Die Richtige
Es ist ein kalter, aber sonniger Wintertag. Es ist Samstag vormittag und die Fussgängerzone ist entsprechend voll von Leuten, die herumhasten, um hier und da noch Einkäufe zu tätigen.
Ein Kind zerrt an der Hand der Mutter, weil es unbedingt zu den Spielzeugen will, die vor dem Billig-Discounter in den Plastikschüsseln liegen. Die Mutter ist genervt, in der einen Hand eine grosse Einkaufstüte, an der anderen Hand das Kind, welches sie schliesslich doch noch erfolgreich von der verführerischen Auslage trennen kann.
Das Fernsehteam hat die Kamera aufgebaut. Die Dame mit dem Mikrofon in der Hand hält Ausschau. Einer der beiden Männer stellt die Kamera ein, der andere läuft vor der Kamera auf und ab, wahrscheinlich wird der richtige Blickwinkel noch eingestellt.
Die Dame hält immer noch Ausschau. Ihr roter Schal flattert etwas im Wind.
Da ist die richtige.
Zielstrebend geht sie mit ihrem Mikrophon auf diese Richtige zu.
Eine äusserst elegante junge Frau, hochgewachsen, das lange dunkle Haar unter einen schicken blauen Wollmütze. Sie hat eine hübsche gerade Nase, zierliche Wangenknochen, dunkle Augen.
Eilig sieht sie nicht aus. Vielleicht hat sie ja etwas Zeit.
„Darf ich Sie ansprechen ?“ fragt die Dame mit dem Mikrophon, der rote Schal flattert ihr kurz ins Gesicht.
„Worum geht es denn?“ Die junge attraktive Richtige hat zwar das Mikrofon, aber offensichtlich die Kamera noch nicht bemerkt.
„Haben Sie etwas Zeit für uns?“
„Ich habe etwas Zeit,“ sagt sie. „Soll das ein Interview sein? Kommen Sie von einem Meinungsforschungsinstitut?“
„Wir sind vom Sender Fantasie-TV, kennen Sie unsere Sendungen?“
„Nein, das tut mir leid.“
„Wir sind auch ziemlich neu. Wir beschäftigen uns mit mutigen Frauen. Frauen, die nichts dagegen haben, sich vor anderen Leuten auszuziehen und nackt herumzulaufen.
Würden Sie das tun ?“
„Bin ich auf Sendung?“ fragt die Richtige.
„Nein, das sind Sie nicht. Wir senden nicht live.“ beruhigt sie der flatternde rote Schal.
„Grundsätzlich habe ich nichts dagegen.“ antwortet nun die Richtige. Die Dame mit dem Mikrofon tritt nun einen Schritt zurück und betrachtet die vor ihr Stehende.
„Wie ich bisher beurteilen kann,“ sagt sie, „können Sie sich das auch leisten. Und mit Ihren schätzungsweise 180 Zentimetern bieten Sie sicherlich einen äusserst attraktiven Anblick.“
Trotz des hellen Mantels und der dunkelbraunen Jeans, die bis zum Knieansatz in schwarzen Stiefeln mit 6cm Absätzen stecken, ist doch einiges von ihrer Figur zu erkennen.
„Würden Sie es jetzt machen?“
Die Richtige lacht laut.
„Jetzt ? Hier in der Fussgängerzone ? Nein nein, das kommt nicht in Frage.“
„Sie können es sich absolut leisten. Und es soll auch nicht für lange sein, höchstens ein paar Minuten.“
Nach einiger Zeit des Lachens und der Abwehr ist die Richtige doch nun bereit, sich inmitten der Fussgängerzone vollkommen nackt auszuziehen.
Sie lässt sich vor die Kamera führen.
Sie öffnet ihren Mantel und bevor sie ihn auszieht, öffnet sie den Knopf der Jeanshose, um den Reissverschluss hinunterzuziehen.
Der will allerdings nicht. Irgendetwas klemmt.
Nicht einen Millimeter lässt er sich nach unten bewegen.
„Darf ich versuchen?“ fragt die Dame mit Mikrofon und rotem Schal.
„Ja, bitte“ antwortet die Richtige.
Sie gibt ihrem Mitarbeiter das Mikrofon, schlägt ihren Schal zurück über die linke Schulter und geht nun vor der Richtigen in die Hocke. Diese lacht.
Ein Zerren, erst leichte, dann mittlere Gewalt mit zwei Fingern an dem kleinen Metall – es hilft alles nichts. Der Reissverschluss hat offensichtlich ein Eigenleben.
Jetzt kniet sich einer Männer ebenfalls daneben, auch ihm will es nicht gelingen.
Inzwischen hat sich eine recht grosse Menge Interessierter um die kleine Gruppe versammelt und begleitet von einigen Rufen wie - „Was ist denn da los?“ - „Gibts hier etwas umsonst ?“ - „Was machen die denn da ?“ - versuchen die beiden, der Richtigen die Hose aufzumachen.
Schliesslich geben sie auf.
„Entschuldigen Sie vielmals, dass es nicht geklappt hat,“ sagt die Richtige und knöpft ihre Jeans und dann den Mantel wieder zu.
„Die Hose habe ich soeben erst gekauft und anbelassen, ich werde sie jetzt mal umtauschen gehen. Zur Not wird eine Schere genommen.“
„Danke schön aber für Ihre Bereitschaft ...“
Die Richtige nimmt ihre Tasche auf, verabschiedet sich lächelnd und bahnt sich dann einen Weg durch die Menschenmenge.
Die Dame mit dem roten Schal nimmt sich das Mikrofon und hält weiter Ausschau.
Vielleicht kommt die Richtige ja nochmal wieder, wenn sie die Hose umgetauscht hat.
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