Der Pheromontransfer


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18.08.2009
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Der Pheromontransfer

oder

Über die Chancen der Wissenschaftler beim anderen Geschlecht

 

Hallo, mein Name ist Konrad, ich bin 16 Jahre alt und gehe aufs Gymnasium, 10. Klasse, seitdem die Schule wieder begonnen hat, vor einer Woche. Mich zu beschreiben ist mir eigentlich peinlich. Ich bin ca. 1,85 m groß, ziemlich pickelig, habe straßenköterblonde Haare, die durch einen Pisspottschnitt von meiner Mutter auch nicht positiv zur Geltung kommen. Am meisten nervt mich mein Nasenfahrrad, welches mir nach Meinung meiner Mutter, die mir das Modell ausgesucht hat, ein markantes Aussehen verleiht. In Wirklichkeit handelt es sich um ein grottenhässliches Kassengestell. Mit Kontaktlinsen habe ich es auch schon versucht, aber es fühlte sich an, als wenn meine Augen ausbrennen würden.

Mit meinen Klassenmitinsassen hält sich der Kontakt in sehr engen Grenzen. Die betrachten mich nur als den Oberlosertyp und ich bin denen sowieso viel zu uncool. Ich habe nur einen einzigen Freund, aber mit dem bin ich ziemlich dicke, das ist der Freddie. Der ist genauso alt wie ich und sieht auch fast genauso aus wie ich, trägt aber im Gegensatz zu mir keine Zahnspange, wodurch seine Zähne schief und krumm stehen. Außerdem ist er noch ein paar Dioptrien kurzsichtiger als ich. Er hat aber wirklich was auf dem Kasten. Wir gingen noch zusammen in die fünfte Klasse, aber inzwischen hat er zwei Klassen übersprungen und macht nächstes Jahr Abitur und das mit 16! Natürlich ist er auch überhaupt nicht beliebt bei den anderen. Die betrachten ihn nur als Streber. In unserer Freizeit basteln wir meistens an chemischen oder biochemischen Experimenten und sind dann ganz in unserer Welt.

Tja, und diese Welt hat seit ein paar Tagen einen Knacks bekommen. Das ich mit bei den Tussen in unserer Klasse keinen Stich bekommen habe, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Es war mir bei den Ziegen auch immer ziemlich wurscht. Aber seit Beginn des neuen Schuljahres tauchte sie neu in unserer Klasse auf, Jana. Diese schönen langen blonden Haare, dieser süße Mund und diese Sommersprossen auf ihrer urlaubsgebräunten Haut. Dieses Stupsnässchen und diese hammermäßigen strahlenden blauen Augen. Ich habe gar nicht den Mund zu bekommen, als ich sie zum ersten Mal zur Tür habe reinkommen sehen, was sie zum Glück nicht mitbekam, weil sie mich leider gar nicht beachtet hat. Und dazu noch dieser üppige Busen und diese geilen weiblichen Rundungen. Sie ist zumindest kein Hungerhaken.

Aber natürlich beachtet sie mich gar nicht, die anderen Jungs in der Klasse übrigens auch nicht, bis auf einen, und das ist natürlich wieder dieser Marcus. Dieser Marcus, auf den praktisch alle Mädchen aus der Klasse stehen, und ich möchte nicht wissen, wie viele von denen schon etwas mit dem gehabt haben. Ich weiß nicht, was die an den finden. Der hat zwar Muckis, gibt sich cool, obwohl ich ihn eher primitiv finde. Aber der läuft mit so einem Ballon vor sich her, so klasse findet der sich. Und nicht nur er. Das Klima bei uns ist schlecht, weil die Weiber sich gegenseitig belauern, und seine Freundin, die er zur Zeit hat, lässt ihn nicht für fünf Minuten aus den Augen. Die Jungs, außer seinen Kumpels, sind genervt wegen dem Kult um ihn.

Seine Freundin hat sich schon mit Jana wegen ihm angezickt. Aber die süße Jana hat es sowieso schwer, sie kam in ihrer alten Schule mit den Lehrern nicht zurecht, ist sitzen geblieben und hat bei uns auch wohl noch nicht so richtig den Anschluss gefunden. Na ja, ich wäre ja bei ihr zum ersten Mal überhaupt zu allem bereit, aber zu ihr hingehen und mich vor der Klasse zum Deppen machen, lass ich schön bleiben.

Heute mal was anderes. Meine Kusine Britta aus Norddeutschland ist für ein paar Tage zu Besuch. Sie hat nämlich noch eine Woche länger Ferien als wir. Sie ist genauso alt wie ich und wir haben uns seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Aber meine Güte, hat die sich gemacht. Wirklich hübsches Gesicht mit dunklen Haaren und toller Figur. Die wird wohl keine Probleme haben, einen Freund zu finden. Und da es noch ziemlich warm ist, trägt sie ein Top und eine kurze enge Hose, wodurch ihre schlanke Figur noch offensichtlicher wird. Eigentlich so ein richtiges In-Girl. Vielleicht kann ich mit ihr ein bisschen Spaß haben und mich so von Jana ablenken.

Aber dazu gehört noch mein Freund Freddie. Er muss auch mal Britta kennen lernen. Vielleicht ändert er dann seine Egal-Meinung gegenüber Mädchen. Ich rufe ihn an: "Fred, meine Kusine Britta ist hier. Will dich unbedingt mal kennen lernen. Wann und wo sind wir heute?" Er: "Hi, Konn, bin mit Zeit heute short. Bei Brüderchen muss noch diese Woche Deckel rauf auf die Diss. Kriegt Anfang Sept wohl schon Postdoc in Palo Alto. Muss noch paar Preps zum Laufen bringen. Bin in halber Stunde im Lab." "Nee, ist ja geil, in der Uni. Na, dann bring ich Britta mit." "Wen?" "Britta, meine Kusine, hab ich dir doch eben gesagt." "Ach…, ja, dann bring Kussi mit." Diss = Dissertation, Postdoc = Forschungsprojekt nach Dissertation, Preps = Präparate, Lab = Labor

Freddie hat eine Art sich mitzuteilen, die nicht unbedingt bei jedem ankommt. Jedes Wort mit mehr als zwei Silben empfindet er schon als Zeitverschwendung, außer vielleicht das Wort "Brüderchen". Personalpronomen und Artikel vermeidet er auch nach Möglichkeit. Viel reden mit anderen außer mir, empfindet er sowieso als überflüssig. Er schafft lieber was, wie hier für Brüderchen. Brüderchen ist übrigens fünf Jahre älter, also 21, heißt Martin und ist auch so ein Überflieger wie er. Hat mit 16 Abitur gemacht und ist gleich wegen seiner Maulwurfaugen, die eine Familienkrankheit zu sein scheinen, bei der Bundeswehr ausgemustert worden. Nach drei Jahren Studium der Biochemie, also vier Jahre kürzer als normal, schreibt er seine Doktorarbeit bei dem berühmten Professor Fleckenfeld über eine bestimmte Art von Proteinsynthesen. Dafür waren bis jetzt viele chemische Experimente nötig, mit denen sich Freddie auch befasst hat.

Wir nehmen die U-Bahn. Britta ist von diesem Trip wohl nicht wirklich begeistert. "Sag mal, wo geht man denn hier abends so hin?" Jetzt hat sie mich natürlich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich gehe abends nie weg. "Weißt du, hier ist das nicht so cool, lohnt sich alles nicht so richtig. Wir können ja mal sehen, ob wir mit Freddie uns irgendwo was essensmäßig reinziehen." "Hmm, da hatte ich was ganz anderes gelesen. Das Nachtleben soll doch hier so scharf sein." "Ja, vor ein paar Jahren, aber das hat sich gelegt." Bevor diese Debatte weitergeht sind wir zum Glück an der Uni angekommen und gehen gleich in den Labortrakt der Biochemischen Fakultät. Das Labor von Brüderchen kenne ich noch von vorigen Besuchen.

Nein, hätte er sich nicht mal was anderes anziehen können. Freddie trägt wieder eine versparkte, viel zu weite Hose und ein Hemd, an dem ein paar Knöpfe fehlen.. Die restlichen sind auch noch falsch geknöpft und nur eine Hälfte des Hemdes hat er in die Hose gesteckt. Und seine blöde Brille, auf die er sich vor zwei Wochen draufgesetzt hat, hat er immer noch nicht reparieren lassen. Der eine Bügel ist irgendwie mit Leukoplast am Rahmen befestigt und reicht zum Teil über das Glas. Wie er damit richtig sehen kann, würde ich gerne mal wissen.

"Hi, allerseits. Tja mal wieder News. Postdoc hat sich heutmorgen ergeben. Wenn Brüderchen nicht ganz blöd ist, kommt ein Jahr später Hab, auch in Palo Alto. Ganz gut, kann er in Amiland seine Bücher und Pizzschachteln im Flat verteilen und nicht mehr bei uns. Muss jetzt aber Gang reinlegen, kriegt er nicht mehr gebacken ohne mich." "Wieso, er hat doch Zeit bis Ende August, noch zwei Wochen?" werfe ich ein. "Chef sagt Deadline ist in einer Woche. Chef ist Faulsack, bebrütet den Kram sechs Tage und zieht sich alles in ein paar Stunden rein und lässt dann noch Senf ab. Dann muss es in paar Stunden noch umgestrickt werden." Hab = Habilitation

Britta ist ganz verwirrt von all den Eindrücken: "Diese ganzen Labore gehören zu dem Arbeitskreis von diesem berühmten Professor Fleckenfeld?" macht sie auf höflich. "Sagt der nix, wenn du hier arbeitest und sagt der nix, wenn wir hier sind?" "Fleck ist das alles wumpe. Tingelt Woche eh auf Tagung. Außerdem ist ihm wurscht, wie Results kommen, Hauptsache er hat was auf dem Teller für seine Kolls." "Und du arbeitest wirklich an der Doktorarbeit deines Bruders?" Brittas Verwirrung steigert sich. Kolls = Professorenkollegen

"Ist nur Push über Ziellinie. Alles schon in Pipeline. Fahr nur noch fünf Sequis, drei davon sind Easykram, zwei etwas hakelig, da brauch ich Impro." Britta verzieht das Gesicht: "Wie bitte?" "Naja, und Wahrheit ist auf Papier. Brüderchen strickt jetzt zuhause an Results and Disk, Specs eindosen. Und die englische Intro und Summ hab ich auch an der Backe. Das muss ein bisschen was hermachen, bei den Amis isst das Auge mit… Ach, Konn, schreibst mal die deutsch Intro und Summ. Tätst mir sehr helfen. Kriegst seine Dipl und was Lit mit. Aber soll nicht so aufreibend sein, bisschen wie BLÖD-Zeitung. Co-Ref liest eh nur Anfang und Ende und rafft Topic sowieso kaum. Ist auch besser so." Sequis = Sequenzen, Impro = Improvisation, Results and Disk = Ergebnisse und Diskussion, Specs = Spektren, Intro und Summ = Introduction and Summary = Einführung und Zusammenfassung, Dipl = Diplomarbeit; Lit = Literatur Co-Ref = Korreferent, Topic = Thema

Britta ist jetzt völlig baff. Freddie bereitet ein neues Experiment für die Peptidsynthesesäule vor. "Kussi, machst mir mal fünfnull Alk-abs in die RGs mit den AS." Wendet er sich an sie. Ich übersetze schnell: "Britta, nimm mal bitte die Flasche mit dem absoluten Alkohol und gib jeweils fünf Milliliter in die Reagenzgläser mit den Aminosäuren." Dieser Art der Anweisungen kann ich mühelos folgen, aber wieso nennt er meine Kusine Kussi? Hat er eigentlich vergessen, dass sie meine Kusine ist und nicht seine? Fängt langsam bei ihm so schon die Zerstreutheit an? Sie holt brav einen Messzylinder und die Flasche mit dem Alkohol.

"Sag mal, wieso lässt Fleckenfeld ihn schon gehen? So einen kriegt er doch nicht wieder?" will ich auch wissen. "Fleck kriegt BAT 2 für ihn nicht auf Reihe. War schon letztes Semester nur Notnagel-Assi für Studies. Haben bei ihm aber nix gescheckt, alles eher Kindergartenlevel. Wollen wohl lieber Sesamstraßenniveau in Semis, also ist er dafür schon mal out. Außerdem hat Chef Kanal voll wegen Disks mit ihm. Wenn Brüderchen nach Palo geht, kann Chef sich das auch an Hut machen.". BAT 2 = Bundesarbeitstarifanstellung Besoldung Stufe 2, Semis = Seminare

Er wirft kurz einen Blick auf die Arbeit von Britta: "Machst mal nicht mit Messzi, Kussi, nimmst mal lieber Pipp." Jetzt verfinstert sich Brittas Miene: "Mein Name ist übrigens Britta." "Auch gut, aber weißt, Brittchen, sind hier nicht bei Bio´s Mansch- und Pansch-Studio. Pütscherst zwar hier im Low Tech Part, aber Science muss wie Science."

Britta sagt gar nichts mehr, aber innerlich scheint sie zu kochen. Ich nehme ihr den Messzylinder ab und fülle schnell mit einer Pipette die Reagenzgläser auf. "Äh, Britta wollte noch was essen, ich glaub wir müssen gleich mal los." "Hab noch Pizzrest von Brüderchen da. Nicht älter als letzte Woche. Liegt irgendwo in Kühli." "Nee, ich glaub, sie will was richtiges." "Auch gut, nimmst denn noch Lit mit. Dipl schieb ich dir gleich in Mail." Er drückt mir ein paar Kopien in die Hand, Britta verabschiedet sich sehr kurz von ihm und wir verlassen schnell die Uni.

Während der U-Bahnfahrt schweigen wir uns an. Ich spüre nichts gutes und gucke häufig aus dem Fenster. Dann merke ich, wie sie mich von oben bis unten mustert: "Sag mal, äh, hast du eigentlich noch andere Bekannte?" "Na, nicht mehr so viele. Brauch ich auch nicht. Der Freddie ist ja auch ein klasse Kumpel." "Sag mal, das darf ja wohl nicht wahr sein. Dieser grottige Oberspacken hat ja wohl einen Vollschuss!!! Ich will ja erst gar nichts dazu sagen, wie er aussieht. Vielleicht kann er da nichts dafür, aber er spricht doch wie ein Dreijähriger und kommt sich aber megatoll vor, wenn er seine Fachausdrücke und die Halbwörter benutzt, die keiner außer ihm versteht. Außerdem behandelt er mich, also Kussi oder Brittchen, wie einen Obertrottel und denkt alle anderen, außer ihm und vielleicht noch Brüderchen, sind völlig unterbelichtet. Wenn ich was nicht ab kann, sind das diese Oberangeber, die sich so toll finden und die die Gefühle der Umwelt völlig ignorieren. Interessiert der sich eigentlich nur für so einen Laborkram und für nichts anderes?"

"Oh, dass würde ich nicht sagen. Biochemie mag er gerne, aber das Fach findet er schon ein bisschen ausgelatscht. Ich glaube eher, dass er aber doch eher Atomphysiker wird, das findet er wohl noch spannender. Ahh, man kann sich so herrlich mit ihm über diese Dinge unterhalten und wir machen auch viele Experimente." Was ich Britta lieber nicht erzähle, ist ein Spruch von Freddie, den er letztes Jahr mal auf einer der wenigen Schulparties, die wir besucht haben, gebracht hat: "Wer die Biochemie beherrscht, beherrscht den Menschen, wer die Atomphysik beherrscht, beherrscht die Menschheit." Dieser für seine Verhältnisse schon lyrische Satz kam bei den Mitschülern, und besonders den weiblichen, nicht so gut an, so dass ich froh war, dass er ihn wenigstens heute nicht gebracht hat.

Britta mustert mich wieder von oben bis unten und meint kurz: "Na ja, vielleicht passt ihr wohl doch zusammen." Wir sind an unserer Station, ich stehe auf, sie bleibt sitzen: "Fahr noch nach High Event Places, ist sicher Easykram heutabend Guide zu kriegen, der mir mal Intro in Städtchen gibt. Kannst Tantchen sagen, Deadline ist mir heut wumpe. Wenn das No Go für sie, nehm ich notfalls Earlyticket nach haus. So und jetzt mal zur Abwechslung deutsch: Vielleicht findet sich ja jemand, mit dem spannendere Experimente als mit euch Langweilern möglich ist. Viel Spaß noch mit deiner Lit und Dipl."

Ich steige aus und sieht fährt weiter in die Innenstadt. So was blödes, Kussi-Tussi kann man ja wirklich in der Pfeife rauchen. Die kann mir gestohlen bleiben. Hätte ich nicht gedacht, dass die so humorlos ist. Aber die ist sicher auch wohl so eine, die auf so einen Schleimer wie Marcus reinfällt. Was hat der eigentlich schon geleistet? Was kann der? Nix!! Und darauf stehen die Weiber!

Mit Jana wäre das alles ganz anders. Sie als meine Freundin kommt häufiger mit zu Freddie ins Lab. "Jannchen, packst mal was Lösmi in Sequi und fängst Plürr auf." Mit einem herzerfrischenden Lächeln nimmt sie das Lösungsmittel, gibt es in den Sequenzer und fängt die Reste unten auf." Dann drückt sie mir die Flasche damit in die Hand und gibt mir einen langen, wunderschönen, intensiven Kuss. "Hallo, Science muss wie Science." werden wir dann belehrt. Jana grient und antwortet: "Aber Love muss auch wie Love." und küsst mich weiter. "Auch gut" sagt Freddie dann zufrieden. Aber so ist es ja nicht!! Jana steht ja auch diesen Dummbratzen Marcus und nicht auf Wissenschaftler.

Zuhause kriege ich einen Depri-Anfall. Ich fange an, mich wirklich zu hassen. Warum kann ich nicht so sein wie Freddie, der wirklich was drauf hat und ein Genie ist, dem später alle interessanten Jobs hinterhergeschmissen werden, der total souverän ist und dem es völlig wumpe ist, ob die Leute ihn mögen oder nicht, den die Mädchen auch zwar eklig finden, aber den es überhaupt nicht interessiert. Oder sonst wäre ich gerne Marcus. Der hat zwar kaum was in der Birne, aber der braucht es gar nicht. Der hat automatisch sein Harem, ohne dafür etwas tun zu müssen. Und wenn er seine Alte in die Wüste schickt, hat er die totale Traumfrau für sich, und das wird über kurz oder lang passieren. Jana wird er sich bald greifen.

Um meine schlechte Laune zu verdrängen, setze ich mich gleich an die Einleitung für Martins Dissertation. Er hat sie praktisch in anderhalb Jahren abgeschlossen, bis auf den Rest, der noch kommt, also in Rekordzeit. Da brauche ich an der Einleitung von seiner Diplomarbeit, die ich mir aus meiner Mailbox hole, nicht viel zu ändern. Das was ich aus den Kopien noch dazu schreiben soll, ist alles markiert, so dass ich kaum ein Problem habe, dieses in den Text einzufügen. Nach drei Stunden bin ich fertig und gehe ins Bett. Es hatte also doch was gutes, dass ich mich nicht um Britta kümmern musste, sonst wäre ich nicht so schnell durchgekommen. Na, bin mal gespannt, wann die nach hause kommt. Wenn die sich noch groß rumtreibt kann es bei meiner altmodischen Mutter noch eine gehörige Portion Ärger geben.

Der Schultag ist janamäßig natürlich wieder mal völlig frustrierend gelaufen. Sie kennt mich nicht und ist nur auf der Lauer nach diesem doofen Marcus. Die anderen Jungs sind mit Sicherheit auch scharf auf sie, wagen es aber nicht, sie anzusprechen, weil sie wegen ihrer Attraktivität noch Hemmungen haben.

Aber zuhause angekommen, gibt´s gleich eine gute Nachricht. Jana sitzt tatsächlich schon in dem Zug zurück nach Hause. Sie ist heute morgen erst um halb fünf erschienen, weil sie so lange weg war und die erste U-Bahn zu uns genommen hat. Sie war wohl deutlich über der "Deadline" und hat sich ihr "Earlyticket" von meiner aufgebrachten Mutter redlich verdient. Dann kann ich mir noch Lobeshymnen seitens meiner Mutter anhören, weil sie froh ist, so einen anständigen Sohn zu haben, der so was nicht macht, und dass sie nicht so eine Tochter hat wie Britta, die sich wie eine Schlampe aufführt, ein totales "No Go" für sie.

Danke Mum, für dieses Lob kann ich mir ja viel kaufen. Aber so wie Schmusi-Kusi gestern drauf war, ist da sicher etwas zwischen ihr und einem Typen gelaufen. Wenn es nicht sogar am Ende mit Marcus war. Mensch, Konn, denkst du eigentlich immer nur an Marcus, Marcus, Marcus? Was ist denn an diesem Marcus nun so toll? Du bist doch wohl eine eigene Persönlichkeit! Klar, aber wer mag die schon? Na ja, nur einer, und zu dem fahre ich jetzt auch. Ich kann ja auch die Zusammenfassung bei ihm im Labor machen. Ist wohl witziger.

Freddie ist natürlich schon da und werkelt schon am nächsten Experiment. "Hi, Freddie, weißt du schon das neueste. Mum hat Britta nach hause geschickt." "Wen?" "Na, Britta, meine Kusine, mit der ich gestern hier war." "Ach so, ja die, auch blöd, könnte jeden Assist gebrauchen. Könnte die ganzen RGs aus der Spülma holen und wieder einsortieren. Ist für sie auch interessanter als bei euch den ganzen Tag rumzusitzen." "Das hatte sie mit Sicherheit nicht vor. Die hat sich fast die ganze Nacht in der Stadt rumgetrieben und ist deshalb bei uns rausgeflogen." "Was macht die nachts in Stadt? Ist doch alles dunkel." "Na, sie wollte Kerle aufreißen." "Soso, klappte nicht und deshalb probiert sie jetzt bei sich zuhause?"

"Nein, aber…, na jedenfalls passte das Mum nicht und sie sitzt jetzt im Zug nach hause." versuche ich genervt das Thema zu beenden. "Auch gut," ist Freddies einziger Kommentar. Er hat natürlich nur halb zugehört, weil ihn die ganze Geschichte kaum interessiert.

"Ich habe schon die Einleitung fertig.", wechsele ich das Thema. "Was ist mit der Zusammenfassung. Ändert sich da noch viel durch die letzten fünf Synthesen?" "Ist ja toll. Nee, ist dann mehr was für Results. Ich kleb am Ende noch ein, zwei Sätze dazu rein. Schreib schon mal los. Ist schon alles in Short Version auf Lap. Bist große Hilfe." ist sein Lob dazu. Ich öffne die Datei auf seinem Laptop und gucke mir die bisherigen Ergebnisse an.

Plötzlich stutze ich. Kann das wahr sein? Ich lese es noch mal genau durch. Aber es kann doch nicht sein oder doch? "Sag mal, habt ihr ein Peptid synthetisiert, das bei Frauen das sexuelle Verlangen um das 100fache steigern soll?" Jetzt stutzt er und denkt länger nach, was ungewöhnlich ist. Normalerweise weiß er alles wie aus der Pistole geschossen. "Keine Ahnung, welche Ref-Nummer hat das?" "Pr141." Er überlegt wieder "Ach ja, komische Research dazu stammt natürlich nicht von uns. Hatten irgendwelche Biochems aus New Jersey rausgekriegt, aber nur 0,1 mg pro Batch zusammengekratzt. Problem war Asp und Lys im Molekül zusammenzunähen. Sache war ziemlich brainstormy. Haben wir aber dann doch davon vor zwei Monaten Upscaling gebacken mit Yield von mehreren 100 Milligramm pro Batch." Research = Untersuchung, Biochems = Biochemiker, Batch = Ansatz, Asp, Lys = zwei bestimmte Aminosäuren, Upscaling = Ansatzvergrößerung, Yield = Ausbeute

"Was, das ist ja toll!" rufe ich begeistert. "Wieso, ist doch nur akadem Spielkram. Wer braucht so was?" fragt er und guckt mich völlig verdutzt durch seine geklebte Brille an. "Hör mal zu. Das ist doch revolutionär, wenn du das sexuelle Verlangen von Frauen so stark beeinflussen kannst." Er stutzt wieder: "Na ja, hast vielleicht sogar recht. Hat tatsächlich was von BLÖD-Zeitungs-Niveau. Auch gut, haben wir ordentlich Futter für Co-Ref." "Habt ihr noch was davon da?! Ich bräuchte unbedingt was von dem Zeug!!" schreie ich ganz aufgeregt. "Na klar, alle Samples sind in Kühli, probenmäßig beschriftet. Aber wieso brauchst du das, bist doch keine Frau?" "Ich will das nicht selber nehmen, sondern brauche das für Jana." "Was interessiert dich Sextrieb von deiner Kusi?" "Jana ist nicht meine Kusi, das ist Britta. Jana ist ein Mädchen aus meiner Klasse. Ich möchte was mit der anfangen, mein Gott."

"Ja, OK, musst ihr nur als Nasenspray geben, Verhältnis 1:200. Machst am besten, wenn du durch bist mit Results für Diss. Wäre gut, wenn du Loveparty in zwei Tagen noch mal kurz unterbrichst, brauche dann noch mal deine Hilfe für Finish." kommt als lapidare Antwort. "Freddie, so einfach wird die Sache auch nun wieder nicht. Jana steht nicht auf mich." "Aha, aber ist doch no Problem. Schickst sie zu mir, ich steck ihr, dass du entscheidenden Teil an Diss für Brüderchen eingefahren hast."

"Freddie, das interessiert sie überhaupt nicht. Das ist ihr alles scheißegal, was ich so mache." Jetzt sehe ich ihn so baff wie Britta gestern bei ihrem Besuch hier. "Ach, wieso, auf was steht sie denn dann?" "Na z.B. auf Marcus, diesen Obergrinsekuchen aus unserer Klasse. Alle Mädchen stehen auf den. Ich möchte mal wissen, was der hat, was wir nicht haben?" "Na, Mädchen halt." ist die unqualifizierte Antwort von Freddie, der sich wieder seinen Aufgaben an der Syntheseapparatur zuwendet. "Na ja, der kriegt ja auch sonst nichts vernünftiges hin, da kann er wenigstens so´n Kram machen." folgt als noch blöderer Nachsatz. Wieso tut Freddie eigentlich so, als wenn das alles so einfach wäre, wenn wir Normalo-Jungs uns so abstrampeln müssen, damit eine von denen uns mal mit dem Hintern anguckt?

Jetzt will ich mal wissen, ob er wirklich so unbedarft ist: "Würdest du nicht auch mal gern ´ne Freundin haben?" Er überlegt wieder länger: "Weiß nicht. Talk mit XXen ist meist dumm wie Brot, alles eher Kindergartenlevel. Also, entweder kommt eine oder kommt keine." "Was hierher einfach so ins Labor?" "Klar, dings z..B., wie heißt sie noch, Jana war doch auch gestern hier drin." "Das war nicht Jana, das war Britta und die ist nur meine Kusine. Aber wie fandest du die eigentlich?" "Erinnere mich nicht mehr so genau. Das Rotgefärbte ist nicht so mein Fall."

Jetzt werde ich langsam stinkig. Ist er schon so senil, dass er nach einem Tag die Haarfarbe meiner blöden, aber zugegeben sehr attraktiven Kusine vergessen hat? Es scheint Sachen zu geben, die ihm völlig am Arsch vorbei gehen und das sind Mädels, die er meist wegen ihres Chromosomensatzes als XXen bezeichnet. Gott sei Dank fragt er nicht, wie Britta ihn fand. Weil, anlügen tue ich Freddie nie, aber wahrscheinlich wäre ihr vernichtendes Urteil ihm auch wurscht. Ich gebe es auf und wende mich wieder dem Laptop zu und versuche die ganze Sache zu vergessen.

"Willst wissen, warum XXen auf Marcus gehen, wie Fliegen auf Marmelade?" wirft er beiläufig eine Viertelstunde später ein, als er ein paar Ansätze anrührt. "Äh ja, natürlich. Wieso hast du Ahnung davon?" frage ich jetzt natürlich ungläubig aber hoch interessiert. "Ist doch simple. Marcus zeigt dominantes Verhalten, ist vielleicht sogar sein Charakter. Das erzeugt Pheromonmuster, was er so ausdünstet. Das riechen XXen, natürlich nur unbewusst, finden dies sehr anziehend, weil sie unbewusst denken, er ist Alphatier. Er kriegt Feedback von denen und dünstet als Antwort noch intensiveres Muster aus, was noch mehr XXen anzieht und so weiter."

"Was, woher weißt du denn so was?", jetzt werde ich wieder neugierig. "War vor einem Jahr Gastvortrag hier aus Schießmichtot. Brüderchen wollte nicht hin, Pheromone sind nicht sein Ding, ist auch gar nicht sein Thema. Fleck war aber richtig stinkig, dass nur sowenig Leute hinwollten. Hatte auch keine Lust, habe mich praktisch als Audit-Dummi geopfert. Alphatiere hin oder her, braucht doch schließlich kein Mensch. Wollen ja nicht Zoowärter oder so was werden.

So genial Freddie auch sonst ist, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass er lebenswichtige Dinge nicht erkennt. "Also wenn ich dasselbe Zeugs wie Marcus ausdünste, würden die Mädchen auf mich fliegen?" "Ja, wird wohl so sein." "Aber das löst ja mein Problem nicht, weil ich nicht so riechen kann wie er." "Wieso denn das nicht?" fragt Freddie völlig erstaunt. "Ja wie denn wohl, soll ich seine verschwitzten Hemden anziehen? Tschuldigung, lieber Marcus, gibst du bitte dein verschwitztes Sporthemd nicht in die Wäsche. Ich möchte es noch mal tragen, bis ich Jana rumgekriegt habe." "Ja, fast so." "Wie bitte?" "Mann, doch nicht direkt. Fährst doch jetzt nicht auf Drittklassniveau? Ist doch Easykram. Klaust tatsächlich sein Turnhemd, presst bisschen Schweiß aus, wir fahren damit GC. Wenn wir Analytik haben, setzen wir Mix künstlich zusammen. Pinselst dich damit ein und ready. GC = Gaschromatographie, Analyseverfahren für organische Flüssigkeiten

Jetzt bin ich völlig platt. Das klingt ja einfach, viel zu einfach, dass so was klappen kann. Und ich mache mich bei allen Leuten lächerlich, wenn es nicht geht. Nachts kann ich an den Gedanken daran nicht schlafen. Aber, was ist eigentlich das Risiko? Außer Freddie weiß keiner was davon und wenn ich mich an Jana so ranmache, dass sie es nicht als Anbaggern versteht, kann ja nichts passieren.

Am nächsten Tag ist in der letzten Stunde Sportunterricht. Jungs und Mädchen sind eigentlich getrennt, aber die Mädels machen kaum Sport, sondern gaffen meist zu Marcus rüber. Wenn die wüssten, was ich vorhabe. Er duscht zum Glück lange und ausgiebig, wohl weil er so seinem tollen Körper was Gutes tut. Ich stecke schnell sein verschwitztes Turnhemd in eine frische Plastiktüte und fahre direkt zur Uni.

Freddie hat heute sowieso Analytiktag und sitzt im Extraraum mit den Messgeräten für Analysen. Er nimmt sofort das Hemd und wringt es kurz aus in eine Petrischale. Ein paar Tropfen von Marcus ekligem Schweiß kriegen wir so raus. Er zieht die in eine kleine Metallspritze auf, gibt alles in einen Gaschromatographen und lässt die Sache loslaufen. Ich schmeiße sofort Marcus fieses Shirt in den Mülleimer. Eigentlich reine Verschwendung. Wenn ich dies unter den Klassenziegen versteigern würde, wäre ich wenigstens ein reicher Mann. Nach einer halben Stunde kriegen wir das Ergebnis. Der Computer wertet alles aus und gibt uns an, welche Stoffe in welcher Menge in seinem Schweiß vorhanden sind.

"Gut." Freddie nickt als er das Blatt mit den Ergebnissen in der Hand hält. "Und was halten XXen so von dir?" Wieder mal so eine blöde Frage. Das sollte er doch inzwischen mal wissen. Ich bräuchte doch diesen ganzen Aufwand sonst nicht, wenn es toll oder zumindest mittelmäßig wäre. "Auf einer Skala von 0 bis 10 minus fünf" antworte ich pseudoschlagfertig. "Auch gut, dann nehmen wir von dir noch mal Spek, ziehen Results von dem von Marcus ab. Ist noch besser. Bist Omega-Tierchen. Kann sonst Performance in Grütze hauen" Was "auch gut" im Zusammenhang mit der Minus fünf Skalierung bedeutet, weiß ich auch nicht, aber er hat wohl recht. Je weniger von mir als Omega-Tierchen in meinen Ausdünstungen drin ist, desto besser.

Ich gebe ihm mein Turnhemd, wir wiederholen die Prozedur und werten die Ergebnisse aus. "Hab jetzt Compo, was du brauchst. Bestell gleich Chems und plürren das fertig." Er füllt einen Bestellschein aus, knallt einfach die Unterschrift von Brüderchen drauf, der natürlich als Doktorand als einziger bestellen darf, und schickt mich los zum Chemikalienholen. "Hab nicht Stunde durch Städtchen zu tuckern wegen Sign von Brüderchen." ist seine lapidare Antwort zu seinen, offenbar häufiger vorkommenden Unterschriftenfälschungen. Compo = Composition = Zusammensetzung, Chems = Chemikalien

Ich hole schnell die Sachen, es sind 27 Flaschen mit unterschiedlichen Flüssigkeiten. Wir geben davon alles in der richtigen Menge zusammen und fertig ist der Schweißersatz. Eine moschusartige Verbindung scheint auch dabei zu sein. Wir erhalten 100 ml Schweißersatz. Das Zeug stinkt genau so eklig wie Marcus Dreckshemd. "So, kaufst noch in Apo Kilo Alaun, gibst morgen früh in Badewanne, füllst mit Wasser halbvoll, hockst 10 Min rein. Kannst dich dann mit Locksubst bedieseln." kommt noch als Anweisung. Richtig, meine Schweißporen müssen durch das Alaun natürlich verschlossen werden, damit ich Marcus tollen Duft nicht durch meine Loser-Aussonderungen kontaminiere.

Ende von Teil 1

 


Kommentare

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