Die Richterin Teil 1
Das Menü, das die zweiundzwanzig Männer zu sich genommen hatten, war wieder einmal exzellent gewesen. Nun standen sie von ihren Plätzen auf, um sich in die, neben dem Esszimmer gelegene, Bibliothek zu begeben, wo der eigentliche Zweck ihrer abendlichen Zusammenkunft stattfinden sollte. Diejenigen, die dem Kreis noch nicht allzu lange angehörten, warfen wohl noch einen begehrenden Blick auf die drei jungen Serviererinnen, die alle nur mit einem schwarzen samtenen Halsband bekleidet und von erlesener Schönheit waren, und die jetzt begannen, den Tisch abzuräumen. Doch da sie wussten, dass das strenge Reglement des Clubs ihnen jegliche Form der Kontaktaufnahme zu den Angestellten verbat, blieb es bei den Blicken.
Die Männer, die ausnahmslos einen Smoking trugen, standen jetzt in kleinen Gruppen in der Bibliothek, einem beinahe quadratischen, mit dunkler Eiche getäfelten, Raume beieinander. Sie kannten sich alle gut und wie man ihren Gesprächen entnehmen konnte, gehörten sie den führenden Kreisen aus Wirtschaft und Politik der Stadt an, in der diese Geschichte sich abgespielt hat. Es handelte sich offenbar um ein offizielles Treffen, zu dem sie sich an diesem Abend in dem am Stadtrand gelegenen Palais zusammengefunden hatten, denn man hatte die schweren Ledergarnituren, die sich sonst in diesem Raum befanden und in denen es sich die Clubmitglieder bequem machen konnten, um in den ausliegenden nationalen und internationalen Zeitungen und Journalen zu lesen, weggeräumt und eine Anzahl moderner Konferenztische in Hufeisenform aufgestellt. Auf der offenen Seite des Hufeisens stand ein Tisch auf dem sich ein Laptop sowie ein Beamer befanden. Zu diesem Tisch begab sich nun ein älterer, braungebrannter, drahtiger Herr und rief mit etwas erhobener Stimme "Liebe Freunde, ich bitte Euch, eure Plätze einzunehmen, damit wir beginnen können."
Die Gespräche verstummten und alle nahmen ihre Plätze ein. Eine erwartungsvolle Stimmung lag in der Luft und alle Anwesenden schauten den Vorsitzenden und den Mann, der neben ihm Platz genommen hatte, an.
"Liebe Freunde", begann der Vorsitzende, denn um ihn handelte es sich in der Tat, "wir haben uns heute hier versammelt, um über die Aufnahme von Erich Windsberger", er drehte dabei den Kopf zur Seite und schaute lächelnd den neben ihm sitzenden Mann an, der seinen Blick mit einem Kopfnicken erwiderte, "in unseren Club zu entscheiden. Wir alle konnten uns in den letzten Wochen anhand der von ihm eingereichten Unterlagen und vieler Gespräche ein recht genaues Bild von ihm und den persönlichen Verhältnissen, in denen er lebt, machen. Und ich muss sagen, wir können stolz darauf sein, dass ein Mann mit solchen Qualitäten, um die Mitgliedschaft in unserem Club nachsucht."
Der Vorsitzende wurde durch ein bestätigendes Beifallklatschen kurz unterbrochen. Dann fuhr er fort "Gleichwohl können und werden wir, lieber Erich, und ich weiß, dass Du mit mir darin übereinstimmst, auch in Deinem Falle keine Ausnahme von unserem Aufnahmereglement machen. Du hast es gelesen und wir haben in den letzten Tagen die Punkte, die Dir noch unklar waren, gemeinsam erörtert. Meine Frage lautet jetzt: Erkennst Du, Erich Windsberger, die Aufnahmestatuten unseres Clubs an und bist Du bereit, sie mit allen Kräften und Mitteln, die Dir zur Verfügung stehen, zu erfüllen?"
Der Angesprochene erhob sich von seinem Stuhl, blickte kurz in die Runde und sagte dann mit fester Stimme "Ja, ich bin bereit." Dann setzte er sich wieder. "Nun, ich hatte auch nichts anderes erwartet", bemerkte der Vorsitzende trocken, um dann zum nächsten Punkt der Aufnahmeprozedur zu kommen. "Dir ist bekannt, Erich, dass Du, um ein vollgültiges Mitglied in unserem Club zu werden, eine Aufgabe lösen musst. Und mit der Anerkennung der Statuten unseres Clubs hast Du auch akzeptiert, dass Dein gesamtes Vermögen in Höhe von vier Millionen Euro an den Club fällt, solltest Du diese Aufgabe nicht lösen."
Der Vorsitzende schaute Erich Windsberger aufmerksam an. Dieser räusperte sich kurz und sagte dann mit fester Stimme "Auch diesen Punkt der Statuten akzeptiere ich."
"Dann verkünde ich jetzt die Aufgabe, die wir Dir stellen werden", sagte der Vorsitzende mit ernster Stimme
"Du hast in den vergangenen Wochen unsere Priesterinnen der Lust kennen gelernt. Nicht in allen Details, das ist nur den Mitgliedern erlaubt, aber soweit, dass Du Dir ein recht genaues Bild von ihnen machen konntest. Sie alle gehören, nicht allein wegen ihres Charmes und ihrer Schönheit, sondern vor allem wegen ihrer Sinnlichkeit und erotischen Raffinesse zur Creme de la creme der Frauen in unserer Stadt. Alle betrachten es als eine große Ehre und Auszeichnung in den illustren Kreis der Priesterinnen aufgenommen worden zu sein. Deine Aufgabe, lieber Erich, wird es sein, die junge Dame, die wir Dir gleich vorstellen werden und von der der Hohe Rat des Clubs überzeugt ist, dass sie den Kreis unserer Priesterinnen aufs vorteilhafteste ergänzen und bereichern wird, dahin zu bringen, dass sie um eine Mitgliedschaft in diesem Kreis nachsucht. Um dieses Ziel zu erreichen, darfst Du alle Mittel und Methoden der subtilen Manipulation anwenden, jedoch weder Gewalt androhen noch ausüben sowie der betreffenden Dame irgendwelche finanzielle Vorteile versprechen oder zukommen lassen. Du hast zur Erfüllung dieser Aufgabe sechs Monate Zeit. Und nur wenn die Betreffende in dieser Zeit sterben oder einen entstellenden Unfall erleiden sollte, bist Du von ihrer Erfüllung befreit. Wir haben heute den 30. April, spätestens am 1. November wird der Hohe Rat erneut zusammentreten, um die Dame in den Orden der Priesterinnen der Lust aufzunehmen."
Der Vorsitzende bat jetzt ein Mitglied, das Licht zu löschen. Dann schaltete er das Laptop und den Beamer an. Von der Decke fuhr mit einem leisen Surren eine Leinwand herunter. Es gab ein kurzes Flackern und dann sah man Filmaufnahmen von einer jungen Frau, denen der Vorsitzende Angaben über Alter, Person, Beruf etc. hinzufügte. Nachdem der Vorsitzende die Präsentation beendet hatte und das Licht wieder eingeschaltet war, warf er einen kurzen Blick auf Erich Windsberger. Dieser musste mühsam um seine Fassung ringen, denn es war keine andere als Maria Bender, die angesehenste und profilierteste Mitarbeiterin seiner Behörde, die er zur Priesterin machen sollte. "Selbstverständlich kannst Du auf die Hilfe des Clubs bei der Erfüllung Deiner Aufgabe rechnen", sagte der Vorsitzende zu Windsberger gewandt und erklärte dann die Sitzung für geschlossen.
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