. Um mich herum sah ich nur kahlen Fels, eine einzelne Kerze klebte auf einem Stein und verbreitete ein unruhig flackerndes Leuchten. Mein Blick wanderte zurück zu ihm und erneut fragte ich ihn: „Wo bin ich?“
Er lächelte mich an, sein Blick leuchtet vor Zärtlichkeit, doch er sprach nicht zu mir. Ich wollte aufstehen, doch kaum führte ich die kleinste Aufwärtsbewegung mit meinem Oberkörper aus, da schnellte seine Hand hervor, legte sich auf meine Brust und drückte mich sanft wieder zurück. Verwirrung durchfuhr mich. Was hatte dies zu bedeuten?
Dann traf es mich so unvorbereitet wie ich nur hätte sein können. Ein Krampf ermächtigte sich meiner und ich spürte wie sich meine Ausscheidungsorgane öffneten. Vor Schreck zog ich scharf die Luft ein, hielt sie an und wartete bis sich der Krampf wieder etwas löste. Angst bildete sich in mir und wieder glitt mein Blick zu zurück Philius. „Was geschieht mit mir?“, fragte ich ihn. Ich stand kurz vor einer Panikattacke.
„Keine Angst, mein Engelchen“, flüsterte er, „Du stirbst, aber es ist bald vorbei.“
Ein erneuter Krampf erfasste mich und ich begann mich auf dem Boden zu winden. Meine Hände verkrallten sich in dem sandigen Boden auf dem ich lag, mein Rücken beugte und streckte sich immer im Wechsel, so dass ich immer wieder hart mit ihm aufschlug und meine Beine traten wild um mich. Dann spürte ich wie eine Flüssigkeit aus mir herausfloss, die Schmerzen abebbten und ich wieder Luft bekam. Ein paar Mal atmete ich tief durch um auch die letzten Muskeln wieder zu entspannen, dann unternahm ich einen erneuten Versuch mich hinzusetzen. Diesmal kam mir Philius hilfreich zur Hand. Mir wurde schwindelig, doch brachte ich meinen schwachen Kreislauf wieder in Schwung indem ich meinen Kopf zwei, drei Mal schüttelte.
„Ich habe Hunger, Philius“, flüsterte ich ihm zu nachdem ich meine Umgebung diesmal etwas genauer gemustert hatte, doch musste ich mich vollkommen verschätzt haben als ich dachte er würde mir etwas zu essen bringen. Er lächelte wieder nur, dann erwiderte er: „Ich werde dir zeigen wie du deinen Hunger stillen musst, aber nicht mehr heute. Du musst schlafen, dich ausruhen um wieder zu Kräften zu kommen. Morgen, ja morgen werde ich dir die Welt, unsere Welt, zeigen.“
Er half mir auf und erst jetzt spürte ich mein Nachthemd an meinem Unterleib kleben. Verwirrt aufgrund dieses Gefühls schaute ich an mir herab und Ekel überkam mich. Es war nass, verschmiert mit Fäkalien und einer Flüssigkeit die eine Farbe zwischen gelb und rot aufwies. Ich dachte nicht weiter nach und riss es mir vom Leib, die Blöße der ich mich damit aussetzte völlig ignorierend. Als ich an mir herunter schaute sah ich, dass mein Unterleib sowie der Großteil meiner Beine die gleichen Spuren wie mein Nachthemd aufwiesen und eine Übelkeit stieg in mir auf die jener gleichkommt wie als sähe man einen halb verfaulten Kadaver. Panisch wanderte mein Blick umher, immer auf der Suche nach etwas nassem. Philius meinte, nachdem er meinen Ekel gespürt hatte ich solle mit meiner Reinigung bis morgen warten, doch wollte ich dieses Zeug so schnell wie möglich von mir herunterbekommen.
Ich wollte die Höhle verlassen, mir einen Bach suchen um mich darin zu waschen, doch lief ich jedes Mal gegen eine unsichtbare Wand wenn ich mich von Philius wegbewegte. So griff ich schließlich verzweifelt nach dem Sand und fing an so lange über meine Haut zu scheuern bis sie wund wurde und die Spuren beseitigt waren. Danach sank ich erschöpft zu Boden, Hunger hatte ich immer noch.
Eine plötzliche Schwäche überkam mich und ließ mich verwundert zu Philius schauen, der sich mittlerweile auf einen Stein neben der Kerze gesetzt hatte und mich aus ruhigen Augen anschaute. Ich spürte wie ich träge wurde und meine Glieder mir bleischwer vorkamen. Dann schlossen sich meine Augen und ich spürte nichts mehr.
Als ich wieder zu mir kam verspürte ich einen Hunger wie ich ihn noch nie zuvor in meinem Leben verspürt hatte. Ich dachte damals ich könnte ein ganzes Kornfeld auf einmal verschlingen, den Kleintieren darin eingeschlossen. Mein Wille war stark dieses Gefühl zu entfernen, doch mein Fleisch war schwach. Die Glieder kamen mir schwer wie Blei vor, träge hingen sie in alle Richtungen als ich meine Augen aufschlug und an mir herabsah. Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich immer noch nackt war.
Langsam kehrten die letzten Erinnerungen mit Philius zurück und ich schaute mich in der Höhle nach ihm um. Die einzelne Kerze war heruntergebrannt. Es traf mich wie ein Schlag als diese Feststellung sich in meinem Bewusstsein festsetzte. Ich sah, zwar nur schwach, schemenhaft und nur die gröbsten Konturen, aber ich sah. Eigentlich hätte dies unmöglich sein müssen. Während ich mich noch mit diesem Gedanken beschäftigte spürte ich wie meine Kräfte langsam wieder in mich zurückkehrten.
Ein Duft kam auf mich zugeschwebt der meinen Körper noch mehr zu bestärken schien und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Verstärkt kehrte das durch die anderen, neuen Empfindungen unterdrückte Hungergefühl zurück. Es tat schon fast weh. Dann roch ich Schweiß, so intensiv, so verlockend und im gleichen Moment doch so abstoßend, dass ich spürte wie mir die Kontrolle über meinen Körper zu entschwinden schienen, sah die schwachen Umrisse der Quelle durch die Höhle stolpern, direkt auf mich zu.
Ein Tier schien in mir zu erwachen. Mein Atem wurde schneller und die Umgebung in der ich mich befand blendete sich Stück für Stück aus bis nur noch der Schatten vor mir existierte. Ein leises Wimmern entfloh seinen Lippen doch drang dieses Geräusch nicht mehr zu mir durch. Ich spürte wie sich nach und nach die Muskeln in meinen Beinen, in meinem Leib und schließlich in meinen Armen anspannten bis sie anfingen zu schmerzen. Die Gestalt blieb stehen wie als hätte sie etwas gespürt. Reflexartig hielt ich die Luft an und starrte weiter in die Dunkelheit. Ruckartig drehte sie ihren Kopf von links nach rechts und wieder zurück. Ein neuer Duft mischte sich unter die Anderen, später lernte ich, dass er Angst heißt, so herrlich süß mit einem leichten Salzanteil, ähnlich der Meeresluft.
Dann verlor ich die Beherrschung über meinen Körper und schnellte mit solch einer Geschwindigkeit vor, dass ich die Luft an meinen Ohren vorbeisausen hörte. Der Gestalt blieb gar keine Zeit zum reagieren. Fest hielt ich sie in meinem Griff umklammert, riss meinen Mund auf und biss zu. Ein Schwall heißen Blutes schoss mir entgegen und lief mir zur Hälfte wieder aus dem Mund heraus. Ich sog und schluckte, sog und schluckte und ein ekstatisches Zucken nach dem Anderen durchzog meinen Körper. Es war herrlich, wie in einem Rausch konnte ich nicht mehr davon ablassen. Ein Pochen erfüllte meine Ohren, schnell und hochfrequent, doch wurde es mit der Zeit immer langsamer und leiser. Kurz bevor es erstarb fühlte ich eine Hand in meinem Nacken die mich so ruckartig von dem Ding wegriss, dass es mir im Mund wehtat und sich der letzte Schluck dieser köstlichen Flüssigkeit aus meinem Mund befreite.
Ruckartig wurde ich aus meiner Trance gerissen und nahm die Welt um mich herum wieder wahr. Philius hatte mich am Schopf gepackt und von meinem Opfer weggerissen. „Du musst noch viel lernen“, flüsterte er mir ins Ohr. Er ließ mich wieder los, jedoch nur um eine neue Kerze zu entflammen und sie auf einen der vielen Steine in unserer Nähe zu kleben. Dann griff er mit beiden Händen nach meinem Kopf und lenkte so meinen Blick auf die am Boden liegende Gestalt. „Sieh dir an, was du angerichtet hast.“ Mit vor Schrecken geweiteten Augen sah ich auf die vor uns liegende Frau herab. Ihr Hals war regelrecht aufgerissen, wie als wäre ein Wolf über sie hergefallen. Aus panikerfüllten glasigen Augen schaute sie zu mir herauf. Sie war tot, und ich hatte sie getötet, ihren Hals wie ein Raubtier aufgerissen.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und die Augen wurden mir vor Scham feucht. „Was habe ich nur angerichtet?“, fragte ich ihn flüsternd mit zitternder Stimme. „Was ist mit mir geschehen?“ Doch er antwortete nicht sondern lächelte mich nur stolz an.
„Ich habe mich in dir nicht getäuscht“, antwortete er schließlich. „Du bist eine Jägerin, auch wenn du noch an deiner Methode arbeiten musst.“ Ich begann mir meine Tränen wegzuwischen und erschrak erneut als ich meine Hände sah. Sie glänzten rot vor Blut im Schein der einzelnen Kerze. Augenblicke später fiel mein Blick auf meinen Schoß und ein weiterer Schock durchfuhr mich denn auch dort glänzte mein Körper rötlich. Mein Blick wanderte weiter über meinen Körper und Ekel ergriff mich. Nicht nur meine Hände und meine Oberschenkel waren in Blut getaucht sondern auch mein Bauch sowie meine Brüste. Ein Krampf bildete sich in meinem Inneren und ich erbrach mich auf den Sand des Höhlenbodens. Schnell versickerte die Flüssigkeit, auch sie war rot.
Ich sprang auf und ein einziger Gedanke hallte in meinem Kopf wieder, mich verlangte es nach Wasser, ich musste mich von den Spuren des Todes befreien um wieder ruhiger zu werden. Philius ließ mich gewähren als ich in Richtung Ausgang der Höhle rannte um den nächsten Bach zu suchen. Nur kurze Zeit irrte ich in dem mir fremden Wald umher bis ich auf eine Lichtung trat die von einem Bach in fast zwei perfekte Hälften geteilt wurde. Ich sprang förmlich hinein und stieß einen spitzen Schrei aus als das kalte Wasser meinen Körper umschloss. Das Wasser verfärbte sich als es sich von meinem Körper entfernte. Lange lag ich so reglos im Wasser und nur mein Gesicht lugte noch aus dem kalten Nass als ich in den Himmel hinauf schaute. Was war mit mir geschehen? , fragte ich mich immer und immer wieder. Ich hatte getötet und das nicht aus Notwehr.
Philius Gesicht tauchte über dem meinen auf und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Er war es, er hatte mich zu dem gemacht was ich nun war und Entsetzen erfüllte mich. Ruckartig setzte ich mich auf und bekam sofort eine Gänsehaut als mir der laue Nachtwind über die blanke Haut blies. Wut bildete sich in mir aufgrund seines Handelns. „Was hast du mit mir gemacht?“, schrie ich ihn an und fing fast augenblicklich wieder an zu weinen. Kleine rote Tropfen liefen mir über die Wangen, fielen in das Wasser und verschwanden mit den Fischen und Flusskrebsen die mich regelrecht zu meiden schienen. „Was hast du aus mir gemacht?“, schrie ich erneut und wurde im gleichen Moment von Schluchzern durchgeschüttelt.
Er blieb still und schaute mich nur an. Schließlich aber teilten sich seine Lippen und er begann sanft zu sprechen: „Ich habe dir ein Geschenk gemacht welches nur den wenigsten vergönnt ist. Siehst du das nicht? Ich nahm dir dein Leben nur um es dir tausendfach zurückzugeben. Du bist keine einfache Evastochter mehr, du wirst ewig leben können.“ Ein Schaudern durchfuhr mich als ich über seine Worte nachdachte. Möglich, dass ich für immer leben würde, aber zu welchem Preis?
Die Nächte vergingen in denen ich lernte den Dämon in meinem Inneren zu kontrollieren. Der Trieb nach Blut war immer noch überwältigend doch sollte er nie wieder die Kontrolle über meinen Körper erlangen. Zu Grausam war die Erinnerung an die Frau mit dem völlig zerrissenen Hals.
Ein Ekelgefühl hatte sich in meiner ersten unsterblichen Nacht gebildet. Mein eigenes Hemd hatte ich voller Abscheu zerrissen, doch brachte ich es nicht über mich die Kleidung meiner Opfer – die auch nur eine kleine Anzahl blieben da ich mich an den Tieren gütlich tat – an mich zu nehmen. So blieb ich wie ich war, bar jeglichen Stoffes. Philius brachte mir nächtlich Kleidung mit doch musste ich nur einmal kurz daran riechen um zu erkennen, dass sie den Geruch des Todes in sich trugen und lehnte seine Geschenke ab. Er wurde von Nacht zu Nacht zorniger aufgrund meines Verhaltens. „Es liegt in der Natur unseres Wesens, Josephine“, begann er eines Nachts seine Predigt über unsere Gattung der Unsterblichen, „Wir leben von dem Lebenssaft der Menschen und es ist unser Recht uns zu nehmen was sie nach ihrem Ableben nicht mehr benötigen. Sei es nun ihr Geld, ihre Kleidung oder ihr sonstiges Hab und Gut. Es ist unser Recht und unsere Pflicht es an uns zu nehmen und niemandem sind wir Rechenschaft schuldig. Merk dir das!“
Von Nacht zu Nacht wurde er zorniger, so zornig, dass er eines Nachts handgreiflich wurde. „Ich bereue es dich erschaffen zu haben“, schrie er mich an. Jegliches Blut das er von seinem letzten Opfer in sich trug wich aus seinem Gesicht und seine Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen. „Du schätzt meine Geschenke nicht, erst den Sieg über den Tod und nun verweigerst du auch noch all die Dinge die ich dir mitbringe um deine Ehre wieder herzustellen.“ Dabei ließ er seinen Blick über meinen nackten Körper gleiten und trat schließlich auf mich zu. „Du solltest dich einmal in den Dörfern umhören. Die Leute reden schon über dich, von dem Geist der nackten Frau die nachts durch die Wälder streift.“ Seine Stimme zitterte vor Zorn und seine Worte trieften förmlich vor Verachtung. „Du bist schwach, schwächer als ich gedacht hatte und es nicht wert weiterhin eine unserer Art zu sein.“ Ich hatte gar keine Gelegenheit mich zu verteidigen, ihm zu sagen, dass ich die Kleider der Toten nicht tragen wollte da sie mich zu sehr an mein neues, mir noch unerklärliches Wesen erinnerten, daran, dass ich ein Bringer des Todes war. Er packte mich bei den Schultern, hob mich an und warf mich gegen den nächsten Baum. Ein Blitz explodierte bei dem Aufschlag in meinem Hinterkopf. Mein Blick hatte sich noch nicht wieder von dem hellen Licht erholt und meine Füße den Boden am Fuße des Baumes noch nicht wieder berührt als er auch schon wieder bei mir war, mich am Arm packte und wie vom Teufel gejagt losrannte. Ruckartig blieb er stehen, ließ mich los und wieder flog ich durch die Luft, landete diesmal aber mit einem lauten Platschen auf den Steinen eines Bachbettes. Augenblicklich umschloss mich kaltes Wasser und ich bekam keine Luft mehr. Schon war er wieder da, warf sich auf meinen Bauch und fing an mein Gesicht mit seinen Fäusten zu malträtieren. Ich spürte wie mir der Lebenssaft entströmte und damit die Kräfte schwanden, wie mir immer kälter wurde obwohl ich seit meiner Verwandlung kaum noch Kälte empfunden hatte, und mein Blick sich mehr und mehr trübte. Dann spürte ich nichts mehr und wähnte mich nun endgültig tot.
Kommentare
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