Trio informale
Ich zucke. Mein Atem geht schneller und auf meiner Stirn perlt der Schweiß. Immer wieder stemme ich mich dem süßen Kribbeln entgegen, bis meinem Mund kehlige Laute entfliehen, die ich nur durch einen Biss in die Bettdecke mildern kann. Immer wieder gleitet die glitschige Oberfläche über meine Perle nach unten zu meiner Öffnung, ohne jemals einzudringen. Ich liebe die Reibung am Eingang. Heinrich treibt mich voran. Immer stärker strömen die Reize auf mich ein, meine Hände sind so schweißig, dass er mir fast entgleitet, doch ich halte ihn fest. Ich weiß nicht, ob ihn an meinem Schamlippen verweilen lasse und den Orgasmus hinauszögern, oder endlich kommen will. Den höchsten Gipfel zu erklimmen ist schön, aber was kommt danach? Die Gier hat die Macht. Die Sucht nach Adrenalin, das meinen Körper durchflutet und mich Sterne sehen lässt. Dass mich klarer atmen und freier denken lässt. Wer braucht schon Alkohol, wenn er Stresshormone hat? Ich schreie. Meine Bettdecke zerreißt, so sehr ramme ich meine Zähne hinein, während mein ganzer Körper bebt und meine Grotte salzige Flüssigkeit ausstößt. Ich liebe es, meine Finger in die warme Feuchtigkeit zu stecken und zu fühlen, was ich aufgebaut habe. Ich bin gut, denke ich selig. Ich bin so unglaublich gut. Drei Orgasmen binnen dreißig Minuten – kein Mann hat das je geschafft.
Drei Orgasmen sind einer zuviel, merke ich, während ich mich auf die Seite drehe und warte, bis der Schlaf einsetzt. Höhepunkte sind wie Tee – es kommt auf die Dosierung an. Bei zwei Orgasmen bin ich so entspannt, dass ich gemütlich entschlafen kann. Bei dreien oder sogar vier gerate ich in einen Rausch, der meine Gedanken in Bereiche schweben lässt, die ihnen im wachen Zustand verborgen sind. Dafür bin ich danach so aufgekratzt, dass ich nichts weiter tun kann, als das Lichtspiel vor dem Fenster zu beobachten, mir die frische Luft vorzustellen und meinem Herzen dabei zu zu hören, wie es an die Decke klopft. Tick. Tack. Poch.
Mein Körper fühlt sich schwer an. Meine Arme liegen neben mir, meine Beine zur Seite gedreht. Ich fühle, wie mein Brustkorb den Stoff streift, während er sich hebt und wieder senkt. Ich bin entspannt. Vor meinen Augen tanzen Sterne. Bunte Gestalten, die aufleuchten und wieder in der Dunkelheit verschwinden. Es war nicht richtig. Es war nichts und wieder nichts und wird auch nie wieder irgendwas sein. Acht Orgasmen haben nicht gereicht. Vier am Sonntag, einer am Montag und heute drei. Die rein geistigen zum Frühstück und Mittagessen noch nichtmal mitgerechnet. Acht Mal habe ich mit ihm geschlafen, während andere die Arbeit taten. Beim ersten Mal fuhr ich einfach hin und vernaschte ihn im Flur. Beim zweiten Mal trieben wir es auf einer Wiese im Park. Das dritte Mal zog ich ihn in eine Umkleide und das vierte Mal vögelten wir auf dem Damenklo im Restaurant. Beim fünften Mal presste er mich gegen die Rückseite der Kulisse, während vorne „Hamlet“ gespielt wurde. Beim sechsten Mal waren wir auf einer Südseeinsel und seine Hand glitt beim Verteilen der Sonnencreme in meine Spalte. Das siebte Mal vögelten wir auf der Aussichtsplattform des Fernsehturms. Und gerade eben hatte ich mir vorgestellt, wie wir tanzen waren. Jan hatte eigentlich keine Lust, aber meine Freundin und ihr Liebster feierten ihr einjähriges Jubiläum und sie wollte auf keinen Fall, dass ich allein kam. So saß Jan gelangweilt an der Bar, während meine Freundin, ihr Freund und ich auf der Tanzfläche tobten. Selbst wenn Jan mürrisch guckte, war er noch total sexy. Wir lachten viel, wir sahen uns mit den Drinks in der Hand an und tanzten zu dritt in komischen Bewegungen. Die Musik wurde immer schlechter und die Luft immer wärmer. Irgendwann hatte sich das fröhliche Pop-Gedudel in einen eintönigen Techno-Beat und der Raum in eine Nebelwand verwandelt. Hustend bahnte ich mir den Weg zu meinem Freund, während es meine Freundin vorzog, noch weiter in der Disko-Hölle zu verweilen. Jans Augen glitzerten, als ich ihn vom Barhocker zog. Ich spürte, wie sein Blick auf meinem Minirock festhing, ich konnte fühlen, wie sein Atem meinen Hintern streichelte, obwohl er weit weg war. Draußen angekommen atmete ich die frische Luft ein. Nachts war sie am schönsten. Ich drehte mich zu Jan um und lächelte ihn an. „Danke“, sagte ich, „dass du mitgekommen bist, obwohl du lieber zu Hause geblieben wärst“ Doch er antwortete nicht. Stattdessen sah er mir tief in die Augen und knabberte auf seiner Unterlippe. Dann umfasste er mein Handgelenk. Wortlos zog er mich durch unzählige Straßen, bis wir in einer kleinen, unbeleuchteten Gasse ankamen. Dann presste er sich an mich und hauchte: „Du hast heute schön getanzt!“ Seine Hände streichelten von meiner Taille zu meiner Hüfte. „Wenn du dein Becken kreisen lässt, als würde es sagen ‚Fick mich, fick mich‘, dann möchte ich dich von der Tanzfläche zerren und ihn dir reinrammen. Immer und immer wieder.“, sein Schwanz rieb durch meinen Rock an meiner Vagina und machte mich zusammen mit seiner Nähe einfach nur verrückt. Atemlos fragte ich: „Soll ich sie nochmal für dich kreisen lassen?“, doch er sagte nichts. Stattdessen presste er seine Lippen auf meine und zeigte mir, wie gut seine Zunge tanzen konnte. Gleichzeitig öffnete er seinen Gürtel und holte ein Kondom aus der Tasche. Er rieb seinen schönen Pfahl an mir, bevor er mein linkes Bein anhob und meinen Slip zur Seite schob. Dann stieß er zu. Anfangs gemächlich wurden seine Bewegungen immer schneller, sein Atem zu heftig für einen Kuss. Er rammelte mich gegen die Wand, als wollte er mich festnageln. Ich spürte seine Hand auf meinem Schenkel, den Rest seines Körpers auf mir, obwohl er nicht nackt war. Ich liebte diesen Moment, in dem er mich einfach nur fickte. Ich liebte ihn so sehr, dass ich ihn niemals beenden wollte. Aber alles hat ein Ende. Auch Sex. Und eine Beziehung. Doch im Moment tat Jan das, was er während unserer Zeit nie getan hatte – er nahm sich gewissenlos, was er wollte.
Normalerweise war Jan keine Leuchte, zumindest nicht im Bett. Er konnte die Entfernung zwischen Mond und Erde zu jedem beliebigen Zeitpunkt berechnen, doch im Bett fehlte ihm immer das richtige Timing. Er zögerte das Vorspiel unnötig hinaus und stieß ein dann wie ein Presslufthammer in mich hinein. Nach fünf Sekunden war alles vorbei. Auch beim Lecken stellte er sich doof an: er ertränkte meine Vagina in seiner Spucke, ohne auch nur einmal mit seiner Zunge meine Perle zu erreichen. Immerhin hatte ich so mein schauspielerisches Talent gefördert und konnte Orgasmen besser vortäuschen als mancher Pornostar. Unglücklicherweise konnte ich das nicht im Lebenslauf anführen. Jan hatte nur einen entscheidenden Vorteil: Er war da. Bis auf seine wöchentliche Warhammer-Spielrunde und die Besuche bei seiner Mutter war er fünf Tage lang nur mit dem Lesen gelber Heftchen und amerikanischen Sitcoms mit einem Hauch ‚Anspruch‘ beschäftigt. Sein Studium der Naturwissenschaften passte irgendwo dazwischen, war aber nicht von Bedeutung. Wann immer ich Jan brauchte, war er einfach da. Sicher, ihn für Spaziergänge im Park zu begeistern war schwer, dafür konnte man bei ihm gut Sonntage mit Tee, Kuscheln und Fernsehen verbringen. Auch anschweigen ging gut, schließlich hatte er eine unübertroffen weiche Bettdecke und einen Balkon. Auseinander trieb uns schließlich eine Diskussion über Charles Bukowski: Während ich ihm immerhin einen Funken Verstand, wenngleich keine Genialität, zugestand, war er für Jan nur ein alkoholkranker Angeber, dem man fälschlicherweise mehr Intellekt zuschrieb, als er vermutlich hatte. Und wie üblich gibt es bei solchen Auseinandersetzungen nur zwei Optionen – Krieg oder Frieden, Sieg oder Niederlage, meine Meinung oder gar keine. Wir entschieden uns für ‚gar nichts‘ und beendeten unsere Beziehung, bevor wir auf die Idee kamen herauszufinden, woran wir wirklich scheiterten.
Doch das Leben ohne Jan war öde. Besonders die Sonntage. Und die Montage. Und die Dienstage. Mittwoche. Donnerstage. Freitage. Samstage. 20 Stunden pro Woche plus 10 für die Vorbereitung auf Verabredungen, die man auf einmal mit sich verbringen musste. Und mich zu ertragen war nicht einfach, besonders, wenn man ständig über Kleinigkeiten grübelt. Anfangs fühlt sich das gut an, aber bald geht man sich so sehr auf die Nerven, dass man versucht sich abzulenken – Lesen, Spazierengehen, Filme gucken. Aber alles ist nur halb so schön, wenn man niemanden hat, mit dem an sich darüber aufregen oder lachen kann. Jemandem beim Schlafen zuzugucken kann auch wundervoll entspannend sein, aber ich neige dazu, im Schlaf zu sabbern, was in mir eher Schamgefühle als Euphorie auslöste. Und mein Kuscheltier verzieht beim Schlafen keine Miene, auch wenn es niedlich aussieht.
Das schlimmste war aber der fehlende Sex – auch wenn er schlecht ist, passiert in unserem Körper immer dasselbe: Adrenalin und Oxytocin werden ausgeschüttet, selbst wenn uns kein echter Kerl, sondern nur ein babyblauer Plastikstab befriedigt. Sex lässt uns über Wolken schweben, Gedanken fliegen und sorgt über Stunden für ein Wohlgefühl, an das keine andere Droge heran kommt. Und bis auf einen Schock am nächsten Morgen, weil der Mann unserer feuchten Nächte keineswegs für den Frühstückstisch taugt, gibt es keine Nebenwirkungen. Großer Vorteil: Da man Sex in trauter Zweisamkeit genießt, bleiben Ausfallerscheinungen und Peinlichkeiten ungeteilt unter der Bettdecke (es sei denn, man hat die Webcam an...). Doch leider reichen selbst vier Orgasmen mit dem Trio Vaginale Heinrich, Ernst und Möbius nicht an eine 10-Minuten-Nummer mit einem Mann inkl. Anfassen, Küssen und Stöhnen heran.
Ich bin allein. Acht Orgasmen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich nicht mehr ich bin, sondern seine Sklavin. Eher: Meine Sklavin. Mein Erhaltungs-Ich steht im klischeehaften Domina-Outfit vor mir und schwingt die Peitsche. Ich will so vieles sein. Ich will die Frau sein, die er sich gewünscht hat. Ich will die Frau sein, die in ihm sieht, was er ist, und nicht, was er in sich selbst sieht. Und ich will die sein, die darauf vorbereitet ist, wenn er zurückkommt. Er wird zurückkommen. Denn man soll probieren, probieren und nochmal probieren. Solange, bis man nicht mehr hinfällt. Liegen bleiben ist keine Option. Gar keine. Wer aufgibt, den futtern die Fliegen.
Doch mein Vorwärts-Ich lässt sich nicht unterkriegen. Auch wenn es auf dem Boden kriecht, übersäht mit Striemen, blickt es nach oben murmelt: „Du wirst nicht siegen!“
Ich bin mir nicht sicher. Es ist einfach furchtbar bequem. Es fühlt sich gut an zu weinen. Es ist belebend sich zu streiten. Es bereitet mir Freude, darüber nachzudenken, warum ich recht habe und warum er ein Idiot ist. Es ist toll, anderen Leuten damit auf die Nerven zu gehen und das ganze künstlerisch zu verarbeiten. Selbst auf dem Sofa zu sitzen und die Dämmerung anzustarren ist toll, wenn man dabei über eine Beziehung nachdenkt, die mal wieder kurz vor dem Zusammenbruch steht. Es belebt einfach. Die Monotonie des Alltags ist verschwunden und für ein paar Minuten gibt es Wichtigeres als die verpasste Straßenbahn und die aktuellen Facebookmeldungen. Auch wenn wir uns einreden, dass wir NACHDENKEN, schubsen wir einfach nur Emotionen hin und her. Unser Verstand ist ausgeschaltet. Der Körper reagiert. Wenn wir alltags-grau-drauf sind, können wir Stunden damit zubringen, wie wir aussehen, ob wir gerade essen wollen oder sollen und was. Wenn wir traurig sind, meldet sich der Körper zu Wort, wenn es notwendig ist. Auch wenn die Welt gerade untergeht, geht das nicht mit nüchternem Magen – soll sie mit ihrem Inferno warten, bis wir satt und wach dem Schauspiel bewohnen können. Es ist ein wundervoller Trance-Zustand. Ähnlich wie Freude. Aber Freude ist schwerer zu erreichen, weil wir dafür unsere Ansprüche an das, was uns Freude macht, herunterfahren müssen. Deswegen suchen wir ständig neue Wege, um glücklich zu sein. Es ist viel zu wichtig und viel zu schwer zu erreichen. Trauer ist einfach. Man muss nur gegen einer Mauer rennen – verbal oder tatsächlich. Auch Schweigen ist gut – mit Schweigen kann man Menschen hilflos, ratlos und wütend machen und sich danach über ihre Wut aufregen usw.
Dumm wird es, wenn man anfängt zu reden. Wirklich zu reden. Denn dann wacht man auf und stellt fest, dass man voller Fehler ist. Und der größte besteht darin zu glauben, dass alles gut wird, wenn man das aktuelle Problem löst. Ein Irrtum. Das Problem mit den Problemen ist: sie sind Platzhalter. Wie der Joker beim Kartenspiel. Der Stein ohne Punkte beim Domino. Oder das goldene Hütchen beim Hütchenspiel. Dort, wo ein Problem steht, kann keine Angst stehen. Das ist sehr praktisch – man kann Ängste durch Probleme ersetzen, dann wirken sie nicht mehr so groß und beherrschbar. Leider will ein Problem auch gelöst werden – und dann kommt die Angst zurück. Die Angst, verlassen zu werden. Nicht gut genug zu sein. Sich nicht ändern zu können. Und insgeheim hat man auch Angst vor dem anderen – jetzt, wo er einen nicht mehr mag, kann er einem alles antun. Aber warum sollte er? Warum sollte er einem schaden, wenn man nicht zusammen passt? Wenn die Natur mal einen Fehlgriff getan hat, das kann uns doch allen passieren?
Wir sind nicht verantwortlich. Wir sind nicht besser als andere Lebewesen, weil wir Menschen sind. Es gibt Dinge, für die wir nichts können und an denen wir auch nichts ändern können. Wir können keine Menschen ändern und ihre Fehler ausbügeln. Wenn andere uns verletzen, können wir nichts tun, als es zu akzeptieren. Wir können versuchen, uns zu entschuldigen, wenn wir etwas falsch gemacht haben – aber ob derjenige unsere Entschuldigung annimmt, ist seine Sache. Wir müssen nicht auf andere aufpassen, weil sie das selbst können. Und niemand muss auf uns aufpassen. Weil wir das auch alleine können. Natürlich können wir.
Als ich auf den Balkon trete, geht die Sonne auf. Der Saft fließt meine Beine hinab und ein leichter Hauch durchweht meine Härchen. Es ist kalt, aber das stört mich nicht. Wenn ich eine Erkältung bekomme, ist das mein Problem. Die anderen können meine Facebookmeldungen abstellen. ‚Nein, es ist nicht meine Schuld‘, denke ich, während ich die Arme auf dem Geländer abstütze. ‚Es ist nicht meine Schuld, wenn er mich verlässt. Und auch nicht seine. Ich habe eine Entscheidung getroffen, und er auch. Es wäre falsch gewesen, dem Gefühl nicht zu trauen und der Gewohnheit zu entsprechen. Sich an die Vergangenheit klammern, anstatt die eigene Meinung zu vertreten. Die Vergangenheit ist klug, aber sie hat nicht immer recht. Denn wir sind im Jetzt. Und jetzt ist es Zeit, wieder aufrecht zu gehen und nach vorne zu schreiten. Wenn er scheitert, kann ich nichts dafür. Und wenn ich scheitere, auch nichts. Aber ich muss auf mich aufpassen. Ich kann mich darauf verlassen, dass ich untergehe, wenn ich dem schlechten Gefühl nicht entgegen trete. Oder fliehe.
Oder schlafe. Eine Nacht lang habe ich gedacht und gewartet, bis ich Frieden finde. Jetzt muss ich ruhen. Das ist das Beste. Die Welt kann ich auch morgen ändern.
‚Ich sollte Heinrich in sein Säckchen packen, sonst friert er‘, fällt mir noch ein, bevor ich mich auf den Gartenstuhl fallen lasse und die Augen schließe.
Kommentare
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