Scheißtag II


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02.07.2010
Schamsituation

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Sabine hatte keine Ahnung, wie lange es jetzt schon her war; in den letzten Tagen hatte sie irgendwie den Überblick über die Uhrzeit verloren.

Sie konnte sich aber noch allzugut daran erinnern, wie dieses Schlamassel über sie und die ganze Stadt - vielleicht sogar die ganze Welt? - hereingebrochen war. Irgendetwas war gewaltig schiefgelaufen und seither irrte sie ziellos durch die Landschaft und achtete darauf, daß sie niemand von den anderen entdeckte. Dadurch, daß sie relativ schnell geschaltet hatte, konnte sie sich in der allgemeinen Verwirrung aus den rasch verwitternden Überresten der Stadt retten, ohne daß es zu unangenehmen Begegnungen kam, und hier etwas Außerhalb gab es genügend Büsche, die sie als Deckung nutzen konnte, sobald sich jemand näherte. Sie zog es ohnehin vor, sich bei Nacht fortzubewegen, immer in der Hoffnung, auf eine Straße oder ein Haus zu treffen. Aber bisher sah es so aus, als ob tatsächlich die Zivilisation den Bach runter wäre.

Sabine blickte in den Sternenhimmel. Konnte das sein? Das sah doch tatsächlich aus wie... Kondensstreifen! Da oben war ein Flugzeug, sie konnte es sogar blinken sehen! "Yeah!" entwich es ihr, sie machte einen Freudensprung, die Welt war immerhin nicht komplett untergegangen!

Gleich darauf sah sie sich ängstlich um, zwang sich zur Ruhe. Schließlich wollte sie nicht im Angesicht der möglichen Rettung im Harem eines dieser Neandertaler enden. Eine Hand presste sich auf ihren Mund, sie wurde herumgeworfen, ein heißer Körper drückte sie ins Graß. Eine Frauenstimme flüsterte ihr ins Ohr: "Ganz ruhig, ich tu' dir nichts."

--

Monika war es gelungen, in der Höhle ein kleines Feuer zu machen. Carmen kuschelte sich an sie und auch Sabine war sichtlich begeistert, wieder ein wenig mehr Behaglichkeit als unter freiem Himmel geboten zu bekommen. "Ein Cheeseburger wäre jetzt nicht schlecht, danach ausschlafen und morgen früh ne Dusche." Carmen grinste, aber Monika blieb schweigsam. "Das war ein Flugzeug da oben," begann sie, "das ist ein gutes Zeichen, aber warum sind nicht schon lange Rettungsmannschaften im Einsatz?" - "Vielleicht sind die schon im Einsatz und wir sind zu weit aufs Land rausgeflüchtet..." meinte Carmen. "Jedenfalls ist nicht alles im Eimer - wenn wir jetzt noch irgendwie an was ordentliches zu Essen kommen, gehts mir wieder blendend. Diese Wurzeln und Beeren hält auf Dauer doch kein Mensch aus." - "Ich schlage jedenfalls vor, daß wir weiter nach Westen gehen, so wie die letzten zwei Tage." "Zwei Tage!" unterbrach Sabine, "diese Scheiße ist erst zwei Tage her? Es kommt mir vor wie Wochen, daß ich nackt durch die Wildnis stolpere." "Na du hast Glück, daß du über uns gestolpert bist, dein süßer Arsch würde sicher auch so einem King Kong gefallen.Ich schlage vor, du bleibst bei uns, bis wir auf Zeichen von Zivilisation stoßen, okay."


Es war seltsam, zum ersten Mal fühlte sich Sabine wieder geborgen und wie die Herrin der Lage. Sie hatte jetzt ein konkretes Ziel vor Augen und zwei recht selbstbewußte Gefährtinnen gefunden - es hatte den Anschein, als wäre den beiden ihre vertrackte Situation recht gleichgültig oder zumindest eher eine Art sportlicher Herausforderung, nicht einmal ihre Nacktheit schien ein Problem zu sein. Für Sabine hingegen war diese Situation das schlimmste gewesen, das sie sich vorstellen konnte. Sie fröstelte leicht, als sich die Erinnerung aufdrängte. Sie zog die Beine an sich und kuschelte sich etwas näher ans Feuer. Nie würde sie den Anblick vergessen, als sie aus der U-Bahnstation kam.

Sie war eigentlich gerade verärgert, weil sich an ihrem Flip-Flop der Riemen gelöst hatte - nach gerade mal zwei Tagen! Der Schuh purzelte die Treppe hinunter, aber ihr "verdammt!" blieb ihr im Halse stecken. Die Innenstadt sah aus, wie nach einem Atomschlag. Die Häuser halb zerfallen, die Straßen voller liegengebliebener Autowracks, dazwischen verdutzte Menschen, die nicht aussahen, als ob sie wüßten, was da gerade passierte. Von Linda, mit der sie sich zum Shopping verabredet hatte, fehlte jede Spur. Sie zückte ihr Handy, doch das Ding war nur noch Schrott, so wie der Rest ihres Handtascheninhalts, der gerade munter auf die Straße purzelte. Verdattert blickte sie auf den Henkel in ihrer Hand - die Tasche war wohl ein Fall für die Mülltonne. Sie bückte sich, um zuallererst ihre Geldbörse wieder in Sicherheit zu bringen, aber es war entsetzlich: das Ding zerfiel in einige Lederstreifen, ein wenig vergilbtes Papier, etwas Karton und Plastik war alles, was sie retten konnte. Auf ihrem Personalausweis sah sie ihr immer etwas ernstes, klassisches Gesicht mit den streng zusammengebundenen schwarzen Haaren, das rasch verblasste. Was immer hier passierte, es machte ihr Angst. Ihr Geld, jetzt sogar ihre Identität, hatten sich aufgelöst. Was sollte sie denn jetzt machen, ohne Führerschein oder EC-Karte? Ohne Hausschlüssel?

Da bemerkte sie, daß es noch nicht zu Ende war. Ein Mann in halbzerrissenen Hosen hastete vorbei, einer Frau fielen die Brüste aus dem Top, eine andere hielt krampfhaft einige Lumpenreste fest an den Körper gepresst. Oh Nein! Sabine war zwar gut gebaut, schlank und sportlich, aber sie war schüchtern! Und sie bemerkte, daß auch ihre Kleidungsstücke inzwischen nicht mehr vertrauenerweckend aussahen. Die Haare fielen ihr in die Stirn, also musste sich der Haargummi verabschiedet haben. Vorsichtig erhob sie sich wieder aus der Hocke, das Zeug aus ihrer Tasche war nicht mehr zu gebrauchen - sie musste weg! Irgendwohin, wo es keine anderen Leute gab! Sie wollte die nicht nackt sehen und sie wollte vor allem selbst nicht gesehen werden. Der linke Träger von ihrem Top löste sich, von ihren Blue-Jeans war das linke Bein völlig ausgefasert. Der andere Flip-Flop war auch nicht mehr zu gebrauchen. Sie huschte vorbei an Menschen in verschiedenen Zuständen der Verwarlosung. Ein Banker, der die Reste seines Anzugs zusammenhielt. Eine Punkerin, der die Farbe aus den Haaren auf die nackten Brüste troff, wo sich die Verschlüsse der Nippel-Piercings öffneten. Ein nackter Hippie mit Vollbart, wer weiß wie der noch vor ein paar Minuten rumgelaufen war. Sabine begann zu rennen. Eine Frau hatte die Reste eines Sommerkleides um die Hüfte hängen und betrachtete betroffen die dichten Haare in ihrer Achselhöhle. Sabine rannte und rannte immer vorbei an diesen nackten, behaarten Steinzeitmenschen. Doch ihr Rennen half nichts, auch für sie war keine Ausnahme vorgesehen.

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Sie war kurz eingenickt und schreckte nun hoch. Das Feuer war beinahe heruntergebrannt. Ihre neuen Bekannten hatten sich in eine dunkle Ecke zurückgezogen, verhaltenes Stöhnen drang zu ihr herüber. Im schummrigen Licht konnte sie nicht viel erkennen, aber die Bewegungen waren doch eindeutig. Irgendwie erregte sie das, vor allem die blonde Monika war eine interessante Frau, ziemlich direkt und kurz angebunden. Wie die wohl früher ausgesehen hat? Sabine konnte sich bei ihr eigentlich gar keinen besseren Look vorstellen. Monika mit Kleidung, das wäre ja beinahe gefrevelt. Ob Monika über sie wohl auch so dachte? Grübelnd schlief sie wieder ein...


Kommentare

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