Verliebt in Vanessa - Kapitel 1
Verliebt in Vanessa
Kapitel 1: Hinter der Badezimmertür
Vanessa schaut auf ihre Armbanduhr. „Oh, schon gleich vier. Für heute müssen wir jetzt leider wirklich Schluss machen." Sie lächelt mich an. "Aber nächstes Mal, wie gesagt, gerne auch länger!“ Sie trinkt den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Tasse und behält diese in der Hand, als sie aufsteht.
„Lass die ruhig stehen“, sage ich, „ich räume die gleich schon weg. Geh du dich in Ruhe fertigmachen.“
„Okay, danke“, erwidert sie fröhlich. Auch ich stehe auf und steuere auf die Tür meines Zimmers zu. Vanessa folgt mir. In der Diele nimmt sie ihre neben der Tür abgestellte Sporttasche auf. „Wo...?“
„Immer hier entlang“, sage ich vergnügt, deute ihr mit einer Armbewegung den Weg zum Bad und gehe wiederum voran. Ich öffne die Tür und lehne mich ein Stück hinein, um das Licht in dem fensterlosen Raum einzuschalten, ohne ihn dabei zu betreten.
„Ah, danke dir“, strahlt Vanessa mich an, während ich einen Schritt zur Seite trete und ihr den Weg freigebe.
„Du hast alles, was du brauchst?“, frage ich. „Wenn nicht“, ich folge Vanessa einen halben Schritt ins Bad, „hier sind Handtücher und Schwamm, Flüssigseife...“
„Danke, nicht notwendig. Alles was ich brauche ist hier drin“, entgegnet sie gut gelaunt und hebt ihre Tasche etwas an.
„Okay, gut“, gebe ich zurück, während Vanessa ihre Tasche abstellt, sich der Tür zuwendet und ihre Hand auf die Klinke legt.
Für einen Moment scheint es mir, als will sie mich nun höflich, aber bestimmt, hinauskomplimentieren. Eilig trete ich einen großen Schritt zurück in die Diele und wende mich seitwärts zum Gehen, während Vanessa die Tür schließt. Sie lächelt mich durch den schmaler werdenden Spalt noch einmal an. Ihre leuchtend weißen Zähne strahlen mit ihren blauen Augen um die Wette. „Bis gleich“, sagt sie.
„Bis gleich“, erwidere ich, ebenfalls lächelnd. Dann schließt sie die Tür ganz und gar, und ein kurzes, ruckartiges Klicken vermeldet, dass sie den Schlüssel im Schloss herumdreht.
Ich gehe in das nebenan gelegene Wohnzimmer, lasse mich auf das Sofa fallen und schließe die Augen. Meine Gedanken kreisen nur um Vanessa.
Sie ist leibhaftig hier, in unserer Wohnung! Und sie ist meinetwegen gekommen!
Erst waren wir zusammen in der Küche und haben gemeinsam zu Mittag gegessen. Dann waren wir in meinem Zimmer, haben Seite an Seite an meinem Schreibtisch gesessen. Die ganze Zeit über hat sie mich angeschaut, mich angelächelt, haben wir miteinander gesprochen und einander manchmal sogar zufällig berührt.
Vom Sehen in der Schule kenne ich Vanessa seit nun schon etwas mehr als vier Jahren. Sie war mir damals schon in der ersten Woche auf dem Schulhof aufgefallen, als ich gerade ganz neu von der Grundschule zum Karoline-von-Günderrode-Gymnasium gewechselt hatte.
In der Grundschule hatte ich im letzten Jahr zu den Ältesten und Größten gehört, am Gymnasium waren meine Klassenkameraden und ich dann wieder die Jüngsten und Kleinsten gewesen.
Und obwohl wir die selbe Schule besuchten, erschien Vanessa mir auf Grund unseres Altersunterschiedes von rund vier Jahren wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Als ich in der 5. Klasse begann, war sie schon in die 9. Klasse gekommen – das erfuhr ich durch Zufall, als ich sie und ihre Klassenkameraden nach der großen Pause einmal in einen Klassenraum gehen sah, auf dessen Türschild „Klasse 9b“ stand.
So was hätte ich auch ungefähr geschätzt. Denn Neuntklässler, die schienen mir damals wie fast schon Erwachsene, und genau so wirkte auch und insbesondere Vanessa auf mich:
Hochgewachsen, bestimmt an die einsfünfundsiebzig, und schlank. Etwas über schulterlanges und voluminöses, in wenigen großen Wellen auf ihren Rücken fallendes kastanienbraunes Haar. Feine und edle Gesichtszüge, mit großen tiefblauen Augen unter geschwungenen dunklen Brauen. Ein heller Teint, zu dem sie nur wenig und dezentes Make-up trug: Eyeliner, Wimperntusche, blass rosafarbener Lippenstift, aber kein oder nur kaum Rouge.
Sie trug am liebsten Hosen, die bei ihr gern etwas enger und knackiger sitzen durften, so dass sich die Form ihres Pos recht deutlich unter ihnen abzeichnete. Und insbesondere in den wärmeren Monaten verrieten etwas dünnere, manchmal sogar ein wenig ausgeschnittene Oberteile, wie üppig und wunderschön gerundet ihr Busen sein musste – bestimmt ein C-Körbchen, hätte ich geschätzt.
Aber da war noch mehr an Vanessa, das mich faszinierte, als nur ihre körperliche Attraktivität und elegante Kleidung. Es war – ihr Verhalten, und ihre Ausstrahlung.
Manchmal sah ich sie zwar auch im Gespräch mit ihren Klassenkameradinnen, meist verbrachte sie die Pausen jedoch allein. In ein Buch vertieft, oder ganz in ihre Gedanken versunken.
Nach Schulschluss schlenderte sie schweigend und verträumt zum Busbahnhof, wartete dort geduldig inmitten eines Pulks lärmender jüngerer Schüler, und stieg schließlich in den Bus einer Linie, die in die genau entgegengesetzte Richtung meines Heimweges führte: In einen etwas außerhalb gelegenen Stadtteil, der ringsum umgeben von Wäldern, Äckern und Weiden als eine ruhige und idyllische, gehobene Wohngegend galt, mit beinahe gemütlich dörflichem Charakter inmitten der Großstadt.
Seit gut einem Jahr habe ich sie nun nicht mehr auf dem Weg zum Busbahnhof gesehen, stattdessen geht sie nun immer in eine der Seitenstraßen in der Nähe der Schule, wo viele ältere Schüler parken, die mit ihren eigenen Autos zur Schule kommen.
Einmal war ich ihr unauffällig in diese Richtung gefolgt, sah sie dort dann in einen nagelneuen, weinroten Golf III einsteigen und davonfahren.
Vermutlich kommt sie aus einem bessergestellten Elternhaus, ist vielleicht die Tochter eines Arztes, Rechtsanwaltes oder Architekten, oder so. Und möglicherweise ist sie darum auch eine Außenseiterin in ihrem Jahrgang – wird gemieden, weil sie sich für etwas Besseres hält als die anderen.
Aber das hatte ich mir eigentlich nie wirklich vorstellen können. So wirkte sie einfach nicht auf mich. Ich hatte zwar so gut wie nichts über sie gewusst, nicht einmal ihren Namen, und kannte etwa auch gar nicht den Klang ihrer Stimme, denn nah genug, um diesen aus dem allgegenwärtigen Lärm in den Schulpausen heraushören zu können, hatte ich mich nie an sie herangetraut – aber dass sie irgendwie arrogant oder eingebildet war, konnte und wollte ich einfach nicht glauben.
Und seit heute weiß ich nun auch, dass ich mit diesem Gefühl von Anfang an Recht hatte: Vanessa ist tatsächlich nicht nur umwerfend hübsch und elegant, sondern auch bemerkenswert klug, und unheimlich lieb und hilfsbereit. Vor allem aber ist sie eben – meine neue Lateinischnachhilfelehrerin!
Nur mit Not, und nachdem Herr Dr. Steinert ein sprichwörtliches Auge zugedrückt hatte, hatte ich es auf dem letzten Zeugnis vor den Sommerferien noch auf eine knappe Vier geschafft. Daraufhin hatte meine Mutter mir schon angekündigt, dass ich im neuen Schuljahr Nachhilfeunterricht in Lateinisch bekommen würde.
Mir gefiel die Idee zwar überhaupt nicht, einen nach Erledigung meiner Hausaufgaben freien Nachmittag auf so was zu verschwenden, aber da meine Mutter nun einmal am längeren Hebel sitzt, richtete ich Herrn Dr. Steinert nach den Sommerferien brav auftragsgemäß ihre Frage aus, ob er da nicht jemanden Geeignetes für mich wüsste?
Zu meiner Verärgerung nahm dieser die Frage regelrecht begeistert auf, lobte sie als eine sehr gute Idee und meinte, er würde mir vielleicht schon in der nächsten Unterrichtsstunde jemanden nennen können.
Und so kam es dann auch, gleich am folgenden Tag überreichte er mir vor Beginn der Unterrichtsstunde einen Zettel, darauf standen der Name „Vanessa Richter“ und eine Telefonnummer.
Das sei eine sehr nette Schülerin aus der 13. Klasse, erklärte er mir, die ihr Latinum bei ihm mit einer Eins abgeschlossen habe und sich unheimlich freuen würde, mir zu helfen.
Na toll, hatte ich mir im Stillen gedacht, alle freuen sich also: Herr Dr. Steinert, meine Mutter, diese Vanessa Richter – bloß ich nicht, aber nur weil es um mich geht, muss man mich deshalb ja nicht fragen?
Mit dem knappen Kommentar, er käme von Herrn Dr. Steinert, hatte ich den Zettel am Abend meiner Mutter gegeben, als diese von der Arbeit nach Hause gekommen war.
Zunächst hatte sie allen Ernstes noch versucht, mich zu motivieren dort anzurufen, aber das hatte ich rigoros abgeblockt. Sie wollte schließlich, dass ich eine Nachhilfelehrerin bekomme, also sollte sie sie gefälligst auch anrufen!
Beim späteren Abendessen war meine Mutter dann aus dem Schwärmen gar nicht mehr herausgekommen: So eine höfliche und sympathische junge Frau, die auch nur viel weniger Geld nimmt als sie erwartet hätte, sondern sich in erster Linie einfach freut, dass sie jemanden helfen kann …
Am liebsten hätte ich sie ja gefragt, ob sie diese Mutter Vanessa Theresa nach einem kurzen Telefongespräch nicht gleich adoptieren möchte, aber das verkniff ich mir dann doch.
So fuhr meine Mutter also ungestört fort, mir begeistert von ihrem großartigen Erfolg zu berichten: Sie hatte sich mit Vanessa auf den Donnerstag als regelmäßigen Termin geeinigt, der passe ihr am besten. Und wir könnten auch gleich am nächsten Donnerstag – also morgen schon – anfangen!
Eigentlich sei Vanessa dieser Donnerstag ja gar nicht unbedingt recht, da sie abends noch auf dem Geburtstag ihres Großvaters erwartet würde, aber sie habe nur gefragt, ob sie sich im Anschluss an den Nachhilfeunterricht vielleicht hier frischmachen und umziehen könnte, sie würde dann in einem durchfahren. Das hätte sie ihr natürlich gerne zugesagt.
Vanessa hätte ein eigenes Auto, sie würde mich direkt nach der Schule zu uns nach Hause mitnehmen, wir könnten gemeinsam etwas essen, dann lernen, und Vanessa würde sich dann – nachdem sie sich hier fertiggemacht hat – direkt zu ihren Großeltern fahren.
Immerhin brachte ich schließlich auf die Frage meiner Mutter, ob ich mich denn wirklich gar nicht freute, dass das alles so schnell und reibungslos geklappt hat, dann doch ein gequältes Lächeln und eine gespielte Zustimmung zu Stande. Was sollte ich auch machen?
Trotzdem ging meine Lust auf den Nachhilfeunterricht zunächst noch gegen null, und so hatte ich mir nach der letzten Unterrichtsstunde bewusst sehr viel Zeit gelassen für den Weg zum vereinbarten Treffpunkt – jenen der drei Ein- und Ausgänge des Schulhofes, der der von älteren Schülern mit Führerscheinen und Autos gern als Parkplatz genutzten Seitenstraße am nächsten lag.
Der Schulhof war schon fast leer gewesen, es stand nur noch eine einzige Person an besagtem Ort und schien dort auf jemanden zu warten: Jene wunderschöne Brünette, die ich seit Jahren in jeder großen Pause aus sicherer Entfernung heimlich anhimmelte!
Ich verlangsamte meinen ohnehin schon gemächlichen Schritt noch weiter, bis ich schließlich für einen Moment ganz stehenblieb.
Sollte es das sein, was manche Menschen „Schicksal“ oder „göttliche Fügung“ nennen? War Vanessa Richter, die mein Lateinischlehrer mir auf Betreiben meiner Mutter als Nachhilfelehrerin vermittelt hatte, tatsächlich niemand Geringeres als mein jahrelanger, heimlicher und mir doch eigentlich völlig unbekannter und für mich unerreichbarer Schwarm?
Ich schluckte und ging weiter auf das Mädchen zu, dass dort neben dem Schulhoftor stand. Schließlich bemerkte sie mich, schaute mich an, lächelte, und fragte, als ich nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, ob ich Laura sei. Ich bejahte das. Sie gab mir die Hand, und stellte sich fröhlich strahlend als Vanessa vor!
Kein Zweifel, es musste so etwas wie Schicksal oder göttliche Fügung sein! Zufall ist etwas anderes ...
Plötzlich erwache ich aus meinen tagträumerischen Erinnerungen an die Ereignisse der letzten Tage, die jenes mir jeden Schultag über den Weg laufende, und für mich dennoch immer so unerreichbar fern gewesenes Mädchen, dem näherzukommen ich mir so lange schon erträumt habe, plötzlich mitten in mein wirkliches Leben gebracht haben
Etwas holt mich jäh in die Realität zurück, und ich begreife auch schnell, was es ist - es ist das Rauschen in der Wand, und auf ihrer anderen Seite, im angrenzenden Badezimmer.
Ich kenne dieses Geräusch nur zu gut, schließlich habe ich es schon ungezählte Male gehört, weiß daher genau, was es bedeutet. Und wie magisch zieht es mich an.
Instinktiv pirsche ich auf Zehenspitzen hinüber, in die Diele und vor die Badezimmertür. Ganz von selbst, ohne mein willentliches Zutun, formen die Finger meiner rechten Hand eine lockere Faust und bewegt sich mein Arm auf die Tür zu, um anzuklopfen. Doch da erstarre ich inmitten der Bewegung.
Bist du des Wahnsinns? Sie wird dich fragen, worum es geht, und was wirst du ihr antworten? „Was machst du da drin?“ Das weißt du doch, sie macht sich für eine Geburtstagsfeier in ihrer Familie fertig. Wozu deine Mutter ihr die Möglichkeit zugesagt hast. Woraufhin sie sich darauf verlassen hat, dabei ganz ungestört zu sein. Und dieses Vertrauen – auch in dich - löst sie nun gerade ein. Sie ist mit ihren mitgebrachten Sachen ins Badezimmer gegangen, hat die Tür hinter sich geschlossen, den Schlüssel im Schloss herumgedreht - das Schlüsselloch! Ich schlucke.
Da ist sie, die von Vanessa völlig unbedachte Schwachstelle ihres geschützten Raumes. Der einzige kleine Punkt, an dem sie nicht zentimeterdickes Holz von meiner Beobachtung abschirmt. Da die Tür in der kürzeren Wand des rechteckigen Raumes liegt, würde ein Blick durch das Schlüsselloch es ermöglichen, diesen zumindest in der gegebenen Sichthöhe komplett zu überblicken.
Eigentlich passiert gerade ja nun gar nichts irgendwie Spektakuläres in unserem Badezimmer. Was Vanessa dort tut, tut sie jeden Tag, genau wie ich und jeder Mensch auch.
Und dennoch war es immer ein Ereignis wie außerhalb meiner Wirklichkeit. Ich wusste niemals, in keiner Weise, irgendwie wann, wo und wie genau. Nur ganz abstrakt, dass eben überhaupt. Irgendwann, irgendwo, irgendwie.
Nun bin ich mit einem Mal keine fünf Meter mehr davon entfernt. Was für mich immer eine einerseits faszinierende, andererseits aber viel zu vage und ferne Vorstellung war, um sie mir in konkreten Bildern ausmalen zu können, ereignet sich in diesem Moment in meinem Badezimmer.
Vanessas bloße Anwesenheit hier war mir schon fast unwirklich erschienen. Dass sie meinetwegen hier war und ich allein ihre ganze Aufmerksamkeit genossen habe, noch um so mehr. Mittlerweile aber beginne ich endgültig zu zweifeln, ob ich nun wirklich noch wache, oder das Ganze in Wahrheit nicht doch bloß träume.
Träume, das weiß ich nun aus Erfahrung, enden oftmals viel zu früh, noch bevor bewusste oder unterdrückte Wünsche zumindest in ihnen einmal vorübergehend war werden. Wenn ich also wirklich träume, dann habe ich keine Zeit zu verlieren!
Mit vor Aufregung glühenden Wangen und Ohren, kurzatmig und schon leicht schwindelig auf immer wackeliger werdenden Beinen stehend, beuge ich mich vor, kneife ein Auge zu und spähe mit dem anderen durch das Schlüsselloch.
Direkt gegenüber der Tür, am anderen Ende des Raumes befindet sich die Badewanne, die sich über die ganze Breite des Raumes erstreckt. Dank einer Stange mit Halterung für den Brausekopf, kann sie auch als Dusche genutzt werden. Zu diesem Zweck gibt es ferner einen Duschvorhang, der zugezogen wiederum die ganze Breite der Wanne einnimmt.
Eigentlich ist dieser zwar transparent, doch das jahrelange Hängen in einem Raum mit häufig hoher Luftfeuchtigkeit hat ihn etwas stumpf und matt werden lassen, zudem beschlägt er während des Duschens durch die Kondensation des heißen Wassers.
Aber wenn das hier wirklich ein Traum ist, dann ist er jedenfalls sehr real. Es ist nicht einfach irgendein Rauschen aus der Realität in mein schlafendes Bewusstsein eingedrungen, das dieses als das Geräusch durch die Leitungen in der Wand und aus dem Brausekopf der Dusche strömendes Wasser interpretiert hat.
Denn zumindest schemenhaft kann ich hinter dem zugezogenen Duschvorhang tatsächlich Vanessa erkennen – oder jedenfalls erahnen. Von der hell rosafarben gekachelten Rückwand hinter dem Vorgang heben sich die groben Umrisse ihres Körpers, einschließlich ihrer naheliegenderweise wohl nassen Haare, ab.
Sie steht dort offensichtlich mit dem Gesicht zur von ihr aus gesehenen nächstgelegen Ecke des Raumes gewandt, in der die Rückwand und die Seitenwand mit der Duscharmatur zusammentreffen, hält in einer Hand den Brausekopf und führt ihn über ihren Körper, mit dem anderen verreibt sie das Wasser auf ihrer Haut.
So viel kann ich gerade noch erkennen, mehr aber auch nicht. Insbesondere keinerlei Details ihres Körpers, wie ihre Pofalte, oder die Form oder Größe ihres mir in ihrer Position sowieso halb angewandten Busens oder ihre Brustwarzen. Davor schützt sie der Duschvorhang dann doch, trotz seiner eigentlich und ursprünglich einmal transparenten Beschaffenheit.
Angestrengt darum bemüht, keinerlei Geräusch zu verursachen, versuche ich, mein Blickfeld durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen etwas zu verändern. Ich lehne mich nach links, um schräg nach rechts durch die winzige Öffnung in der Tür in den Raum spähen, und erhasche einen Blick auf den Hocker vor der Heizung. Was ich sehe, lässt mich erneut schlucken. Ich muss mich am Türrahmen festhalten.
Auf dem Hocker liegt, sauber zusammengefaltet, die Kleidung, die Vanessa ausgezogen hat: Hellblaue Jeans mit breitem, schwarzem Ledergürtel und auffälliger Schnalle in Form einer stilisierten Blüte, ein, weites, farbenfroh gemustertes T-Shirt und dunkle Strümpfe. Zuoberst ihre Dessous. Allzu genau kann ich sie nicht erkennen, aber es scheint ein Zweiteiler zu sein, BH und Höschen. Vielleicht ein Slip, vielleicht auch nur ein String. Jedenfalls sind sie - schwarz.
Vanessa trägt tatsächlich schwarze Dessous! Das heißt, zumindest heute. Den ganzen Schultag über hat sie dort in den Unterrichtsräumen gesessen, den Lehrern zugehört und mit ihnen gesprochen, sich Notizen gemacht oder gelesen, und ihre Mitschüler vermutlich bloß schüchtern und mit erhabener Zurückhaltung angesehen. Dabei hatte sie unter ihrer legeren, sommerlichen Oberbekleidung schwarze Dessous an!
Unter Garantie wusste das niemand, oder hätte es wahrscheinlich auch nur geahnt. Und ebenso dürfte auch niemand, selbst ich ja nicht wirklich, von Vanessas Vorhaben für heute Nachmittag gewusst haben.
Ob sie sich nach der Lateinischnachhilfe bei uns für den Geburtstag ihres Großvaters "fertigmachen" könnte, um anschließend auf einem Weg durchzufahren, war ihre Frage an meine Mutter gewesen. Das hatte diese natürlich bejaht. Und sich darunter sicherlich, genau wie ich auch, vorgestellt, dass sie vielleicht ihr Gesicht und ihre Hände am Waschbecken waschen, sich neu schminken, frisieren und umziehen würde.
Aber da hatte jedenfalls ich mich in der eitlen und peniblen Vanessa getäuscht. Sie steht in diesem Moment, während sie den ihr zugesagten Gefallen einlöst, sich hier bei uns für den Geburtstag "fertigmachen" zu können, nicht etwa am Waschbecken, um sich, gegebenenfalls ohne ihr T-Shirt an und nur im BH, einer schnellen Katzenwäsche zu unterziehen.
Vanessa steht in unserem Badezimmer unter der Dusche - völlig nackt!
Ich habe dabei nicht auf die Uhr gesehen. Um kurz vor vier Uhr war sie allein ins Bad entschwunden. Hatte sich dort vermutlich zuerst abgeschminkt und ihre Körperpflegeartikel auf dem Badewannenrand bereitgelegt, um sich schließlich komplett auszuziehen.
Wie sie sich dabei wohl gefühlt hat? Nackt in einem fremden Badezimmer, bei irgendeinem ihr völlig fremden Mädchen aus ihrer Schule zu Hause, das sie noch bis heute Mittag überhaupt kannte - und auch seitdem ja irgendwie immer noch nicht wirklich kennt?
Ob Vanessa wohl Herzklopfen hatte, als sie sich in dieser ungewohnten Umgebung komplett ausgezogen hat, und dann rasch unter die Dusche geschlüpft ist, um es nur schnell hinter sich zu bringen?
Mein subjektives Zeitgefühl spricht klar dagegen. Ich bin zwar zu gebannt von dem Wissen um die nackte Vanessa hinter dem Duschvorhang, den ich durch das Schlüsselloch wieder in den Blick genommen habe, als dass ich auf meine Armbanduhr schauen könnte. Doch kommt es mir so vor, als rausche das Wasser schon seit mindestens einer Viertelstunde durch die Rohrleitungen in der Wand und aus dem Brausekopf heraus.
Vanessa scheint sich wohlzufühlen und sich Zeit zu lassen. Es ganz bewusst zu genießen, wie das Wasser auf ihren nackten Körper regnet, und um ihn ausgiebig von Kopf bis Fuß einzuseifen, ihre zarten Fingern dabei jeden, auch die intimsten, Teile ihres Körpers berühren zu lassen. Ein vergnügtes Lächeln umspielt meine Lippen bei dieser Vorstellung.
Viele Male schon habe ich, sehr wahrscheinlich wie ausnahmslos auch alle Jungs in ihrer Stufe, unauffällig Vanessas bekleideten Körper gemustert, in der Hoffnung darauf, ihre Brustwarzen würden sich vielleicht einmal unter ihrem Oberteil abzeichnen, oder sich ein etwas tieferer Blick in ihr Dekolleté ergeben. Doch damit ist es nun vorbei, darauf werde ich nicht mehr angewiesen sein.
Denn ich werde einfach alles sehen, wenn Vanessa gleich den Duschvorhang zur Seite zieht, aus der Wanne steigt, sich abtrocknet und - davon darf ich wohl sicher ausgehen - eincremt. Ihren Busen, ihren Po, ihre Scheide ...
Vanessa kann meinen Blicken dabei nicht entkommen, sie sitzt in der Falle! Sie glaubt sich hinter der verschlossenen Tür geschützt vor Störungen und Beobachtung, sicher und geborgen wie in ihrem heimischen Badezimmer. Aber das ist sie nicht. Viele Jahre schon vor ihrer - und meiner - Geburt hat ein ahnungsloser Architekt ihr jene Falle präpariert, in die ich sie ja gar nicht gelockt, sondern in die sie sich freiwillig begeben hat. Ich musste bloß meine Position beziehen, und muss mich nun nur noch Augenblicke gedulden.
Doch während das Wasser unablässig weiterrauscht und Vanessa noch immer keine Anstalten zu machen scheint, es abzustellen und den Duschvorhang endlich zu öffnen, steigt langsam, aber unerbittlich ein eisiges Gefühl der Scham und des schlechten Gewissens in mir auf und beginnt, meine Erregung allmählich zu verdrängen. Mit einem Mal fühle mich nur noch hundeelend.
Was tust du hier eigentlich, frage ich mich plötzlich? Du bewunderst und verehrst dieses Mädchen doch? Und jetzt willst du ihr so was Hinterhältiges antun – sie nackt durch ein Schlüsselloch beglotzen?
Sie hat die Tür geschlossen und den Schlüssel umgedreht, das ist eine klare Ansage. Sie will nicht, dass du sie nackt siehst. Warum sollte sie das auch irgendwie wollen? Du bist seit heute Nachhilfeschülerin, und sonst nichts und niemand für sie.
Sie vertraut darauf, dass sie hier im Badezimmer sicher, ungestört und unbeobachtet ist! Sicher auch vor, ungestört und unbeobachtet auch von dir! Sonst hätte sie sich wohl kaum nackt ausgezogen und wäre unter die Dusche gestiegen.
Sie hat dazu zuerst die Tür hinter sich abgeschlossen, was bedeutet: Mit dir will keinerlei intime Momente teilen, und das am allerwenigsten wohl ungefragt und unfreiwillig!
Langsam richte ich mich vor der Tür wieder auf, und wiederhole dabei im Geiste immer wieder nur: „Es tut mir leid, Vanessa!“
Plötzlich verstummt das monotone Rauschen des Wassers. Kein Laut ist in der Wohnung zu vernehmen, nur das Ticken unserer großen Standuhr im Wohnzimmer. Sekunden später höre ich, wie Vanessa den Duschvorhang zur Seite zieht.
Schockstarr angewurzelt ob meines Entsetzens über den miesen Vertrauensbruch, den ich Vanessa gegenüber um ein Haar begangen hätte - in diesem Moment jetzt begehen würde, wenn nicht die Scham mich noch überwältigt hätte - bleibe ich vor der Tür stehen, unfähig, mich zu bewegen.
Jedes noch so kleine Geräusch aus dem Bad dringt an meine Ohren und in mein Bewusstsein.
Ich höre das Rascheln von Vanessas Badetuch, wie sie sich abtrocknet.
Das Klicken des Verschlusses einer Flasche, vermutlich mit Körperlotion. Mir ist, als hörte ich sogar Vanessas Handflächen über ihre Haut streifen, während sie sich eincremt.
Dann raschelt sie kurz in ihrer Tasche. Zu kurz, würde ich sagen, um frische Kleidung dort herauszuholen. Es muss etwas anderes sein.
Ratsch, ratsch - Vanessa bürstet ihr nasses Haar durch.
Der Deckel der Steckdose neben dem Waschbecken klappert, ein Stecker wird dort eingeführt. Sofort darauf ertönt ein anderes, dröhnenderes Rauschen als jenes laufenden Wassers. Es ist das eines Haarföhns.
Ich habe zwar nichts gesehen, jedoch doch alles gehört. Vanessa hatte, seit sie aus der Dusche gekommen ist, keine Gelegenheit, sich etwas anzuziehen. Sie hat sich abgetrocknet, eingecremt, Haarbürste und Föhn aus ihrer Tasche genommen, ihre Haare durchgebürstet, und föhnt sie nun. Aber kein Zweifel - sie ist dabei immer noch nackt!
Dieses Wissen zaubert neuerlich ein Lächeln auf meine Lippen. Nicht, weil ich somit nach wie vor die Gelegenheit hätte, durch das Schlüsselloch zu spähen und Vanessa zu sehen. Das werde ich nicht tun. Aus Liebe zu und Respekt vor Vanessa.
Ich schwelge einfach glücklich in dem aufregenden Wissen, das ich gewonnen habe, ohne auch die letzte Grenze des Vertrauensbruchs noch zu überschreiten: Die schöne und kluge, einerseits so unnahbare, andererseits jedoch liebe und hilfsbereite Vanessa trägt nicht nur schwarze Dessous, sie pflegt nach dem Duschen ihre Haare auch nackt zu föhnen! Wer hätte das von ihr gedacht?
Durch das Rauschen und Dröhnen von Vanessas Haarföhn davor geschützt, mich durch von mir verursachte Geräusche zu verraten, schleiche ich ins Wohnzimmer zurück.
An irgend eine Ablenkung oder Beschäftigung ist natürlich nicht zu denken. Innerlich glühend vor Aufregung lausche ich dem leisen, monotonen Geräusch aus dem Badezimmer und male mir aus, wie Vanessa dort nackt und verträumt vor dem Spiegel steht und ihre Haare trocknet. In Sicherheit und Geborgenheit, ganz so, wie sie es sich vorstellt. Weil sie sich mit ihrem in mich gesetzten Vertrauen eben doch nicht getäuscht hat.
Es ist längst fünf Uhr durch, als das Geräusch schließlich verstummt. Noch eine ganze Weile Zeit vergeht, in der Vanessa sich offenbar anzieht, schminkt und parfümiert. Dann höre ich, wie der Schlüssel im Schloss der Badezimmertür wieder herumgedreht wird.
Schritte, eine Wolke lieblichen Dufts weht herein. Ich schaue auf und erblicke Vanessa. Sie sieht hinreißend aus in einer weißen Bluse mit anthrazitfarbener Weste darüber, einem kurzen schwarzen Rock, einer dunklen Strumpfhose mit schwarzen Punkten und hochhackigen Sandalen. Ihre glänzende brünette Haarmähne umrahmt ihr Gesicht, aus dem sie mich fröhlich anstrahlt. „Gefalle ich dir?“, fragt sie lachend, in gespielt forschendem Ton.
„O ja“, seufze ich mehr, als dass ich es sage, aber Vanessa scheint das nicht zu bemerken.
„Okay, danke“, antwortet sie sichtlich zufrieden, "ich muss dann jetzt wirklich los."
Um ganz natürliche Bewegungen bemüht stehe ich von der Couch auf und begleite sie zur Wohnungstür.
"Danke", sage ich lächelnd.
"Danke auch", lächelt Vanessa zurück, "für das Essen und dafür, dass ich euer Bad benutzen konnte."
"Das war ja wohl das Mindeste", winke ich ab, "ich hoffe, du hast dich ganz wie zu Hause gefühlt?"
"Das habe ich bestimmt", schmunzelt Vanessa und zwinkert mir zu. Für einen Moment herrscht eine geheimnisvolle Stille zwischen uns, während wir einander in die Augen sehen.
"Wir sehen uns dann ja eigentlich morgen schon in der Schule", sagt sie schließlich, „spätestens aber nächste Woche.“
"Ja, bis morgen", erwidere ich, "und viel Spaß beim Geburtstag!"
Vanessa verdreht lachend die Augen. "Danke."
Dann wendet sie sich zum Gehen, dreht mir noch einmal den Kopf über die Schulter zu, sagt lächelnd: "Tschüss!", hebt dabei eine Hand und deutet mit ihren Fingern ein Winken an.
"Tschüss!", erwidere ich verträumt und schließe, schon wieder ganz und gar in meinen Gedanken versunken, die Wohnungstür hinter ihr ...
Ende von Kapitel 1
Die Geschichte von Laura und Vanessa wird fortgesetzt mit:
Kapitel 2: Begegnung im Schwimmbad
Kommentare
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