Therapie


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29.04.2012
Kunst

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Ich habe ein Problem.

Ich gefalle mir nicht, und wahrscheinlich finden auch andere mich kein bisschen attraktiv.

Viel von mir lasse ich deshalb auch gar nicht erst sehen. Ich trage hochgeschlossen. Am liebsten Hosenanzüge mit großer Seidenkrawatte über der Bluse, oder Schmucktuch.

Wem ich gefallen will?

Männern natürlich, wem denn sonst? Innerlich brenne ich manchmal völlig aus, wenn ich zum Beispiel den Jürgen Mausbacher sehe oder gar rieche. Hat der aber auch ein Händchen für männlich wirkende Parfüms! Umwerfend und zum Dahinschmelzen!

Und dieses gewinnende Lächeln erst!

An mir schaut er aber immer einfach vorbei.

 

 Leider bin ich nicht die Einzige, die heiß auf ihn ist, und dann auch noch die mit den geringsten Chancen. Aber das macht es nur noch schlimmer! Ich muss mir ja schon vorsorglich ein Tampon einführen, wenn ich nur am Besetzungsplan sehe, dass er mit mir zusammen eine Schicht in der Bank hat. Auch dann, wenn ich gar nicht meine Tage habe. Nein, dann erst recht!

 

Ich hatte auch noch ein anderes Problem:

Angst vor Mäusen. Einmal im vergangenen Herbst, da war eine davon irgendwie über die Regenrinne und durch die angelehnte Balkontür eingedrungen, ist bei meinem Schreckensschrei am Fenstervorhang hoch gekrabbelt und mir dann von oben in die Bluse gesprungen. Ich hatte fahrlässigerweise den oberen Knopf offen gelassen!

Sie krabbelte unter meiner Bluse direkt auf meiner Haut herum! Sogar unter dem BH und in der Poritze und sonst noch wo, das muss man sich erst einmal vorstellen!

Ich bin erst im Krankenhaus, auf der Intensivstation wieder aufgewacht, hatte überall im Gesicht und am Körper dicke rote und weiße Quaddeln und musste notbeatmet werden.

 

Die Ärzte dort haben mir eine Therapie gegen meine Mäuse-Phobie dringend nahegelegt.

Ich soll kurz vor dem totalen Kollaps gewesen sein und wäre angeblich gestorben, wenn meine Nachbarin den Schrei nicht gehört und mich gerettet hätte.

 

Die Therapie war einfach grausam und furchtbar!

Erst Videos mit Mäusen ansehen. Brrr! Ich habe gleich beim ersten Mal die Flucht ergriffen. Dann echte Mäuse in Käfigen beobachten. Schon der Geruch, igitt! Dann eine Maus anfassen, über die Hand laufen lassen, mit Mäusen spielen, Mäuse über meinen Körper krabbeln lassen, erst angekleidet, dann in Slip und BH und schließlich auch noch ganz nackt.

Der Beginn war wirklich furchtbar und ekelhaft, aber dann wurde es immer lustiger und ich habe mich sogar in eines der kleinen Mäuschen, es hieß „Peterchen“, verliebt.

Ein süßes Kerlchen!

Jetzt verstehe ich auch, dass Medizin süchtig machen kann. Peterchen wohnt jetzt bei mir zu Hause und ist mein kleiner Freund. Nur parfümieren durfte ich ihn nicht, das ist verboten.

Aber er darf trotzdem zu mir ins Bett. Ich habe mir extra wegen ihm einen Holzdildo gekauft, damit er sich besser an mich gewöhnt und daran seine Mausezähnchen schärfen kann.

Geholfen hat es jedenfalls. Hat der eine süße kleine Zunge!

 

Über den Effekt der Therapie habe ich mich so sehr gefreut, dass ich jetzt beschlossen habe, auch mein anderes Problem zu lösen. Auf genau die gleiche Art. Wo also gibt es Männer, von denen man sich nackt bekrabbeln lassen kann?

 

Ich habe alle Zeitungen und das Internet durchsucht, aber nichts Passendes gefunden. Es soll doch diskret sein. Schließlich sitze ich hier jeden 2. Tag am Hauptschalter unserer Landesbank. Puff erschien mir zu weit unten und für Swingerclub war Erfahrung gefragt, also Fehlanzeige. Außerdem will ich ja nicht gleich meine Haut zu Markte tragen. Nein!

 

Auf den Anfang der Therapie kann ich gerne verzichten. Videos Ansehen finde ich überflüssig und im Käfig beobachten kann ich die Männer ja hier in der Bank schon jeden Tag. Mir von einem Mann auf der Hand herumlaufen zu lassen, scheint mir auch nicht so zielführend. Also dann lieber gleich, die Endphase, die mir schon bei den Mäusen so großen Spaß gemacht hatte.

Ich bin nämlich auf eine Werbeanzeige im Kulturteil einer Illustrierten gestoßen:

 

Umstrittenes Kunst-Event in der Wiener Hofburg

Die Ausstellung „Nackt in der Kunst“ will offenbar das sehr dürftige Interesse des Publikums durch eine sehr zweifelhafte Aktion aufbessern:

Mutigen Besuchern, welche die Ausstellung nackt genießen wollen, wird das Eintrittsgeld erlassen. Die Garderobe kann gleich am Eingang sicher hinterlegt werden.

Man ist gespannt, ob diese Aktion…blah, blah…“

Es folgen weitere Kommentare.

 

Na, das isses doch! Auf nach Wien! Da kennt mich keiner und die Leute aus meiner Bank haben mit Kunst nicht viel am Hut. Das beweist schon hinlänglich der geschmacklose Ölschinken im Eingangsbereich. Ein Bär und ein Bulle, die in Dollars wühlen.

 

Gedacht, getan. Ich bin in Wien. Die Hofburg kann man ja da durchaus finden.

In der Eingangshalle, am Empfangstresen und rundherum kann ich niemanden erblicken, der oder die da nackt herumlaufen würde. Fehlanzeige. Bin ich hier richtig?

Ich frage bei dem älteren Herrn am Tresen nach.

Der sagt mir, dass das zwar richtig sei, mit der Eintrittsfreiheit, aber ich sei bisher die Einzige, die nachgefragt hätte, dass das Angebot aber weiterhin bestünde. „Olso bittscheen, wannens woin…?“

Na so was! Will ich wirklich?

Doch dann fällt mir ein, dass die Mäuse in meiner Therapie ja auch nicht nackt waren, sondern weiße und graue Pelze trugen.

Na klar. Dann sind die Leute hier eben jetzt meine Pelzmäuse.

Außer Hosenanzug, Slip und Schuhen habe ich nichts an, der Rest ist im Hotel. Die Schuhe bleiben dran, aber der Anzug samt Slip landet auf dem Tresen.

Ich suche die Richtung zum Eingang der Ausstellung, da sind ja doch Leute drin.

 

Also los jetzt, Augen zu und durch!

 Dass es nicht sehr sinnvoll ist, die Augen in einer Kunstausstellung geschlossen zu halten, merke ich spätestens, als ich über ein Absperrseil stolpere, und mit dem Gesicht zwischen zwei harten Bronze-Oberschenkeln lande.

Als sich die Augen wieder offne, entpuppt sich das harte kalte Objekt als eine antike männliche Statue. Ein nackter Mann! Ein Mann? Irgendwie nicht ganz komplett.

Das ist mir aber jetzt ganz besonders peinlich. Habe ich dem jetzt sein bestes Stück abgerissen? Ich sehe genauer hin und untersuche mit meinem Zeigefinger die  heikle Bruchstelle.

 

„Na Bumm! Küss die Hand schöne Frau, is ned ihnare Schuid.

Des Stickerl föd a scho länga. Des woan nämli di Schweiza. De hom domois no Vandalen ghaßn, unterm Theoderich, dem Dietrich von Bern. D'Ehre!“

Es ist der ältere Herr vom Empfangstresen. Das einzige Personal, wie es scheint.

Das Stückchen fehlte also schon vor meinem Aufschlagen hier. Da bin ich ja beruhigt.

 

Was steht da unten: „Der junge David mit der Schleuder von Michelangelo“

Michelangelo? War das nicht erst nach den Vandalen?

Ist ja egal. Nach den Vandalen ist immer auch vor den Vandalen. Siehe eben.

 

Hat der Mann eben „schöne Frau“ zu mir gesagt?

Na ja, man kennt das schon: so eine höfliche Floskel. Das ist wie bei uns in der Bank, wenn da ein altes armes Mütterchen kommt, das einen Kredit haben will, um Mietschulden und Heizkosten bezahlen zu können.

Da sage ich ja auch immer: „Was kann ich für Sie tun, Gnädige Frau?“

Hat weiter nichts zu bedeuten. Aber vielleicht hat sie ja ne Immobilie.

 

Ich konzentriere mich voll auf die Bilder an der Wand. Vor einigen Bildern ist so etwas wie ein Vivarium aufgebaut, mit den gleichen Accessoires, wie auf dem Bild. Nur der oder die Nackte(n) fehlen. Da kann man sich selbst hineinversetzen.

Das probiere ich gleich einmal aus, bei „Picknick im Grünen“, von Monet. Hieß der so?

Ich setze mich nackt, wie ich bin auf den Fußballrasen, vor den Pappeln, ah, den Bäumen aus Pappe, zwischen die Pappkameraden, äh, den Männern von Pappe. Einige Leute bleiben stehen und schauen zu mir hin. Manche lecken sich die trockenen Lippen, manche werden rot und schwitzen, manche blicken kennerisch und genussvoll. Sieht das etwa wirklich gut aus?

Auch ein Ehepaar in den Mittvierzigern bleibt stehen.

„Nein!“ sagt der Mann. (Ich ahnte es doch), „nein, die Frau…, das Mädchen ist ja viel zu dünn. Oh, Entschuldigung, zu schlank, meinte ich natürlich. Weißt du eigentlich, Marianne, dass das mein Lieblingsbild ist? Als wir noch nicht verheiratet waren, da habe ich mir immer vorgestellt, wie schön das wäre, einmal so mit dir zusammen im Wald zu picknicken. Geträumt habe ich davon!“

„Kläuschele! Isch desch jetz willisch dei heilische Ernscht? Desch kannsch aba habbe! Wadde  mal…! Dschunge Frau, rücke se do ma e Schtückle.“

Marianne hat sich ihr weitläufiges Kleid über den Hals gezogen, den großen BH und die Wollschlüpfer ihrem Klaus in die Hand gedrückt und beansprucht nackt und gewaltig den Platz auf dem Rasen, neben dem Fresskorb.

 

Kläuschele ist baff, wird abwechseln weiß und rot im Gesicht und schwitzt.

„Willst du wirklich jetzt hier sitzen bleiben, Marianne? So? Du siehst wunderbar aus, du passt auch ganz genau da rein. Ist das ein Bild! Soll deine Sachen wegbringen?“

Marianne nickt siegesgewiss und ruft ihrem Klaus noch hinterher:

„Vegisch abbe net, dosch’d dir moi Eintrittschgoild widdergebbe loscht, Kläuschele!“

 

Ich verdrücke mich lieber aus dem Bereich des Picknick-Bildes. Das wird jetzt von Marianne beherrscht. Jetzt erst wirkt es richtig echt und authentisch. Ein echter Monet.

 

In der gegenüberliegenden Ecke ist „Die nackte Maya“ an der Wand aufgehängt und davor steht ein Diwan mit Vorhängen. Erst einmal verschnaufen und Abstand gewinnen. Therapie auswerten. Erfolge? Kann ich noch nicht feststellen, bis auf die Höflichkeitsfloskel des Kustos eigentlich wieder nur Abweisungen. Zu dünn bin ich also. Hmm. Puh!

 

Ich liege lang auf der linken Hüfte, schiebe mir eine Hand unter den Kopf und kraule mir mit der anderen Hand die Haare.

Ich denke nach und will eigentlich schon aufgeben. Fehlschlag.

 

Auf einmal versammeln sich immer mehr Leute vor meinem Diwan. Ich höre bewundernde Stimmen. „Wie aus dem Bild geschnitten!“ und: „Ist das schön!“

„Das müsste der Goya gleich noch einmal malen, eins davon würde ich sofort kaufen!“

„Mir wäre das Original lieber.“

„Was, das Originalbild?“ „Nein, das neue Original-Modell!“

„Schade, Goya ist ja leider schon tot.“

Und dann sagt da Einer noch:

„Das da würde ihn bestimmt wieder von den Toten auferstehen lassen.“

Der Satz ist Blödsinn, das weiß ich ja, aber die Stimme!

Die Stimme kenne ich doch! Die würde MICH jederzeit von den Toten auferwecken.

Das ist doch...

„Das ist doch der Jürgen! Der Jürgen Mausbacher!“

Und der ist auch noch selber nackt!

Also keine Probleme mit: „Ich kann dich erpressen, wenn du nicht…“

Wahrscheinlich ist er der einzige nackte Mann hier, der nicht aus Pappe, Bronze oder Marmor ist. Und der ist ausgerechnet der Jürgen. Mir wird schwindelig.

Jetzt kommt er ganz nahe zu mir heran. Er lächelt mich an. ER LÄCHELT MICH AN!

„Na das ist aber eine Überraschung, Frau Rei…“

„Ich heiße Jasmin“, sage ich halblaut. „Ist eine peinliche Überraschung, stimmts? Ich werde nicht darüber reden, versprochen.“

„Ich würde mit dir sehr gerne darüber reden, Jasmin. Über noch viel mehr, als das hier, wenn du willst. Und nicht nur reden. Ich werde ja gleich verrückt! Bist du eine wunderschöne Frau, wenn du deine Haare nicht zum Knoten bindest, keinen Hosenanzug trägst und nicht meinem Blick ausweichst. Wollen wir beide jetzt die ganze Ausstellung gemeinsam durchstöbern, so nackt und frei und offen, wie wir sind?“

Ich nehme seine ausgestreckte Rechte, lasse mir von ihm galant auf die Beine helfen und sage:

„Ich ernenne dich zu meinem zweiten Lieblingsmäuschen. Welches Parfüm nimmst du da bloß? Pass bloß auf, dass ich dich nicht gleich hier vernasche, hi, hi“

 

Ich bin geheilt, juchhu!.

 


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