Julias neuer Look
Julia war auf dem Weg ins Rathaus. Heute war der große Tag und ihr wurde flau im Magen. Ob sie wirklich die Nerven haben würde, die Erklärung zu unterzeichnen. Gedankenversonnen stand sie an der Fußgängerampel und bemerkte gar nicht den jungen Mann neben ihr, der sie musterte.
Marco dachte bei sich "so müssen die wilden 70er ausgesehen haben..." Die junge Frau neben ihm war eine Schönheit, kein Zweifel, aber gleichzeitig war sie erstaunlich schmuddelig. Sie trug abgenutzte graue Radlerhosen und ein graues Trägershirt mit abgerissenem Saum, ihre halblangen schwarzen Haare waren ein einziger Wischmop, nichtmal Schuhe hatte sie dabei. Und wie er erkennen konnte, waren weder ihre Achseln noch die Unterschenkel rasiert.
Das musste so eine aus dieser neuen Sekte sein, von der er gelesen hatte. Warum dieser Club ausgerechnet auf junge und extrem attraktive Frauen eine solche Anziehungskraft ausübte, konnten bisher nichteinmal Experten erklären. "Ich wusste gar nicht, daß die Natur-Pur-Bewegung auch hier bei uns vertreten ist..." bemerkte er mit einem Lächeln.
"Oh, äh, ich habe Sie gar nicht bemerkt...". Er hatte sie aus ihren Gedanken gerissen, Mitte 30, gepflegt, gutaussehend, also nicht gerade der Männertyp, der sie für gewöhnlich ansprach. Plötzlich schämte sie sich wieder in ihren alten Klamotten und blickte verlegen auf ihre Zehen. "Wir sind momentan nur zu dritt, anscheinend sind die Mädels hier zu verklemmt, um zu sich zu stehen." - "Naja, Sie platzen ja auch nicht gerade vor Selbstbewußtsein!" Wieder dieses Grinsen.
Sie war ja auch in der Tat nicht gerade eine Überzeugungstäterin, sondern mehr oder minder durch ihre neue WG in die Sache hineingeraten.
Ihr Freund hatte sie mit einer anderen betrogen und kurzerhand rausgeworfen, zu ihren Eltern wollte sie jedoch keinesfalls zurück. Immerhin hatte sie hier einen guten Bürojob, warum sollte sie da die Stadt verlassen?
Die Wohnungssuche war wie verhext, entweder handelte es sich um überteuerte Bruchbuden oder um völlig unbezahlbare Immobilien. So war sie schließlich in der "natürlichen WG" gelandet. Eigentlich hätte sie ihrem ersten Impuls folgend die Flucht ergreifen sollen...
Jenny und Carola jedenfalls, die die WG bereits bewohnten, waren Mitglieder dieses verrückten Vereins, der die Rückkehr der Frau zu natürlicher Schönheit anstrebte. Und natürlich war im Wortsinne gemeint: Höhlenmenschen-Style! Jenny und Carola hatten sie jedenfalls völlig ungeniert splitterfasernackt empfangen, so daß sie zunächst nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Schließlich wurde sie aufgefordert, die Schuhe auszuziehen, denn auf dem Grundstück wurde High-Heel-Geklacker nicht geduldet. Das Grundstück selbst war hingegen herrlich: ein altes Bauernhaus, sehr modern renoviert, abseits gelegen. Wenn sie sich für die WG entscheiden sollte, könnte sie zwei geräumige Zimmer im Obergeschoß bewohnen, und das alles zu einem Spootpreis. Einzige Bedingung war der Beitritt zu Natur-Pur.
Was sollte sie machen? Sie brauchte eine wohngelegenheit, und zwar schnell! Ein Tag Bedenkzeit wurde ausgehandelt, so daß sie sich über die Clubregeln informieren konnte - und die waren ziemlich heftig!
Ein Beitritt bedeutete nicht weniger als den vollständigen Verlust ihrer persönlichen Garderobe, die Beschränkung von Kosmetikartikeln auf einige geruchsneutrale Pflegeprodukte sowie ein Rasurverbot. Nach dem Beitritt galt für "Neulinge" noch eine gewisse Schonfrist, bis die Körperhaare vollständig nachgewachsen waren, während dieser Frist bestimmten die "Fortgeschrittenen" welche Kleidung die "Neue" zu tragen hatte. Die Vollmitgliedschaft hingegen erwarb man auf dem Einwohnermeldeamt, wo man eine eidesstattliche Erklärung abgeben musste, daß man für einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren auf Mode und Styling verzichten würde. Naja, wer sagte denn, daß es so weit kommen musste? Sie könnte ja in die WG ziehen und sich dann trotzdem ne andere Wohnung suchen. Das würde ihr etwas Luft verschaffen! Und mal ein paar Wochen nicht schminken und rasieren würde schon nicht so schlimm sein...
Pustekuchen!
Der Mietvertrag wurde auf drei Monate festgeschrieben innerhalb derer sie die Vollmitgliedschaft zu erwerben hatte, danach lief der Vertrag so lange wie ihre Mitgliedschaft. Mit klopfendem Herzen unterzeichnete sie.
Jenny verschränkte daraufhin die Arme vor der nackten Brust und schlug Kommdoton an. Julia hatte sich abzuschminken, die Haare so gut wie möglich von Spray und Färbemitteln zu säubern und ihre Kleidung abzugeben. Selbst ihr Bauchnabelpiercing musste raus, ebenso die Ohrringe. Bekleiden durfte sie sich nur noch, wenn sie arbeiten ging oder in die Stadt wollte, zuhause hingegen lebte sie völlig nackt. Sie verstand sich aber erstaunlich gut mit den beiden Nackedeis Jenny und Caro, die als Vollmitglieder schon seit vier Jahren völlig natürlich lebten und im Job bzw. Studium nicht diskriminiert werden durften. Insbesondere Caro war jedoch auf "Modepüppchen" nicht gut zu sprechen und träumte regelmäßig davon, irgendwann alle nackt zu machen. Ihr hatte es Julia auch zu verdanken, daß sie ab Tag eins nur noch barfuß und in zerlumpter Kleidung herumlief. Es schien Caro ziemlichen Spaß zu machen, das ehemalige "Modepüppchen" Julia wie eine Obdachlose zur Arbeit zu schicken. Die Kolleginnen und Kollegen tuschelten zwar die ersten Tage, aber da man das als Diskriminierung von Minderheiten auslegen konnte, verstummten sie recht bald und gewöhnten sich daran, daß Julia nun nicht mehr in edlen Pumps und in teure Stoffe gehüllt durchs Büro tänzelte. Für Julia selbst war die Sache ein Wechselbad der Gefühle, manchmal war ihr fast zum Heulen zumute, dann wieder erregte es sie, daß ihre Beine stoppelig wurden und unter den Armen dunkle Schatten sichtbar wurden. Gleichzeitig peinlich und erotisch.
Jenny gab einmal unumwunden zu, daß es ihr selbst heute noch so erging. Sie fühlte sich gewissermaßen gleichzeitig schlampig und trotzdem diesen aufgestrapsten dummen Hühnern mit ihren glattrasierten Muschis haushoch überlegen.
So gingen die Wochen ins Land und Julia wurde immer lockerer. Sich nach dem Nachhausekommen nackt auszuziehen war nach einiger Zeit das normalste auf der Welt. Mit der Hygiene nahm sie es auch nicht mehr so genau, wozu auch? Jenny und Caro rochen doch auch total geil!
Schließlich hatten sie sich eines abends gemeinsam einen Pornofilm angesehen und waren dabei übereinander hergefallen, womit endgültig alle Hemmungen beseitigt waren. Eine neue Wohnung zu suchen war dadurch im Grunde genommen überflüssig und irgendwie fieberte Julia dem Tag beinahe entgegen, an dem sie sich endgültig von ihrem früheren Leben verabschieden würde und das Tragen des kleinsten Textilfussels empfindliche Geldstrafen bedeuten würde.
Gleichzeitig hatte sie aber auch Angst davor, denn es würde keinen Weg zurück geben...
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"Sind Sie sicher?" meinte die Dame am Schalter. Wollen Sie nicht erstmal eine kürzere Frist angeben. "Wozu?" (Da war endlich ihr Selbstbewußtsein!). "Um dann irgendwann wieder wie sie in einem bescheuerten Kleid rumzuhüpfen und mir Farbe in die Fresse zu schmieren?" Sie schnappte sich den Wisch, setzte ihre Unterschrift darunter und entsorgte ihre Klamotten in einem Altkleidersack. Sie atmete tief durch und ging dann geschwind nach draußen, wo Marco auf sie wartete.
Es war ein herrlicher warmer Tag, genau richtig, um erstmal ein Eis essen zu gehen. Und den Wahlsieg der Feministischen Liga zu feiern, die schon bald dafür sorgen würde, daß man in der Innenstadt keine dümmlichen Tussis mit gefärbten Haaren auf High-Heels herumstaksen sah. Vielversprechend zwinkerte sie der dummen Gans, die da eben die Schaufenster des Schuhgeschäfts inspizierte zu.
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