Der neueste älteste Look
Für Claudia, die hier leider (für manche zum Glück) nicht mehr schreibt.
Er lehnte lässig in einer Ecke der Disco und nippte an seinem Bier. Aus den
Lautsprechern dröhnte Lady Gaga und auf der Tanzfläche wiegte sich die
verschwitzte Menge dazu. Auf einem etwas erhöhten Podest heizten zwei
Go-Go-Girls die Tanzenden noch zusätzlich an und hinter dem Tresen waren die
Bedienungen so emsig am arbeiten wie immer.
Er strich sich versonnen durch den Bart, im Grunde genommen war alles wie
früher... bis auf einen kleinen Unterschied: die Mode hatte sich etwas geändert!
Um genauer zu sein, existierte soetwas wie Mode nicht mehr!
"Hi Klaus!" riss ihn eine junge Frau aus seinen Gedanken. Erst auf den zweiten
Blick erkannte er sie. Jenny war als er sie zuletzt gesehen hatte ein etwas
ausgeflipptes Gothicmädel. Auffallend geschminkt, mit rabenschwarz gefärbtem
Haar und mit einer Vorliebe für Lack- und Lederkleidung hatte es vor einigen
Wochen noch ziemlich viel Mut erfordert, sie anzusprechen. Klar hatte er sich
schon beim ersten scheuen Blickkontakt gefragt, wie sie wohl unter dieser
Maskerade aussehen würde, er hätte allerdings nie damit gerechnet, daß dieses
Mysterium so schnell gelöst werden sollte.
Wie es dieses neue Gesetz verlangte stand sie nun im Naturzustand vor ihm,
aufgrund der Hitze mit leicht gerötetem Gesicht und einem glänzenden Schweißfilm
auf dem Körper. Ohne ihre ewigen High-Heels war sie etwas kleiner als sonst und
die strähnig-fettigen Haare, die ihr ins Gesicht fielen, waren nicht mehr
gefärbt, sondern dunkelbraun.
"Hi Jenny" antwortete er und bemerkte, daß sie ihn fast noch mehr erregte, als
bei ihrer ersten Begegnung.
"Ich hätte dich mit dem Bart fast nicht erkannt" erwiderte sie etwas verlegen.
"Ja, es hat sich einiges verändert" stimmte Klaus zu.
"Einiges ist gut" dachte Jenny säuerlich. Für sie war vor sechs Wochen die Welt
zusammengebrochen, dabei hatte es so vielversprechend angefangen:
Endlich hatte sich dieser süße blonde Typ (von dem sie inzwischen wußte, daß er
Klaus heißt)überwunden und sie angesprochen. Sie war auf Anhieb begeistert von
seiner netten Art, doch leider hatten sie im Eifer vergessen, die Handynummern
auszutauschen. Dies bedeutete zunächst eine unangenehme Woche des Wartens bis
zum nächsten Freitagabend in ihrer Stammdisco.
Allerdings wurden dann aufgrund einiger lästiger neuer Gesetze doch sechs Wochen
daraus. Die Woche begann schon Montags mit dem ersten Ärgernis: Sie wollte kurz
in der Mittagspause in der Parfümerie einen neuen Lippenstift kaufen, als sie
die Verkäuferin belehrte, daß die Abgabe von Kosmetika nicht mehr gestattet sei.
Es dürften nur noch spezielle geruchsneutrale Seifen und einige andere
sorgfältig geregelte Hygieneartikel verkauft werden.
Was sie zuerst für einen verspäteten Aprilscherz hielt, nahm als sie abends von
der Arbeit im Büro nach hause kam, das erste mal bedrohliche Züge an. Im
Hausflur hing am schwarzen Brett nämlich eine Anweisung zur Wasserrationierung -
zur Schonung der Ressourcen seien Duschen und Badewannen nun an separate
Leitungen angeschlossen worden, die nur begrenzt Wasser zur Verfügung stellten.
Somit fiel Duschen an diesem Abend flach, und das obwohl das Thermometer diesen
Juli täglich höher kletterte.
Abends stellte sie dann noch befremdet fest, daß einige staatlich produzierte
Werbespots die Schönheit haariger Achseln und unrasierter Beine anpriesen.
Diese Spots waren am nächsten Tag im Büro natürlich Thema Nummer 1. Ihre
Kollegin Sandra witzelte noch, daß das doch alles nur ein seltsamer Spaß sei,
den sich irgendwelche Grünen da hätten einfallen lassen. "Und warum sind dann
hier fünf Bürokräfte versammelt, die heute morgen offensichtlich nicht geduscht
haben?" konterte Jenny.
"Wegen der Umwelt" tönte plötzlich ihr Chef, der bemerkt hatte, daß niemand ans
Arbeiten dachte. Damit war die Debatte vorläufig beendet.
Am Freitag bemerkte sie dann, daß ihr das Haarspray ausging, außerdem wurde es
immer schwieriger aus der Parfümflasche noch ein paar Tropfen herauszuquälen.
Trotzdem donnerte sie sich noch einmal so richtig auf, schließlich wollte sie
heute ja Klaus treffen.
Umso härter traf es sie dann, daß der Türsteher der Disco meinte, so
aufdringlich parfümiert und mit der ganzen Farbe im Gesicht dürfe er sie nicht
mehr hereinlassen. Tatsächlich standen einige ungläubig bis verzeifelt
dreinschauende Mädels vor verschlossenen Türen und auf dem Parkplatz. An diesem
Abend ging sie heim und heulte.
Doch damit war die Sache noch nicht beendet. Als sie am Montag ungeduscht und
zum ersten Mal ungeschminkt das Haus verließ, stieg sie nichtsahnend in den Bus,
eine Station später ein 20jähriges blondes Mädel, das Montags immer in die
Berufsschule musste. Christine, das blonde Mädel, hatte an diesem Morgen ein
gelbes Top und eine weite Schlagjeans an, so daß Jenny erst, als sie sich
gegenübersaßen feststellte, daß Christine keine Schuhe anhatte. "Ist heute ja
auch das richtige Wetter für barfuß" kicherte Jenny.
"Ach hör bloß auf, das ist doch total zum kotzen! Jeden zweiten Tag ändern diese
Idioten zur Zeit die Schulordnung!" - "Was soll das denn heißen?" - "Na denkst
du, ich hab mich heute absichtlich nicht gestylt?"
So langsam bekam Jenny es mit der Angst zu tun. Das hörte sich schon beinahe wie
so eine Verschwörung an mit dem Ziel, die Welt in eine Art Hippiekommune zu
verwandeln. Tatsächlich waren auch die anderen zugestiegenen Frauen ausnahmslos
barfuß, was in Kombination mit Businesskleidung etwas seltsam aussah. Im Büro
war alles noch beim alten, aber auf dem Nachhauseweg riefen ihr zwei junge
Frauen nach, daß High-Heels doch out wären und sie gefälligst keinen solchen
Krach beim Laufen machen solle.
Am nächsten Morgen wies sie der Busfahrer dann darauf hin, daß er sie aus
Sicherheitsgründen mit diesen Stilettos nicht transportieren dürfe, woraufhin
sie ihre Schuhe wutentbrannt in den Abfalleimer schleuderte. Während der Fahrt
munterte sie Christine damit auf, daß das so schlimm ohne Schuhe gar nicht wäre,
im Gegenteil sei es sogar interessant, die unterschiedlichen Böden zu erfühlen.
Jenny hatte jedoch das Bedürfnis, ausgiebig zu duschen, was jedoch erst am
Mittwoch wieder möglich war. Diese notdürftige Katzenwäsche morgens ging ihr auf
die Nerven, sie fühlte sich so nicht richtig sauber und zu allem Überfluß konnte
sie ihren Körpergeruch nicht mehr mit Parfüm übertünchen.
Ihren Kolleginen ging es nicht anders. Im Büro roch es aufgrund der sommerlichen
Temperaturen wie im Tiergehege, und wo vorher ein penibles Äußeres Standard war,
saßen jetzt die Frisuren nicht mehr richtig und es war nicht zu übersehen, daß
auch bei anderen so langsam das Make-Up knapp wurde.
Ihre Kollegin Sandra trug ein weißes Shirt mit deutlichen Schweißplatten unter
den Armen zu einem kurzen schwarzen Rock und schockiert stellte Jenny den
dunklen Flaum an ihren Schenkeln fest. "Das war wohl wirklich kein Scherz, ich
bekomme jedenfalls nirgendwo mehr Enthaarungsstreifen oder ähnliches, und mit
dem Elektrorasierer wird es nicht gründlich genug..."
"Und das ist auch richtig so", unterbrach der inzwischen auch etwas schmuddelig
aussehende Chef. "Und bevor sie wieder ihre Arbeitszeit mit Spekulationen
vertrödeln, hier ein paar offizielle Anweisungen von Berufsgenossenschaft und
Gewerkschaft:
Aus Umweltschutzgründen und zur Ressourcenschonung ist ab sofort die
Körperpflege auf das Nötigste zu reduzieren. Außerdem gelten aus Rücksichtnahme
auf empfindliche Mitmenschen diverse Regelungen betreffend modische
Entgleisungen in der Öffentlichkeit usw. blablabla.
Heißt zu deutsch: wer sich weiterhin rasieren oder schminken will, kann sich nen
neuen Job suchen! Ich habe mir allerdings sagen lassen, daß Frauen ohne
Muschipelz und Achselwolle gar nirgends mehr eingestellt werden." - "Und was
machen die mit den gelaserten?" Doch der Chef zuckte nur grimmig die Achseln.
Als Jenny zwei Tage später im Fernsehen ein Modemagazin sah, in dem nackte und
ungepflegte Menschen über die Laufstege marschierten, wollte sie sterben. Den
Discobesuch am Freitag ließ sie jedenfalls vorsorglich ausfallen.
Die nächsten Tage verliefen jedoch auffällig ruhig. Da sie keine Lust auf
Besuche beim Arbeitsamt hatte, wuchsen nun beständig Haare an allen möglichen
Stellen, was die ersten Tage ziemlich juckte. Beruhigend war nur, daß es allen
ähnlich erging. Wie es aussah, hatten die meisten resigniert, die Werbung
unterstützte das ganze noch. Es gab in der Stadt diverse Reklametafeln für
dreckige Fußsohlen ("For nice dirty soles - go barefoot!") und mit Sprüchen wie
"Wer versteckt sein Gesicht schon hinter Make-Up?" oder "Stop Shaving!". Am
meisten Sorgen machten ihr aber die Werbespots, die vereinzelt gesendet wurden
und Nacktheit promoteten.
Vier Wochen nachdem das Übel seinen Lauf genommen hatte, traf sie auf dem Weg
vom Büro zum Busbahnhof eine flüchtige Bekannte aus der Disco in der Innenstadt,
die meinte, sie hätte sich schon Sorgen gemacht, weil Jenny gar nicht mehr
auftauchen würde. Jenny erwiderte nur knapp, daß sie in diesem Zustand einfach
keine Lust auf Disco hätte. "Ich soll dich übrigens von Klaus grüßen! Der wartet
jede Woche auf dich..."
Ogott, Klaus! Den hatte sie beinahe vergessen. Ob der wohl jetzt auch mit
Vollbart rumlief? "Klar tut er das, steht ihm gut."
Jenny war da nicht so sicher. Da sie den Bus verpasst hatte, genehmigte sie sich
noch einen Cappuchino in einem kleinen Straßencafe. Etwas angewidert betrachtete
sie ihre dreckigen Füße und ihre inzwischen dicht behaarten Unterschenkel, so
daß sie die beiden Frauen, die sich am Tisch neben ihr niederließen, zuerst gar
nicht bemerkte.
"Finde ich gut, daß ihr im Betrieb jetzt auch nackt arbeitet!" - "Ja, ist ja
eigentlich nur konsequent und die Umwelt schont es auch!" - "Weißt du, anfangs
war ich ja skeptisch, aber wenn ich ehrlich bin, finde ich es viel ästhtetischer
so. Ich meine, ein angezogener Mensch, das ist doch irgendwie störend. Wie wenn
jemand Ketchup im Gesicht verschmiert hat oder so..." - "Ja, das passt einfach
nicht richtig hin" und dann etwas leiser "brauchst ja nur die dort am Nebentisch
ansehen, ist doch total lästig wie die rumläuft..."
Das reichte, Jenny musste hier raus!
Doch wie nicht anders zu erwarten wurden es von nun an täglich mehr Nackte,
selbst bei der Arbeit waren es zuletzt nur noch sie und Sandra, die hartnäckig
auf Textilien bestanden. Es war einfach gräßlich, den nackten Schwanz des
Busfahrers und ihres Chefs sehen zu müssen, die Ärsche ihrer drei Kolleginnen,
morgens im Bus die verwahrlost wirkende Christine und all die anderen
schwitzenden nackten Gestalten auf den Straßen: junge bärtige Männer mit
Baseballkappen, ansonsten barfuß bis zum Hals; die Kellnerin vom Straßenkaffe
nur mit einer kleinen Schürze, unter der ein Haarstreifen zum Bauchnabel
emporwuchs; die schlaffen Brüste der Nachrichtensprecherin im Fernsehen.
Sie kramte ein altes Modemagazin hervor und schaute sich die Hochglanzfotos an:
Frauen in High-Heels, mit Jeans oder edlen Kleidern, die Gesichter geschminkt,
hübsch frisiert...
Danach stellte sie sich vor ihren großen Schlafzimmerspiegel und betrachtete
sich lange in ihrem schwarzen Kleid. Schließlich zog sie es aus und musterte
ihren schlanken Körper. Ihre festen kleinen gepiercten Brüste. Ihren üppig
wuchernden Schambereich mit dem deutlich sichtbaren Haarstreifen bis zum
gepiercten Bauchnabel.
Nachdem sie die Arme angehoben und hinter dem Kopf verschränkt hatte,
betrachtete sie ihr Achselhaar und schnüffelte ein wenig in die Richtung der
beiden Haarbüschel. Zuletzt besah sie ihre Sohlen, die inzwischen rauh und
pechschwarz waren.
Danach blätterte sie die Zeitschrift noch einmal durch. "Ist ja wie wenn man mit
Ketchup verschmiert ist!" war ihr Kommentar, bevor sie ihre Piercings
rausmachte.
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"Ja, es hat sich einiges verändert..." meinte Klaus, "und bei dir definitv zum
Positiven". Erleichtert bemerkte Jenny, daß er eine leichte Erektion bekam.
"Sag bloß, dir hat mein früherer Style nicht gefallen" witzelte sie gespielt
erbost. "Doch natürlich, aber der neue Look ist einfach klassisch, zeitlos..." -
"Nur blöd, daß jetzt alle so rumlaufen." - "ich finds interessant, einerseits
ist es Einheitslook, andererseits geht es kaum noch individueller".
"Außer man schmiert sich Ketchup ins Gesicht." fügte sie hinzu, doch er
unterband weitere Diskussionen über Modefragen, indem er sie intensiv küsste,
während um sie her nackte und zottelige Menschen zur Musik nackter und
zotteliger Stars tanzten.
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