Nach der Seenotrettung


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14.07.2010
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Der Himmel war wolkenlos und das hellblaue Wasser ringsum die elegante, strahlend weiße Motoryacht reflektierte die Sonnenstrahlen. Zwar war das Meer mit weit über zwanzig Grad eigentlich angenehm warm, doch nach mehreren Stunden im Wasser begann sich der Unterschied zur menschlichen Körpertemperatur allmählich doch unangenehm bemerkbar zu machen. Es war verdammt knapp gewesen. Nicht mehr lange, und sie wäre völlig unterkühlt und entkräftet gewesen. Ohne die Unterstützung durch die starken Arme ihres Retters Marek hätte sie die wenigen Trittstufen der Leiter auf das Heck der Yacht schon fast nicht mehr geschafft.

 

Die 22-jährige Victoria versuchte, nicht daran zu denken was gewesen wäre, wenn die beiden Skipper Marek und Julia nicht zufällig mit ihrer Yacht vorbeigekommen wären und sie hilflos im Meer hätten treiben sehen. Sie war heute Morgen an einem der zahllosen malerischen Sandstrände der Malediven zum Schwimmen ins Wasser gegangen. Erst vorsichtig, hatte sie sich dann immer weiter hinausgewagt, bis sie nicht mehr im Wasser stehen konnte. Unbeschwert und begeistert vor der Wärme und Sauberkeit des klaren, hellen Wassers war sie umher geschwommen, getaucht, und hatte sich einfach Treiben lassen. Ganz in ihren Gedanken verloren, hatte sie die Strömung nicht bemerkt, die sie erfasst und immer weiter vom Strand weggetragen hatte. Als ihr irgendwann eingefallen war, das Land vielleicht besser doch im Auge zu behalten, war es längst zu spät gewesen. Die kleine Insel war nur noch eine unscharfe Silhouette am Horizont.

 

In ihrer Panik hatte Victoria sofort zurück zu schwimmen versucht, aber das hatte nichts geholfen. Gegen die Strömung war sie einfach nicht angekommen. Unerbittlich hatte diese sie immer weiter auf das offene Meer hinaus getragen. In der Ferne war die Insel immer kleiner und unschärfer geworden, bis sie schließlich ganz aus ihrem Blick verschwunden war. Soweit das Auge reichte nur noch Wasser. Erschöpft hatte Victoria ihren Kampf gegen die Strömung einstellen müssen. Schweiß war ihr das Gesicht und die Schultern herab geronnen, ihre Arme und Beine hatten geschmerzt. Ihre Kräfte hatten nur noch gereicht, sich über Wasser zu halten und zu hoffen. Zu hoffen, dass die Strömung sie vielleicht zu einer der zahllosen anderen Inseln treiben würde – die Malediven bestanden schließlich aus mehr als tausend davon – oder dass vielleicht ein Schiff vorbeikommen und sie entdecken würde.

 

Und genau so war es dann ja auch gekommen. Plötzlich war eine Motoryacht aufgetaucht, die sich mit hoher Geschwindigkeit in und durch ihr Blickfeld bewegte. Victoria hatte ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, dass sie sich auf sie zu bewegen würde. Und tatsächlich tat sie das auch. Sobald sie schätze, in Sichtweite der Besatzung zu sein, hatte sie mit aller Kraft gewunken und sich die Lunge aus dem Leib geschrieen. Endlich, nach bangen Minuten des Versuchs, auf sich aufmerksam zu machen, war eine Gestalt am Bug der Yacht erschienen und hatte zurück gewunken. Man hatte sie bemerkt!

 

Nun saß sie, erschöpft aber glücklich, auf einer in die Reling eingelassenen Bank am Heck der Yacht, ein Badetuch über ihre Schultern gelegt. Victoria vermochte nicht zu sagen, wie viele Stunden sie zwischen Hoffnung, Panik und Verzweiflung im Meer getrieben war. Dem Sonnenstand nach zu urteilen war es inzwischen wohl längst Nachmittag. Sie hatte ihre Retter nicht nach der Uhrzeit gefragt. Es gab nichts, das ihr in diesen Minuten so egal war wie das. Was allein zählte war, dass sie noch am Leben und in Sicherheit war!

 

Die hübsche Brünette schauderte, als doch wieder der Gedanke daran in ihr hoch kroch, was gewesen wäre, wenn Marek und Julia sie nicht entdeckt und aus dem Wasser gezogen hätten. Irgendwann wäre es unweigerlich Nacht geworden, das hätte sie mit Sicherheit noch erlebt. Aber auch den nächsten Morgen? Oder wäre irgendwann vorher, im Schutze der Dunkelheit, ein Hai – oder gleich ein ganzes Rudel Haie – aufgetaucht, und hätte sich über sie als einen unerwarteten Leckerbissen hergemacht? Wenn sie ertrunken oder verdurstet wäre, dann wäre sie vielleicht irgendwann irgendwo noch an Land gespült worden. Dann hätten ihre Eltern und Verena wenigstens Gewissheit gehabt, was mit ihr passiert war, und sie beerdigen können. Wäre sie jedoch im Magen eines Hais geendet, hätten sie für immer mit der Ungewissheit leben müssen, wären irgendwann zwischen der Akzeptanz des Anzunehmenden und einem letzten Rest von Hoffnung vielleicht wahnsinnig geworden.

 

Victoria verschränkte die Arme unter ihrem Busen und rieb mit den Händen über ihre Oberarme. Das ist doch jetzt ganz egal, ermahnte sie sich. Du bist in Sicherheit, und bald zurück im Hotel, wo du Verena um den Hals fallen und sie anschreien wirst, wie lieb du sie hast. Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an ihre Schwester dachte. Verena hatte es vorgezogen, im Hotel zu bleiben. Sie konnte den Ärger und die Enttäuschung darüber nicht verwinden, dass die Zwillinge sich bei der Buchung ihres gemeinsamen Urlaubs gewissermaßen im Ziel geirrt hatten. Denn die Malediven mit ihrer strengen islamischen Gesetzgebung verboten den beiden ihren liebsten Urlaubsspaß: sich am Strand komplett auszuziehen, auch die Höschen, und die faszinierten Blicke der anderen Strandbesucher auf sich zu ziehen.

 

Jede der beiden für sich war schon ein Hingucker, auch nur im Bikini: fast einen Meter und achtzig groß und schlank, mit blauen Augen, langer brünetter Haarmähne und einem hübschen B-Körbchen. Aber viel lieber noch zeigten sie sich nackt, auch ihre rosig-braunen Brustwarzen, ihre runden Apfelpos und ihre völlig haarlosen Schamlippen. Mit diesem Anblick gleich doppelt beschenkt zu werden, hatte schon so manchen dazu hingerissen, die puritanische Etikette am FKK-Strand zu vergessen, und den Zwillingen ein Kompliment oder gar eine Liebeserklärung zu machen. „Ich glaube, ich bin im Himmel!“, der faszinierte Ausruf eines freundlichen älteren Herrn, war Victorias Favorit. Auch deshalb, weil der tatsächliche Ort wenig Himmlisches an sich hatte – es war die Badestelle an einem Kanal, ihr Bewunderer ging am Ufer mit seinem Hund spazieren, Verena und sie vergnügten sich nackt im Gras.

 

Aber hier mussten die Bikinis ja um Himmels Willen dranbleiben. Beide Teile, nicht mal oben ohne war erlaubt, und eine Zuwiderhandlung hätte die Urlaubskasse rasch geleert. Wenn sie das vorher gewusst, das heißt, wenn sie sich vorher richtig informiert hätten, wären Verena und Victoria natürlich woanders hingeflogen. Aber wer zu spät kommt, den bestraft nun mal das Leben. Und ihre Strafe bestand jetzt eben darin, ihren Urlaub auf einer paradiesischen Insel inmitten des Indischen Ozeans zu verbringen und immer schön darauf zu achten, dass der Bikini ja auch richtig sitzt, um niemanden zu kränken und nicht schlagartig um einige hundert Euro ärmer zu sein. Während Victoria sich eben mit dem Unabänderlichen arrangiert und am ersten Tag nach ihrer Ankunft gleich einen Ausflug zu einem der zahlreichen, herrlich weißen Sandstrände unternommen hatte, hatte Verena es vorgezogen, im Hotel zu bleiben und zu schmollen.

 

Blöde Kuh, dachte Victoria sich, wenn du mitgekommen wärst, wäre das nie passiert. Dabei meinte sie das aber gar nicht böse. Sie konnte Verena nicht böse sein, dazu hatte sie sie einfach viel zu lieb und sowieso schon die meiste Zeit überlegt, was sie tun konnte, um sie wieder etwas aufzumuntern. Notfalls auskitzeln, grinste Victoria in sich hinein, das hat bisher noch immer geholfen.

 

„So, dann komm mal mit!“ Julias fröhliche Stimme holte Victoria aus ihren Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Sie schaute ihre Retterin fragend an, stand dann aber wortlos auf und ging auf sie zu. „Hier entlang“, sagte Julia und deutete auf die Tür zur Kajüte. Victoria verstand zwar nicht ganz, was Julia vorhatte, trat aber wie geheißen durch die Tür und ging eine wenige Stufen tiefe Treppe herab. „Da vorne links die Tür“, hörte sie Julia hinter sich sagen. Sie ging einige Schritte durch einen niedrigen Flur bis zu der Tür, die Julia ihr gewiesen hatte.

 

Sie war oben und unten abgerundet und reichte nicht ganz bis zum Boden, stattdessen musste man einen Schritt über ein ungefähr zwanzig Zentimeter hohes Stück Wand tun. Victoria öffnete sie, späte in den Raum und erblickte eine piekfein eingerichtete kleine Nasszelle. An der linken Wand ein mit dieser verbundenes Regal und eine lange Ablagefläche mit eingelassenem Waschbecken, Schränken darunter und länglichem, ovalem Spiegel darüber. An der der Tür gegenüberliegenden kurzen Wand eine Toilette und eine Duscharmatur mit höhenverstellbarem und abnehmbarem Duschkopf. „Wahrscheinlich nicht so nett wie in deinem Hotel“, schmunzelte Julia, „aber doch immerhin besser als nichts.“

 

Es dauerte einen kurzen Moment, bis Victoria verstand. „Du meinst, ich kann mich hier duschen?“

 

„Ja, genau“, lächelte Julia. „Wir dachten, du warst lange in dem salzigen Wasser, hast bestimmt geschwitzt und dich vielleicht auch ein bisschen unterkühlt. Da möchtest du doch bestimmt erst mal schön heiß Duschen?“

 

„O ja“, seufzte Victoria. Eine heiße Dusche war wirklich genau das, was sie jetzt brauchte.

 

„Ich hab dir hier ein Handtuch hingehängt“, erklärte Julia und deutete auf ein Badetuch an einem Haken neben der Tür. Duschgel und Shampoo findest du in dem Metallkörbchen da an der Wand. „Nur“, sie schaute an Victoria herab und lachte, „trockene Sachen kann ich dir leider nicht leihen.“

 

Victoria lachte mit, denn Julia war bestimmt mehr als zehn Zentimeter kleiner sein als sie. „Macht doch nichts“, sagte sie, „ich nehme eben das Handtuch als Minikleid, oder so.“

 

Auch darüber lachten beide. „Vielleicht finde ich ja bei Mareks Sachen etwas Passendes für dich“, sagte Julia schließlich. Marek wiederum war zwar deutlich größer als Victoria, weit über einsneunzig, aber die Idee schien ihr doch nicht ganz so abwegig.

 

„Gut, dann eben ein T-Shirt als Minikleid“, alberte Victoria weiter.

 

Julia grinste sie noch einmal an, dann wandte sie sich zum Gehen. „Du musst dich übrigens nicht beeilen“, sagte sie noch, „die Dusche läuft mit Meerwasser, das von einer Pumpe angesaugt und durch einen Filter entsalzt wird. Für die richtige Temperatur sorgt auch kein Boiler, sondern ein Durchlauferhitzer.

 

„Wow“, entfuhr es Victoria. Das war ja mal richtig komfortabel.

 

„Ich wünsch dir ganz viel Spaß!“, lächelte Julia und deutete mit einer Hand ein Winken an. Dann ließ sie Victoria allein und schloss die Tür hinter sich.

 

Victoria ging zur Duscharmatur, drehte das Wasser auf, schob den Regler langsam immer weiter in den roten Bereich und prüfte die Temperatur mit ihren Handinnenflächen. Nach einem kurzen Moment wurde es tatsächlich wunderbar heiß. Sie trat einen kleinen Schritt zurück und griff hinter ihren Rücken, um den Verschluss ihres Bikinioberteils zu öffnen. Doch dann zögerte sie. Irgendetwas hielt sie davon ab,  einfach ihren Bikini auszuziehen und sich nackt unter die heißen Wasserstrahlen zu stellen. Es war so ein seltsames Gefühl, das in ihrem Bauch rumorte und sie scheinbar warnen wollte. Aber wovor?

 

Vorsichtig beäugte Victoria den kleinen Raum. Er mochte vielleicht vier Quadratmeter groß sein, mit etwas erhöhter Tür, da der Betrieb der Duscharmatur nach einer Weile mehr oder weniger den ganzen Boden mit Wasser bedecken würde. Der einzige Abfluss befand sich direkt neben ihr, an der Wand. Ein Bullauge gab es nicht, und die Tür war geschlossen. Sie war doch eigentlich völlig ungestört und unbeobachtet?

 

Und überhaupt, seit wann schämte sie sich, nackt zu sein? Das hatte sie dank Verena doch nicht nur lange überwunden, sondern sogar ganz und gar in sein Gegenteil verkehrt? Früher, noch bis nach Abschluss ihrer Pubertät, hatte es eigentlich nur zwei Dinge gegeben, die Victoria hasste: ihren Körper und ihre Schwester. Erst kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag hatten die Schwestern plötzlich ihre Verbundenheit und tiefe Zuneigung zueinander entdeckt, als sie eines Abends während eines stürmischen Herbstgewitters allein zu Hause gewesen waren, und eine völlig verängstigte Verena zu Victoria ins Bett gekrochen gekommen war und sich wimmernd an sie angeschmiegt hatte. Seitdem waren sie unzertrennlich, und so ziemlich als erstes natürlich sehr neugierig auf den Körper der jeweils anderen gewesen, der irgendwie ja der eigene war, irgendwie aber auch fremd.

 

Die schüchterne, selbstkritische Victoria war fasziniert gewesen, als sie erstmals seit vielen Jahren wieder den nackten Körper ihrer Schwester sah. Und die selbstbewusste, lebenslustige Verena war amüsiert gewesen, was Victoria alles an ihrem eigenen Körper auszusetzen hatte, und dass sie sie soviel hübscher fand als sich selbst. „Schau mal“, waren ihre Worte gewesen, als die Schwestern Arm in Arm nackt vor einem Ankleidespiegel standen, „wir sind überhaupt nicht zu unterscheiden!“ Und das stimmte. Nicht nur Verena hatte einen von Kopf bis Fuß makellosen und wunderschönen Körper, sondern auch sie selbst. So kam es, dass Verena ihre Schwester auch schnell mit dem Spaß, den sie daran hatte, nackt zu sein, ansteckte.

 

Was also war jetzt ihr Problem? Noch immer schaute Victoria sich verunsichert im Raum um, und wusste einfach keine Antwort auf diese Frage. Sie wusste nur, irgendwie mochte sie sich hier und jetzt nicht nackt ausziehen, um eine Dusche zu nehmen. Aber warum nicht?

 

Es dämmerte ihr nur sehr langsam. Es war nicht etwa einfach nur die fremde Atmosphäre in der Nasszelle der Yacht, die sie verunsicherte. Die allein hätte natürlich schon gereicht, um sich seltsam und verunsichert zu fühlen. Aber da war noch mehr. Es war ihre gesamte Situation, in der sie sich alles andere als sicher und geborgen fühlte. Sie war ganz allein mit einem ihr völlig fremden Pärchen auf deren Boot, irgendwo auf dem Indischen Ozean. Sie hatte keinerlei Anhaltspunkt oder Vorstellung, wo genau, und niemand wusste, dass sie hier war. So nett Marek und Julia auch waren, und auch wenn sie ihr sehr wahrscheinlich das Leben gerettet hatten, befand sie sich jetzt doch in ihrer Hand.

 

Das hier war etwas anderes, als bei Freunden zu duschen. Es war auch etwas anderes, als einfach nur bei Fremden zu duschen, wie und warum das auch immer notwendig geworden sein sollte. Jetzt den Bikini auszuziehen hieße, in einer für sie überhaupt nicht kontrollierbaren Situation nackt zu sein. Egal wie gerne sie eigentlich nackt war, Victoria hatte nie vergessen oder verdrängt, wie verletzlich man ist, wenn man nackt ist. Ihr Bikini war so ziemlich das Einzige, das sie im Moment unter ihrer Kontrolle hatte. Alles andere lag an Marek und Julia. In dieser für sie sowieso schon genug unangenehmen Situation wollte sie sich jetzt wirklich nicht auch noch nackt ausziehen. Ihr Bikini war quasi alles, was sie im Moment noch hatte, und der würde dranbleiben!

 

Überhaupt, wunderte Victoria sich, was sollte es eigentlich, sie hier als erstes unter die Dusche zu schicken? Eine etwas seltsame Form der Hilfsbereitschaft, fand sie. Nachdem Marek ihr an Bord geholfen hatte, hatte er sie auf eine in die Reling eingelassene Bank gesetzt und ein Handtuch für sie geholt. Julia hatte unterdessen ihren Puls und ihre Temperatur gefühlt und sie auf Englisch gefragt, ob sie diese Sprache verstünde. Victoria hatte das bejaht, und Julia sie gefragt, wo sie herkam. Als sie das mit: „Germany“, beantwortet hatte, hatte Julia gelacht und sich und Marek ebenfalls als Deutsche zu erkennen gegeben und vorgestellt. Auch Victoria hatte ihren Vornamen genannt. Weder Julia noch Marek, als er mit Handtuch wieder zurückgekommen war und es ihr über die Schultern gelegt hatte, hatten sie gefragt, wo sie denn ins Wasser gegangen war oder in welchem Hotel sie wohnte.

 

Marek war gleich wortlos wieder verschwunden, und Julia hatte ihr nur lächelnd gesagt: „Ich komme gleich wieder zu dir, dauert nicht lange.“ Dann war auch sie in der Kajüte verschwunden. Nachdem sie dann wiedergekommen war, hatte sie sie gleich aufgefordert, mitzukommen, und hier her geführt – zum Duschen. Ziemlich seltsam, fand Victoria. Ihre ganzen Sachen – ihre Kleidung, ihr Handy, ihr Hotelschlüssel – lagen noch immer irgendwo an einem Strand herum. Das hätten sich die beiden wohl ebenso denken können, wie das irgendwo vielleicht schon jemand auf sie wartete. Aber das scheinbar Wichtigste für die beiden war, sie erst mal unter die Dusche zu schicken? Hier, auf einem wildfremden Boot, allein mit wildfremden Leuten? Was glaubten die denn eigentlich? Dass sie so gar kein Schamgefühl hatte?

 

Julias Worte echoten durch Victorias Kopf: „Wir dachten, du warst lange in dem salzigen Wasser, hast bestimmt geschwitzt und dich vielleicht auch ein bisschen unterkühlt. Da möchtest du doch bestimmt erst mal schön heiß Duschen?“ Eigentlich klang das irgendwie auch wieder – nahe liegend. Gar nicht mal unvernünftig. Alle anderen Probleme konnte sie aktuell sowieso noch nicht lösen: wieder an Land, musste sie sehen, wie sie zum Hotel zurückkam. Und irgendwie noch mal an den Strand, wo sie heute ins Wasser gegangen war. Um zu sehen, ob ihre Sachen noch da waren. Wenn nicht, musste sie herausfinden, ob und wo sie vielleicht irgendwo abgegeben worden waren.

 

Victoria befühlte mit den Fingerspitzen ihren Bikini. Er klebte klatschnass auf ihrer Haut, scheuerte an ihren Brustwarzen und im Schritt. Sie fröstelte ein wenig. Eine heiße Dusche würde ihr ja in der Tat mehr als gut tun. Und die konnte sie jetzt nehmen. Für den Moment war es wirklich das Beste, das Marek und Julia für sie tun konnten. Und das Sinnvollste, das sie jetzt erst mal tun konnte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Na los, dachte sie, je eher du anfängst, desto eher hast du es hinter dir. Mit einem immer noch skeptischen Gefühl öffnete sie den Verschluss, ließ die Träger von ihren Schultern gleiten und ihr Bikinioberteil zu Boden fallen, zog dann auch ihr Bikiniunterteil herunter und stieg hinaus. Sie schaute kurz auf ihren nackten Körper herab, dann stellte sie sich unter die heißen Wasserstrahlen.

 

Irgendwie fühlte es sich aufregend an, dachte Victoria. Obwohl sie schon die ganze Zeit über barfuß gewesen war, fühlte sie erst jetzt bewusst den mit einem dünnen Wasserfilm bedeckten, gegen das ausrutschen leicht genoppten Boden unter ihren nackten Füßen. Das kochend heiße Wasser rieselte auf ihre Schultern herab und rann von ihnen herunter. Ihre Brustwarzen brannten darunter, doch es war ein lustvoller Schmerz. Sie schloss die Augen und gab sich ganz diesem erregenden Gefühl hin, dem heißen Wasser auf ihrer Haut – und ihrer Nacktheit. Ihrer Nacktheit in der Nasszelle eines völlig fremden Bootes, irgendwo auf dem Indischen Ozean.

 

Es klopfte an der Tür. „Ja?“ rief Victoria.

 

„Ich bin’s, Julia“, antwortete Julia rufend durch die Tür. „Ich wollte dir nur sagen, ich habe was zum Anziehen für dich gefunden. Ich leg es dir hier vor die Tür!“

 

Victoria schaute auf ihren Bikini, der nass und verdreht auf dem Boden lag. Dann drehte sie sich um, zur Wand, und rief zurück: „Komm ruhig rein!“

 

„Ist die Tür offen?“ fragte Julia, offenbar etwas verwundert.

 

„Ja?!“ antwortete Victoria ebenfalls etwas verwundert, fast fragend. Sie legte einen Arm über ihren Busen und drehte ihren Oberkörper halb der Tür zu.

 

Julia öffnete die Tür und trat ein. Sie lächelte etwas verlegen, als sie Victoria anschaute, und wedelte ihr mit einem kleinen Textilbündel zu. „Das sind Bermudas und ein T-Shirt von Marek. Beides zu groß für dich, aber die Hosen haben ein Bändchen zum zusammenziehen, das sollte gehen. Ich leg sie dir hier hin.“ Sie deutete auf die Ablage an der Wand, in die das Waschbecken eingelassen war.

 

Victoria feixte innerlich, während sie Julia ansah. Ihre Beklommenheit angesichts ihrer Situation war wie verflogen. Sie konnte nicht anders, als sich in Julias Lage zu versetzen und vorzustellen, es wäre ihre Schwester Verena, die sie hier so stehen sah. Wann immer Victoria sich der Wirkung ihrer körperlichen Erscheinung versichern wollte, dachte sie an Verena – und dass sie tatsächlich genauso aussah wie sie, auch wenn sie das immer noch nicht hundertprozentig verinnerlicht hatte.

 

Na, fragte Victoria sich, was denkst du wohl gerade? Das hübsche Mädchen, das ihr aus dem Wasser gezogen hat, steht hier splitternackt! Und du versuchst mit aller Kraft, ihr nicht auf den Po zu starren. Victoria schmunzelte selbstvergessen in sich hinein. Und ihre Vorstellung, Julia zu sein und Verena hier so stehen zu sehen, verleitete sie dazu, noch ein kleines Wagnis draufzusetzen.

 

„Wärst du so lieb“, flötete sie, „meinen Bikini vielleicht schon mal zum Trocknen aufzuhängen?“

 

„Ja, klar“, lächelte Julia nervös und schaute auf Victorias Bikini, der nur ein kleines Stück neben deren Füßen lag.

 

„Danke“, sagte Victoria, während sie langsam in die Hocke ging und dabei den Arm von ihrem Busen nahm, so dass Julia ihn nun zumindest seitlich sehen konnte. Sie hob ihren Bikini auf, wrang ihn kurz aus und wandte sich Julia dann ganz zu, die sie nun komplett und von vorn sehen konnte. „Hier“, sagte Victoria lächelnd und gab Julia beide Bikiniteile in die Hand.

 

„Danke“, erwiderte Julia. Victoria spürte, wie ein kurzer, unauffälliger Blick Julias an ihrem Körper herabwanderte, von ihrem Schlüsselbein bis zu ihren Füßen. Sie ließ sie gewähren, dann drehte sie ihr wieder den Rücken zu.

 

„Brauchst du noch einen Moment?“ fragte Julia im Gehen.

 

„Ja, denke schon“, antwortete Victoria, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

„Kein Problem“, sagte Julia freundlich, inzwischen wieder an der Tür angekommen, „lass dir ruhig Zeit.“ Sie wollte gerade durch die Tür gehen, da fiel ihr noch etwas ein. „Ach so, das hatte ich ganz vergessen zu sagen: du kannst die Tür von innen natürlich auch verriegeln“, zwinkerte sie.

 

„Ah, okay“, grinste Victoria, während sie sich mit dem Oberkörper noch einmal halb herumdrehte und Julia dabei einen letzten kurzen Blick seitlich auf ihren Busen gewährte. Dann ließ Julia sie wieder allein.

 

Langsam ließ Victoria eine große Menge Cremedusche in ihre Handfläche laufen, während sie noch immer über die letzten Minuten nachdachte. Im Prinzip, befand sie, war es für die beiden doch eine genauso komische Situation wie für sie – jetzt hatten sie plötzlich eine völlig Fremde an Bord, die nackt unter ihrer Dusche stand. Wie würde sie sich an Mareks und Julias Stelle eigentlich dabei fühlen? Und wie hätte sie sich insbesondere an Julias Stelle gerade gefühlt?

 

Ach, eigentlich war ihr das jetzt auch egal. Dafür war der Moment einfach zu schön, und sie wollte ihn ungestört genießen. Zurück an Land würden noch genug Probleme auf sie warten, aber jetzt konnte sie sich erst mal noch richtig schön entspannen.

 

Sie schaute zur Tür, die sie nach Julias Hinweis inzwischen doch noch verriegelt hatte, dann auf den abnehmbaren Duschkopf, an dem man durch Drehen sogar die Härte der Wasserstrahlen einstellen konnte, dann an sich herab auf ihren Intimbereich. Richtig schön entspannen, dachte Victoria und seufzte glücklich…

 

- Ende -


Kommentare

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