Jagen und gejagt werden


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Was folgt, ist eine etwas eigenwillige Geschichte, die sich genau so zugetragen hat. Dafür steht das Sexuelle hier mal nicht im Vordergrund.

Es war an einem sonnigen Wintertag. Völlig entgegen der Jahreszeit herrschten schon die ganze Woche über mittags Temperaturen von zehn Grad oder mehr, sodass der Schnee bis auf wenige Reste getaut war.
Ich wollte das gute Wetter nutzen, um meiner ganz besonderen Leidenschaft zu frönen, einer Leidenschaft, die sich schon in früher Jugend entwickelte und der ich von da an regelmäßig heimlich nachging. Ich liebe es, durch die Schöpfung zu streifen, wie Gott mich schuf, nackt und fernab der Zivilisation die Wälder ganz neu kennenzulernen.
Wegen der doch recht kühlen Temperaturen wählte ich einen felsigen Südhang, den ich schon gut kannte. Los ging es unter einem Baum, der auf einer Felsnase wuchs. Dort brachte ich mich in den Urzustand und deponierte meine Kleider. Allein dieses Gefühl ist jenen, die noch nichts dergleichen unternommen haben, kaum zu beschreiben: Da ist die Wärme der Sonne, die mir, angezogen noch leicht fröstelnd, in die Glieder kroch. Da ist diese Ruhe der Gedanken, und gleichzeitig diese äußere Anspannung. Ist es die Angst, erwischt zu werden? Mag sein, aber es fühlt sich nicht an wie Angst. Ist es Erregung? Mag auch sein, aber nicht nur. Ich jedenfalls bin mir sicher: So fühlt auch der Wolf, der jagt und zugleich doch gejagt wird.
Im Rausch der ebenso gespannten Sinne erhebe ich mich und trete den beschwerlichen Weg an. Ziel ist eine Klippe, etwa einen Kilometer entfernt, die sich hoch über der Stadt und einer unmittelbar darunter liegenden Schnellstraße erhebt. Ein Kilometer mag sich kurz anhören, barfuß aber in einem Hang abseits der Wege wird er zum Abenteuer: Das erste Mal, dass ich ihn beschritt, war ich eine volle Stunde lang unterwegs. Nun aber war  ich in Übung und legte die Strecke durch den lichten Wald deshalb recht schnell und problemlos zurück. Die anfängliche Anspannung legte sich; ich fühlte mich immer natürlicher in meinem Tun, auch wenn ich immer noch reglos inne hielt, wenn sich etwas um mich herum regte. Lediglich eine leichte Taubheit in den Waden erinnerte mich daran, dass ich nicht alle Tage abseits befestigter Wege ohne festes Schuhwerk verkehrte.
An der Klippe angekommen, wurde ich mit einer fantastischen Aussicht belohnt. Die anfängliche Anspannung war hier, gut sichtbar von der Straße und den Häusern auf der anderen Seite des Tals, sofort wieder da und steigerte sich ins Unermessliche. Zum Rande des Abhangs zog es mich, wo ich mal den Jesus von Rio nachahmte, mal auf einem Bein stehend und mit emporgehobenen Armen die Yogis in Indien.
Ich würde mich nicht als Exhibitionistin bezeichnen. Gewiss erlebte ich eine Art Rausch im Wechselbad zwischen kaltem Wind und warmer Sonne, meinen jungen Körper den Blicken dutzender Autofahrer ausgesetzt, die sicher nicht mein Gesicht erkannten, aber sehr wohl, was sie da sahen - sexuelle Lust empfand ich nicht. Was auch immer es sein mag: Ich lebe auch für dieses Gefühl.
Als nach einigen Minuten der Wind doch die Sonnenstrahlen überwog, zog ich mich wieder in den Wald zurück. Alle Anspannung fiel von mir ab, und völlig entspannt und ermüdet ging ich zurück zu meinen Kleidern. Auch die Empfindung dabei ist schwer zu beschreiben: Während ein kleiner Teil von sich der Kleidung wiedersetzen und lieber frei bleiben, am liebsten nackt zurück nach Hause gehen will, reagiert der Großteil des Körpers mit Wärme und tiefer Entspannung, als würde man im Bett liegen. Dazu kommt eine merkwürdige Energie, eine gute Laune, die noch Stunden anhält. Wie dem auch sei, ich zog mich eilig an und betrat mit dem Wanderweg wieder ein Stück Zivilisation.
Hier könnte meine Geschichte zu Ende sein. Solche Erlebnisse hatte und habe ich viele; das allein wäre nichts gewesen, was mich zum Schreiben bewogen hätte. Es geht aber noch weiter, und solches hatte ich wirklich noch nie erlebt.
Nachdem ich einige Minuten gegangen war, kamen mir zwei Polizisten in voller Montur entgegen, die mich ansprachen, ob ich denn nicht eine Nackte mitten im Wald gesehen hätte. Mein Herz blieb förmlich stehen. Das war die Katastrophe, die ich immer gefürchtet habe. Mein ganzes schauspielerrisches Talent zusamnennehmend, tat ich überrascht und sagte: „Also eine Nackte nicht, nein“. Als dann der eine Polizist fragte, ob ich etwas damit zu tun habe, konnte ich mir ein Lachen abringen und behauptete mit Verweis auf meine Gänsehaut, dass ich bei dem Wetter den Teufel tun würde, draußen nackt herumzuspringen. Was soll ich sagen? Offenbar hat mein schauspielerrisches Talent nicht versagt, denn man ließ mich anstandslos und ohne weitere Fragen ziehen.
Zuhause angekommen, es war schon dunkel, hörte ich plötzlich Hubschraubergeräusche. Fassungslos machte ich mich daran, alle Beweise, dass ich je nackt in der Natur gewesen sein könnte, zu vernichten. Danach setzte ich mich lachend, in mehrere Decken gewickelt, auf den Balkon und genoss das Schauspiel der immer wieder aufblitzenden Suchscheinwerfer über dem nahen Wald.


Kommentare

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