Lia in der Stadt


NicoS

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22.03.2011
CMNF

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„Geh mir aus der Sonne!“ schnautzte die junge Frau den Mann an und rannte ihn fast um, als sie ihren kräftigen, nackten Körper an ihm vorbeischob.

Er würde an seinem Oberarm einen blauen Fleck entdecken am Abend, wenn er im Bad vor dem Spiegel stand, um sich seinen Schwanz abzuwaschen, nachdem er sich einen runtergeholt hatte, das Bild der Frau vor Augen ... untersetzt, vollbusig, energiegeladen, mit breiten Hüften, kurzen, blonden Haaren, eine kleine Bürste davon von der glattrasierten Scham an aufwärts ... die ihm so plötzlich mitten in der Stadt begegnet war.

‚Geiles Weibsstück,‘ dachte er bei sich. ‚Schade, dass sie so schräg drauf war! Was erwartete sie auch von einem Mann? Hätt ich vielleicht weggucken sollen, wenn mir am hellen Tage eine nackte Frau über den Weg läuft?‘

Jedenfalls hatte schon mal das Wichsen mehr Spaß gemacht als mit dem letzten Film aus dem Internet. Er war die schlechten Filme langsam leid, die sein Billigaccount ihm verschaffte ... eintöniges Gerammel in immer gleichen Positionen. Da war eine echte Frau tausendmal besser, auch wenn sie ihn fast aufs Pflaster geschickt hätte.

Ungewöhnlich war das schon, fand er. Nackte am See, das gab es schon lange. In der Anlage am Fluss waren sie auch nichts besonderes mehr. Aber mitten in der Stadt?

Bestimmt war das für irgendwelche Foto- oder Filmaufnahmen ... ob er jetzt auch mit auf dem Bild war? Er hatte keine Kamera gesehen. Doch andererseits konnte ihm das egal sein. Er hatte außer Hinschauen ja nichts gemacht ... na gut, er hatte „Hey“ gerufen. Eine Freundin hatte er nicht, die den Film in „Versteckte Kamera“ sehen und ihm dann die Hölle heißmachen konnte. Zumindest ein Vorteil, wenn man allein lebte.

Oder das Mädchen hatte eine Wette verloren. So was Idiotisches ... zumindest erklärte es ihre miese Laune. Alt war sie nicht gewesen, Anfang 20 vielleicht. Klasse Körper jedenfalls, wenn auch ein bisschen klein für seinen Geschmack. Dralle Rundungen an den richtigen Stellen. Dass so eine sich auf eine so komische Wette einließ!

Allerdings ... vielleicht war es auch was Ernstes gewesen. Doch sie hatte nicht ängstlich gewirkt, eher verärgert, entschlossen. Der Stoß, den er von ihr bekommen hatte, war auch nicht von schlechten Eltern. Schwach und hilflos war das Mädel jedenfalls nicht. Kein Grund also, die Pferde scheu zu machen. Was die Bullen wohl sagen würden, wenn einer kam und erzählte, eine splitternackte Frau Anfang 20 habe ihn fast umgerannt?

Als er schon im Bett lag, fiel ihm ein, dass er ja selbst mal im Internet hätte nachschauen können. Der Auftritt konnte doch nicht unbemerkt geblieben sein. Vielleicht stand da irgendwo was ...

* * *

Lia war die Freude ihrer Mitmenschen. Ein wahrer Sonnenschein. Sie war Einzelkind und von ihrer alleinerziehenden Mutter über jede Gebühr verwöhnt, was nicht einfach war mit ihrem geringen Einkommen. Schon in der Schule hatte Nathalia, wie sie mit vollem Namen hieß, keine Gemeinheit ausgelassen und sich den Ruf einer Voll-Zicke redlich erworben. Das war allerdings auch die einzige Redlichkeit, die man ihr je nachsagte.

Weshalb sie die Beziehung mit einem Jungen eingegangen war, den sie fast vom ersten Tag an für einen Volltrottel hielt, hätte sie nicht sagen können. Er besorgte es ihr nicht einmal richtig ... jedenfalls nicht nach ihren auf dem genauen Studium zahlloser Klatschgeschichten begründeten Kenntnissen der menschlichen Sexualität im Allgemeinen und männlicher Leistungsfähigkeit im Besonderen. Dennoch hatte sie ihn eines Tages gesehen und irgendwie süß gefunden in einem ihrer schwachen Momente.

Nun hatte sie diesen Versager am Hals, und er sabberte ihr auch noch nach wie ein debiler Köter ... wie sie es auszudrücken pflegte. Jedenfalls an den Tagen, an denen sie versuchte, ansatzweise ein wenig nett zu sein.

Einem Außenstehenden wäre an Hajo nichts dergleichen aufgefallen. Er war groß, schlank, dunkelhaarig, ein sympathischer Typ, der fast ein bisschen besser aussah als der Durchschnitt. Er hatte nur eine Schwäche. Lia. Vor allem Lia im Bett. Denn so ungenießbar Lia sonst war ... im Bett war sie ein Vulkan, und er war ihren Hexenkünsten hoffnungslos verfallen.  

So standen die Dinge zwischen Lia und Hajo schon beinahe in der zweiten Woche ihrer Beziehung, und so standen sie auch nach zwei Jahren noch. Irgendwie hatten sie es geschafft, bis zu diesem Tag zusammen zu bleiben ... einem denkwürdigen Tag, und nicht nur für Lia und Hajo.

* * *

Es war ein wunderschöner Samstagmorgen im Mai. Die Sonne schien, und für die nächsten Tage war herrlichstes, frühsommerlich warmes Frühlingswetter angesagt. Die besten Voraussetzungen also für ein erholsames Wochenende ... sofern man nicht das Pech hatte, es mit Lia zu verbringen.

Mit "koch dir doch frischen Kaffee, wenn du unbedingt noch mehr willst! Was kann ich dafür, wenn du nicht in die Pötte kommst? Der Kaffee, den du gekocht hast, ist alle. Ja und?" war es losgegangen. Dass er deshalb so lange im Bad gewesen war, weil sie wieder einmal eine Riesensauerei hinterlassen hatte, stand auf ihrer Liste der "zehn überflüssigen Themen, mit denen ich nicht belästigt werden will" ziemlich weit oben.

Er kochte sich frischen Kaffee. Das war ein Fehler.
"Hey, was machst du da denn rein jetzt?"
"Das Karamellpulver ... was du nicht magst."
"Genau. Ich mag es nicht. Was bringt dich auf die Idee, dass ich es heute mag?"
"Nichts. Aber der Kaffee ist ja auch für mich. Du bist doch fertig ..."
"Hey, Freundchen, willst du mich verarschen oder was? Schütt sofort diese Plörre weg und mach anständigen Kaffee! Natürlich will ich noch einen Kaffee!"
Auch die Tatsache, dass sie bereits vier Becher allein getrunken hatte ... nein, das war falsch - den letzten hatte sie aus Bosheit weggeschüttet, weil Hajo sie beim Frühstück hatte warten lassen ... stand ebenfalls auf der erwähnten Liste.

Dieser liebevolle Gedankenaustausch ... dem weitere, ähnliche folgten ... war jedoch nur das Vorspiel. Geradezu friedvoll verlief der Besuch auf dem Wochenmarkt, denn hier hielt Lia sich zurück. Sie wusste aus leidvoller Erfahrung, dass sie bei Marktfrauen die Kürzere zog. Solange Hajo den Mund hielt, ihr allenfalls zustimmte, und den schweren Korb trug, war die Welt hier noch in Ordnung.

Im Getränkemarkt kehrten dann wieder fast normale Verhältnisse ein ... "Wein? Du kannst dieses Zeug ja in der Kneipe bestellen, wenn du gerne Holzabbeizer in dich reinschüttest, aber im Haus brauchen wir das nicht. Es ist sauteuer, und ich kann den Geruch nicht ausstehen!" ... doch erst im Sportartikelgeschäft nahm das Unheil seinen endgültigen Lauf.

"Ich will mir beim Sport-Meyer für den Sommer noch einen Bikini kaufen," hatte Lia verkündet. Schwungvoll rauschte sie in den Laden, schob einige Kunden unsanft beiseite, die nicht rasch genug Platz machten und stürzte sich auf die Galerie der winzigen, bunten Stofffähnchen. Nach einigem Ziehen und Prüfen lagen mehrere der Bikinis auf dem Boden ... "Lass die da ruhig liegen! Die will ich nicht, und fürs Aufhängen werden diese faule Kühe hier doch bezahlt!" ... doch drei hatten es in die engere Auswahl geschafft, und Lia zog sich mit ihrer Beute in eine Umkleidekabine zurück.

Kurze Zeit später teilte ein nackter Arm den Vorhang.
"Hey, Hajo, geh noch mal zu dem Ständer und bring mir den, aber zwei Nummern kleiner. Ich will schließlich nicht zelten!"
Hajo hatte Glück. Er sah eine Verkäuferin. Die junge Frau war damit beschäftigt, die Ware wieder aufzuhängen. Sie hatte sehr wohl mitbekommen, wem sie diese Mühe verdankte. Hajo jedoch lächelte sie nur an und suchte ihm das Gewünschte heraus.
"Warten Sie, ich komme mit. Falls es dann immer noch nicht passt, kann ich besser sehen, was Ihre Freundin vielleicht braucht."

Was Lia beim Einkaufen nicht brauchte, waren Leute, die ihr Ratschläge gaben. Und das absolut letzte Thema, zu dem sie bereit war, Ratschläge anzuhören, war ihre Figur.
"Ist das nicht etwas eng?" meinte die Verkäuferin ahnungslos angesichts der drallen Fleischmassen, in denen grell pinkfarbene Strings und briefmarkengroßen Stoffstücke tiefe Kerben bildeten. "Wollen Sie noch mal eine Nummer größer versuchen?"
"Wollen Sie nicht mal versuchen, Ihren Mund zu halten?"
Tatsächlich war die Verkäuferin zunächst sprachlos.
"Entschuldigen Sie ..." begann sie nach einem Moment. Lia, die sich inzwischen in einem großen Spiegel bewunderte, fuhr herum.
"Ich entschuldige gar nichts! Ich bin hier Kundin, und ich lass mich doch nicht von einer hergelaufenen Aushilfe beleidigen!"
"Ich habe Sie nicht beleidigt, und wenn, tut es mir leid, aber ..."
"Genau. Es tut ihnen leid, und gleich wird es Ihnen noch viel mehr leid tun! Hajo, hol den Geschäftsführer, aber zackig! Dann werden wir ja sehen ..."
Das war gar nicht mehr nötig. Der Geschäftsführerin war weder das Vorspiel am Regal noch der Wortwechsel entgangen, und sie war schon auf dem Weg.
"Kann ich Ihnen helfen? Ich bin die Geschäftsführerin."
"Das können Sie allerdings. Schmeißen Sie diese unverschämte Person hier raus; das wäre schon mal ein guter Anfang. Und dann können Sie ..."
"Es tut mir leid, aber so einfach geht das nicht. Was hat Jana denn zu Ihnen gesagt?"
"Na hören Sie mal, wollen Sie mich jetzt auch noch verhören? Das ist ja wohl eine Frechheit. Erst muss ich mich beleidigen lassen, und jetzt soll ich Ihnen hier auch noch Rede und Antwort stehen! Das Wort 'Kunde' sagt Ihnen wohl gar nichts, oder?"
"Doch, eine ganze Menge!" erwiderte die Frau, nun mit deutlichem Nachdruck. "Zum Beispiel ist ein Kunde niemand, der Ware, die er nicht kaufen will, einfach auf den Boden wirft. Im übrigen arbeitet Jana seit zwei Jahren hier und ist eine meiner besten Verkäuferinnen. Wenn Sie also nicht mehr vorzubringen haben, schlage ich vor, dass Sie sich Ihren Bikini woanders kaufen ... wo es den Leuten egal ist, ob Sie sich in einem viel zu engen Kleidungsstück lächerlich machen!"
Lia starrte sie an. Eine solche Abfuhr hatte ihr seit Jahren niemand zu erteilen gewagt. Dann fand sie ihre Sprache wieder.
"Wissen Sie was, Sie und ihre kleine Schlampe hier, Sie können mich mal! Hier haben Sie Ihren lächerlichen Fetzen ..." und zog ihn aus, wo sie stand, zornglühend und ohne auf die inzwischen zahlreich gewordenen Zuschauer zu achten " ... und ich werde dafür sorgen, dass das das Letzte war, was Sie verkaufen. Wozu gibt es schließlich Facebook und diese ganzen Beurteilungsseiten im Internet!"
"Lia!" sprach Hajo sie an, doch sie achtete darauf ebenso wenig wie auf die erstaunten Blicke der übrigen Anwesenden, die nun in den Genuss eines recht kompakten, aber durchaus ansehnlichen Evaskostüms kamen.

Lia war weder besonders groß noch eine Schönheit. Doch ihr aggressives Selbstbewusstsein verlieh ihr eine Ausstrahlung, die schon manchen Mann beeindruckt hatte. Außerdem war sie auf ihre Art wohlproportioniert, was im entkleideten Zustand besonders deutlich wurde. Mit runden Hüften und Oberschenkeln, kräftigen Armen, Schultern und Brüsten, dem nur leicht vorgewölbtem Bäuchlein und darunter einem sauber rasierten, kleinen Dreieck über der ansonsten haarlosen Schamspalte ... bot sie ein Bild griffiger, praller Weiblichkeit.

"Lia!" rief Hajo, nun ernsthaft in Sorge.
"Was?" schnautzte sie ihn an und stürmte durch die Reihe der Umstehenden wie ein Football-Quarterback... in Richtung des Ausgangs.
"Lia, du hast nichts an!"
"Ja und? Ich muss hier raus! Bring mir meine Sachen!" ... und stürmte tatsächlich durch die Tür.
Hajo war nicht minder überrascht als die übrigen Zeugen dieses Abgangs. Das war selbst für Lia ein starkes Stück! Als er sich zu der Kabine wenden wollte, fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter.
"Lassen Sie sie doch," meinte die Geschäftsführerin freundlich. "Weit wird sie ja kaum kommen."
"Das kann ich nicht bringen; ich muss ihr nach," antwortete Hajo mit deutlicher Resignation in der Stimme. "Sie wird draußen irgendwo in einer Ecke hocken. Zurückkommen wird sie sicher nicht."
"Was auch kein Schaden ist. Na, gehen Sie schon!"

* * *

Lia war nicht zum ersten Mal nackt in der Öffentlichkeit. Von mehreren Badeurlauben auf Mallorca war sie es gewohnt, in Strandbereichen nackt herumzulaufen, in denen Nackedeis und Bekleidete sich mischten. Der Bikini war für den großen Auftritt an der Strandpromenade von S'Arenal gedacht gewesen, nicht zum Baden.

Das angesehene Sportartikel und -bekleidungsgeschäft Meyer lag jedoch nicht am Strand von Mallorca. Es stieß direkt an die Fußgängerzone der Stadt, einer Kreisstadt von mittlerer Größe ... eine gut besuchte Fußgängerzone an diesem herrlichen Vormittag. Irgendwo in einem Bereich ihres Hinterkopfs, von dem sie schon lange nichts mehr gehört hatte, meldete sich eine leise Stimme, die etwas von "keine gute Idee" murmelte. Darauf gab es bei Lia nur eine Antwort: "Halts Maul!"

Die Menschen um sie herum reagierten erstaunlicherweise kaum, verlangsamten oft nicht einmal ihren Schritt, und schauten allenfalls zu ihr hinüber. Viele grinsten. Dann wurde doch das erste Handy hochgehalten ... eins mit Kamera, versteht sich.

"Hey!" rief sie, aber der Mann lachte nur. Noch bevor sie weiter auf ihn eingehen konnte, waren es schon zwei mehr, die eine Kamera gezückt hatten.
"Fickt euch doch!" rief sie und hob die geballte Faust mit hochgestrecktem Mittelfinger. Allgemeines Gelächter war die Antwort. Sie war über alle Maßen sauer, doch ihre Entschlossenheit übertraf sogar noch ihre schlechte Laune. Zurück gehen, gar klein beigeben und sich entschuldigen, war eine Option, die in Lias Welt nicht existierte.

Sollten sie doch alle glotzen und ihre Bildchen machen! Mit vorgerecktem Kinn, geballten Fäusten, kräftigen Schritten und wippenden Brüsten stapfte sie los. Zwei Querstraßen weiter stand das Auto auf einem Parkplatz. Dort gab es Büsche, zwischen denen sie warten konnte, und Hajo ... wo blieb diese Lusche überhaupt ... würde das ja wohl finden. Irgendwie wusste sie, dass es Wahnsinn war, was sie da tat. Doch jetzt hatte sie es angefangen, und sie würde es zu Ende bringen!

Die Leute starrten ihr entgegen, und vermutlich auch hinter ihr her ... den Gefallen, sich unsicher umzuschauen, würde sie ihnen bestimmt nicht tun! Eigentlich waren das ja alle ziemliche Schlappschwänze in ihren Augen. Keiner wagte, etwas zu sagen. Zwei ältere Frauen hatten den Kopf geschüttelt, aber eher verzweifelt über die Welt, die sie nicht mehr verstanden, als in offener Ablehnung.

Manche schauten auch herrlich doof ... waren völlig verblüfft, dass es die Sache fast wert war. Ein Vater, der die Auslagen einer Weinhandlung studiert hatte, wurde von seinem kleinen Sohn aufmerksam gemacht. Genervt drehte er sich herum ... und blickte ohne Vorwarnung auf Lias ins Auge springende Oberweite. Sein Gesichtsausdruck war so einzigartig dämlich, dass Lia nicht anders konnte. Sie platzte los und schüttelte sich ungeachtet ihrer eigenen peinlichen Lage vor Lachen.

Es zeigte sich, dass Lia den Rückweg zum Parkplatz unterschätzt hatte. Vorhin war die Fußgängerzone noch relativ leer gewesen. Nun aber war von einem zügigen Vorankommen keine Rede mehr. Gewiss ... wer sie sah, machte ihr Platz, diesen kleinen Vorteil hatte ihr Evaskostüm. Doch viele Leute, die einfach in die gleiche Richtung gingen wie sie ... langsam und in größeren Gruppen ... hatten keinen Anlass, sich umzuwenden. Hier hatte Lia nur die Wahl, sich entweder in Geduld zu üben und ihren Auftritt damit noch weiter auszudehnen oder sich, nackt wie sie war, zwischen die Leute zu drängen.

So tappte sie gerade unschlüssig hinter einer jener Gruppen her, als sie eine Frauenstimme dicht an ihrem Ohr hörte.
"Oh Gott, was ist denn mit Ihnen passiert? Kann ich Ihnen helfen?"
Lia drehte sich zu der Sprecherin um. Die Frau war noch recht jung ... Anfang bis Mitte Dreißig vielleicht ... sah jedoch in ihren formlosen Kleidungsstücken, ungeschminkt und mit dem langen, streng zusammen gebundenen Haar ein gutes Stück älter aus. Sandalen, ein Wollbeutel und ein kleiner, hölzerner Kreuz-Anhänger am Hals vervollständigten das Bild ... eines von Lias liebsten Feindbildern.
"Wieso? Wollen Sie im Boden versinken?"
"Was ... wie ... bitte, ich verstehe nicht ganz ..."
"Dann schau'n Sie mal in einen Spiegel. Vielleicht kapieren Sie's ja dann!"
"Das ist doch ... Sie ... Sie ... schamlose Person!" ereiferte sich die Wohltäterin nun. "Ich wollte Ihnen helfen um der Liebe Jesu Christ willen, und Sie ... Sie ..."
"Na, das wundert mich jetzt nicht. Der Typ ist vermutlich auch der einzige, der eine wie Sie nehmen würde!" ... und ließ die sprachlose Frau einfach stehen.

Je länger Lia diese Straße entlang ging ... sie hatte die Seitenstraße, die zum Parkplatz führte, inzwischen fast erreicht ... umso weniger machte es ihr aus. Die Leute guckten nach wie vor und schoßen ihre Fotos, doch sonst geschah nichts. Manchmal gröhlte jemand. Ein, zwei Mal hatte sie sogar regelrechten Applaus bekommen. Lia war sich durchaus bewusst, dass dieser Ausraster nicht zu ihren besseren Auftritten zählte. Doch nun hatte ihr unbedachtes Handeln sie unversehens in den Mittelpunkt eines durchaus anerkennenden Interesses gerückt. Das war ein Zustand, den Lia sehr mochte.

Tatsächlich kam ihr kurz der Gedanke, dass sie sich fast an solche Auftritte gewöhnen könnte. Und solange die Leute nur guckten ...

* * *

In diesem Moment stellte sich Lia ein unerwartetes Hindernis in den Weg. Bullen! Und sie kamen direkt auf sie zu. Lia, in deren Gedächtnis wage etwas von "Erregung öffentlichen Ärgernisses" herumgeisterte, erschrak nun doch. Mit der Polizei wollte sie nichts zu tun haben. Sie kannte ihre Grenzen. Es blieb ihr also kein anderer Ausweg ... sie musste zurück, und von der anderen Querstraße aus hintenherum zu dem Parkplatz gehen. Und sie musste sich nun wirklich beeilen, bevor die Beamten sie bemerkten. Es waren ein Mann und eine Frau, also doppelt gefährlich für sie, denn einen Mann konnte sie notfalls bequatschen, eine Frau jedoch kaum.

Lia wirbelte herum und begann, ohne Rücksicht auf ihr Outfit und dessen Wirkung eilends auf die rettende Straßeneinmündung zuzusteuern. Nun bekam sie es allerdings mit einem neuen Effekt zu tun. Die meisten Menschen, die sich in diesem Bereich der Fußgängerzone aufhielten, hatten sie bereits gesehen. Kaum jemand war noch überrascht, und einige männliche Passanten begrüßten den vertrauten Anblick mit lautem Hallo, Johlen und Pfeifen. Schließlich rannte sie ... nicht um ihrem Publikum zu entkommen, sondern weg von den Bullen ... und das war nun endgültig ein Anblick, der die amüsierte Aufmerksamkeit noch des letzten Zuschauers erreichte: Bei jedem Schritt hüpften ihre kräftigen Brüste auf und ab und schienen dem begeisterten Publikum zuzuwinken.

Sie schaffte es in die schmale Seitenstraße, bevor die Staatsmacht sie entdeckte. Langsam ging sie weiter. Ein wenig mulmig war ihr jetzt schon. Die Nebenstraße waren menschenleer; außer einem Friseursalon und einer Kneipe gab es auch keine Geschäfte. Doch da half kein Zögern oder Grübeln ... was ohnehin nicht Lias Art war ... sie war hier splitternackt mitten in der Stadt unterwegs, und wenn Hajo sie suchte ... davon ging sie einfach aus ... dann höchstens am Parkplatz und sicher nicht in dieser Straße.

Sie hatte die Kneipe ... und damit die Ecke zur nächsten Querstraße, die ebenfalls zu dem Parkplatz führte ... fast erreicht, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und zwei Männer auf die Straße traten. Große, kräftige, ihren Bewegungen nach nicht mehr nüchterne Männer. Doch es war zu spät. Sie hatten Lia sofort gesehen ... und erstarrten mitten in der Bewegung. Lia stand fast vor ihnen, selbst in ganz ungewohnter Unsicherheit.
"Hey, was ist denn das?" rief der eine, und der andere ergänzte: "Mann, haben wir so viel gesoffen?"
Grinsend schoben sie sich einen Schritt näher.
"Wagt es!" fauchte sie.
"Ho ho, hör dir das an! Hey Kleine, ist dir nicht kalt? Komm, Koschi und ich, wir wärmen dich mal etwas auf! Nicht wahr, Koschi?"
"Bleibt wo ihr seid, oder ich rufe um Hilfe!"
"Na na, wer wird denn so unfreundlich sein! Wir wollen dir ja helfen! Komm, ich geb dir meine Jacke," ... und hielt Lia tatsächlich seine nicht sehr sauber wirkende Jacke hin ... "und dann gehen wir zu mir. Da hab ich noch Klamotten von meiner Ex. Die müssten dir passen. Es ist gleich hier um die Ecke!"
"Du, ich glaub, sie will nicht," kommentierte Koschi mit schwerer Zunge Lias Reaktion.
"Ach was, klar will die! Und wie!" und mit einer schnellen Bewegung, die man einem so schweren Mann gar nicht zugetraut hätte, war er bei ihr, hatte ihr die Jacke über die Schultern gelegt und den Arm gleich mit. Eine schwielige Hand griff von oben an ihre rechte Brust.

Da war der Mann nun allerdings bei Lia an der falschen Adresse. Mit aller Kraft wand sie sich aus der Umarmung und rammte ihm den Ellbogen in den Solar Plexus. Es folgte ein Fußtritt in die Genitalien und zum Abschluss ... als der Mann sich vor Schmerzen zusammenkrümmte ... ein kräftiger Stoß mit dem Knie von unten gegen das Kinn.

Lia hätte trotz ihrer Selbstverteidigungstricks vielleicht keine Chance gehabt, wenn er nüchtern gewesen wäre. Doch der große Mann ging zu Boden, und der andere hielt inne, als er sah, was seinem Kumpan widerfuhr. Lia raste davon, und dass ihre Brüste nun wie wild hin und her tanzten, störte sie kein bisschen. Schon kamen die Autos, Büsche und Bäume auf dem Parkplatz in Sicht, als ein weiterer Mann ... allein allerdings und vermutlich nüchtern ... aus einer Hofeinfahrt trat. Der Bürgersteig war schmal zwischen den Hauswänden und den parkenden Autos, doch Lia war nun nicht mehr nach Ausweichen.
„Geh mir aus der Sonne!“ schnautzte sie ihn an und rannte ihn fast um, als sie ihren nackten Körper an ihm vorbeischob.

"Lia, um Gottes Willen ... hier bin ich!" rief Hajo ihr schon von weitem entgegen. "Ich hab dich überall gesucht, aber die Fuzo war dermaßen voll ..."
"Ja, ja, schon gut," erwiderte sie ungewohnt friedfertig. "Lass uns hier abhauen!"
"Hier, deine Kleider!"
"Ach was, schmeiß sie hinten rein! Ich will hier erstmal weg."
"Ok, wie du meinst. Du kannst dich ja im Auto anziehen."
"Ach, weißt du, eigentlich ist es ganz lustig ... so ..." Sie zeigte mit dem Finger an sich herab. "Ich könnt mich glatt dran gewöhnen ..."


>>> Ende <<<

Copyright by Nicolas Scheerbarth 2011


Kommentare

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AnnabellaX schrieb am 28.10.2024 um 14:25 Uhr

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selena222 schrieb am 08.11.2024 um 19:11 Uhr

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