Silvester zu viert


baer66

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27.12.2015
Schamsituation

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Vier Musketiere auf Abenteuersuche

Martin, Sylvia, Heidi und ich sind schon seit Ewigkeiten miteinander befreundet, alle vier seit ein paar Monaten Single und ziemlich planlos, was den Silvesterabend betrifft. Der Gedanke daran, um Mitternacht ganz alleine dastehen zu müssen und niemanden zum Küssen zu haben, deprimiert uns ziemlich. Deshalb beschließen wir, eine romantische Almhütte in den oberbayrischen Bergen zu mieten, um gemeinsam ins neue Jahr zu feiern.

 

Gipfelrausch nach dem Skifahren

Nach einem ganzen Tag Skifahren bereiten wir zusammen das Silvesterdinner mit reichlich Sekt vor. Wir trinken ziemlich viel, damit Stimmung aufkommt und spielen dann "Wahrheit oder Pflicht". Die erste Pflicht trifft mich: Ich muß Sylvia auf den Mund küssen.

Alkohol senkt ja bekanntlich die Hemmschwelle und somit werden die Pflichten immer gewagter: Strippen, erotisch tanzen, Sex nachspielen, nackt vom Balkon "Gutes Neues Jahr!" schreien...

 

Erotische Erlebnisse

Mit einem Glas herrlich heißem Punsch in der Hand sitzen wir danach um den blubbernden Kachelofen in der guten Stube mit der Zirbenholzdecke. Draußen weht der eisige Wind den Schnee gegen die Scheiben und während wir uns herrlich faul unserem Plausch hingeben, kommen wir irgendwann auf den Unterschied zwischen Küssen und Sex.

"Küssen ist doch kein Fremdgehen", sagt meine Freundin Sylvia. "Küssen ist viel intimer als Sex!", widerspricht Heidi, die als künstlerische Mitarbeiterin an der Uni nun wahrlich keine Kostverächterin ist.

Sylvia erzählt von einer aufregenden langen Nacht vor ein paar Wochen. Sie, die ich für ihre lebensbejahende, unerschrockene Art liebe, hat im Studentenclub Alex kennen gelernt und heftig mit ihm geflirtet.

Während sie sich eine Marlboro anzündet, berichtet sie gestenreich von ihrem Flirt, über den sie nicht viel mehr weiß, als daß er Motocross fährt und aus Hamburg stammt. Fragmente einer wilden Nacht, von denen es für Sylvia schon viele in der Art gegeben hat.

"Irgendwie brauche ich das", grinst Sylvia. "Das ist einfach kein guter Abend für mich gewesen, wenn ich nicht flirten und küssen kann!" Sie schnippt die Asche in den Aschenbecher und wirft die langen, blonden Haare zurück, mit denen sie die Männer scharenweise erobert. "Das hat für mich auch nichts mit Betrügen zu tun. Ist ja nur ein Kuß."

"Kann ich nicht verstehen", antwortet Heidi, heute Typ junge Kate Moss in stone-washed Jeans und mit verwuscheltem Bob. "Ich kann ohne Probleme mit einem Kerl ins Bett gehen, aber küssen würde ich ihn nie!"

"Also, ich finde auch, es ist viel schwerer, jemanden, den ich nicht mag, zu küssen, als mit ihr zu schlafen. Da kann ich einfach die Augen zu machen und mich treiben lassen. Das geht beim Küssen nicht", meint Martin und stellt eine große Schale belgische Pralinen vor uns auf den Tisch. Die guten mit der Nougat-Füllung. Martin, kurz Mart, ist mein ältester Freund, gutmütig, verlässlich, mit ein paar Kilo zu viel an seinem 1,85 m-Körper, die die vielen Kneipenabende auf dem Internat hinterlassen haben.

"Was denkst Du, Marie? Was ist intimer Küssen oder reiner Sex?", fragt mich Heidi und schiebt sich eine Praline in den Mund.

Ich habe nach dem Abi ein Jahr in England gelebt und dort oft derlei Gespräche geführt. Die englischen Mädels, die ich kennen gelernt habe in dieser Wahnsinnszeit, sind unglaublich offen gewesen und haben mir intime Details ohne Scheu preisgegeben.

Vor meinem geistigen Auge gehe ich die Männer durch, mit denen ich geflirtet habe und wo aus einem Flirt mehr geworden ist, auch und oft in der Zeit in England, wo das ganze Leben noch ohne große Verpflichtungen vor einem liegt und alles ein großer Spaß ist.

Ich erinnerte mich an die Male in meiner Singlezeit, in denen ich mich voller Abenteuerlust in die Nacht gestürzt habe und nach einigen Drinks mit einem Mann im Bett gelandet bin. Weitestgehend namenlos, ohne erinnerungswürdige Eigenschaften und selten mit dem Wunsch auf ein echtes Date danach.

Um ehrlich zu sein: Keine Momente, an die ich mich deutlich erinnern will. Mir fehlt die Geschichte hinter der leeren Hülle, an der ich mich festhalten kann, die etwas in meinem Leben hinterlässt. Mit Intimität hat das wenig zu tun.

Plötzlich schießen mir Bilder durch den Kopf von all den leidenschaftlichen Küssen mit denen, die ich geliebt habe. Ich erinnere mich, wie ich meinem Partner vertraut habe, mich sicher und geborgen gefühlt habe und mit jedem Kuß sagen habe wollen: Ich schenke Dir meine Liebe, ich bin für Dich da, ich gehöre nur Dir. Küsse können so viel mehr Emotionen ausdrücken als es Worte je könnten. Küsse sind nie lächerlich oder falsch ausgedrückt. Küsse geben unmittelbar und ehrlich Antwort, sie verstellen sich nicht.

 

Küssen ist viel, viel intimer als Sex

Sex funktioniert ohne Gefühle. Der reine Akt kann erfüllend sein, aber muß er deshalb intim sein? Ich glaube nicht. Ich kann meine Augen schließen und mir vorstellen ich schlafe mit George Clooney. Ich kann wilden, animalischen Sex haben und meinen Orgasmus laut herausschreien, ohne mich danach in der Löffelchenstellung ankuscheln zu müssen.

Intimität heißt für mich, dass ich meine verletzliche Seite preisgeben kann, ihn so nah an mich heranlasse, wie es nur geht, seinen Atem spüre, in seine Augen schauen kann und von dort direkt in seine Seele. Und er in meine. Man kann einfach nicht stundenlang auf dem Bett liegen und knutschen, wenn man keine Gefühle für den anderen hat, die weitergehen als bloße sexuelle Anziehung.

"Marie?" Sylvia gibt mir einen leichten Schubs und holt mich so aus meinen Gedanken wieder zurück in die Almhütte. "Was meinst Du dazu?"

 

Ganz ohne Vorsatz

Dann laufen die Dinge völlig aus dem Ruder. Wir liegen auf einmal alle vier auf dem großen Doppelbett im Schlafzimmer, küssen und streicheln uns. Wir Mädchen ziehen uns die restlichen Wäschestücke aus und sind jetzt splitternackt. Dann duschen wir sogar zusammen. Erst jetzt will auch Mart seine Klamotten loswerden. Es kommt nicht bis zum Eindringen, glaube ich zumindest. Deshalb haben wir wohl auch nicht das Gefühl, die Grenze des Verbotenen zu überschreiten – würde ich jetzt zumindest im Nachhinein sagen. Anschließend schlafen wir in einem komaartigen Zustand ein.

 
Das Nachspiel

Zwei Stunden später werden wir plötzlich von den Nachmietern geweckt. Es ist heller Tag. Die Sonne lacht zum ersten Mal im Neuen Jahr vom blitzblaue Himmel. Wir müssen uns ganz schön beeilen, alles aufzuräumen, um den neuen Gästen Platz zu machen und unseren Zug zu erwischen.

Ich habe also keine Zeit, lange darüber nachzudenken, was uns gerade passiert ist. Als wir erst einmal im Zug sitzen, brechen wir in Lachen aus und einigen uns darauf, diese "verrückte Nacht" als "folgenlosen Zwischenfall" zu betrachten. Das ist jetzt schon vier Jahre her. Wir sprechen sehr selten darüber und wenn, dann mit einem kleinen Insider-Lächeln, aber nicht mehr. Aus unserem Umfeld weiß es niemand. Es ist unser Geheimnis geblieben.

 

 


Kommentare

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